Babyboom! Tracy Chapman, Lenny Kravitz, Doro und H.P. Baxxter sind gerade erst geboren, die Charts regieren Soul, Jazz, Schlager - und die Beatles.
Konstanz (laut) - Okay, Boomer, das hier ist für euch! Wir spazieren heute nicht zehn, nicht zwanzig, nicht fünfzig Jahre in die Vergangenheit, sondern blicken satte sechs Dekaden zurück, auf den Höhepunkt des Babybooms: In keinem Jahr wurden in Deutschland mehr Kinder geboren als anno 1964. Babygeschrei aus jeder Ecke dürfte den Soundtrack des Jahres also solide dominiert haben, zusammen mit diesen musikalischen Perlen, die wir für euch aufgefädelt haben:
Natürlich führte dabei kein Weg an den Beatles vorbei. Die Taylor Swifts ihrer Zeit schrieben 1964 Geschichte: Ende März belegten sie mit fünf Singles die ersten fünf Plätze der Hitparade, solches hatte man zuvor noch nicht erlebt. Die konkurrierende Boygroup brachte sich aber auch bereits in Stellung für den großen Beef: Bei Decca veröffentlichte sie ihr mäßig kreativ "The Rolling Stones" betiteltes Album. Die Jugend drehte durch, während die Älteren eher befremdet reagierten: Die einen spielen Rock'n'Roll, die anderen Blues, was soll die ganze Hysterie?
In deutschen Landen brauchten sie ohnehin noch ein bisschen länger: Hierzulande schlagerten vertonte Liebes-Ratgeber von der Spitze der Charts. "Rote Lippen soll man küssen", empfahl zum Beispiel Cliff Richard, während sich Siv Malmkvist um die Folgen der hemmungslosen Knutscherei kümmerte und tröstend erklärte: "Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling." No, no!
So klingt 1964
In unserem Radio offerieren wir euch die wilde Mischung aus beiden Welten und allerlei mehr, das 1964 so zu bieten hatte. Kein Problem nämlich, davon gibt es gar nicht so weniges, um ausnahmsweise Jan Delay zu zitieren (der 1964 allerdings noch nicht einmal ein lüsterner Gedanke seiner Eltern war). Zu Rock'n'Roll und Blues und Schlager haben wir euch ein gerüttelt Maß an Chanson gegossen, etwas Folk und Country und jede Menge Jazz:
Guter Jahrgang für Schreihälse
Barrington Levy, Tracy Chapman, Lenny Kravitz, Eazy E oder Tom Morello sind allesamt Jahrgang '64, sie haben zur Klanglandschaft des Jahres noch nicht viel mehr beigetragen außer Gebrüll. Manche ihrer Jahrgangsgenossen haben daran über die Jahre und Jahrzehnte auch eisern festgehalten, etwa die Hälfte des Line-Ups der Toten Hosen, oder H.P. Baxxter. Wie der Scooter-Schreihals zeigt, scheint 1964 überhaupt ein gutes Jahr für Frontmänner und -frauen gewesen zu sein: Andy Bell (von Erasure), Maynard James Keenan (von Tool), Esbjörn Svensson (der mit dem Trio), Steve Souza (von Exodus) und Doro Pesch (von Warlock) erblickten allesamt in diesem Jahr das Licht der Welt.
Weniger stimmgewaltig, aber offenbar doch ebenfalls eine ganz brauchbare Rampensau war Rob Pilates von Milli Vanilli, seine traurige Geschichte haben wir uns ja gerade erst im Kino erzählen lassen. Das Bühnen-Potenzial einer anderen Kollegin machte später Dieter Bohlen zu Geld, 1964 jedoch noch nicht. Da strampelte sein späterer Schützling gerade frisch in der Wiege und hieß damals auch noch nicht C.C. Catch, sondern, weit weniger mondän, Caroline Catharina Müller.
... und sonst so?
In den USA unterzeichnete Präsident Lyndon B. Johnson das Bürgerrechtsgesetz, das der bis dahin herrschenden Rassentrennung in den USA ein Ende setzen sollte. Im gleichen Jahr wird in Südafrika Nelson Mandela wegen Subversion und Sabotage zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Vietnamkrieg ist in vollem Gange, China testet seine erste Atombombe, und in Hannover (hat uns diese Stadt jemals etwas Gutes beschert?!) heben ewig Gestrige eine "neue" Partei namens NPD aus der Taufe, die heute noch als "Die Heimat" aktiv ist und wahrscheinlich nur deswegen keine Rolle mehr spielt, weil ihre Wähler*innenschaft inzwischen ein anderes Sammelbecken für ihr Gedankengut gefunden hat. Wir sind wieder wer? Na, danke auch.
Nein, es war keineswegs alles gut, in der vermeintlich guten alten Zeit. Entspannung verspricht da aber der Sport. Hier bleibt - abgesehen von diesem neumodischen "Windsurfen", das sich bestimmt nicht durchsetzen wird - wirklich alles beim Alten: Die Tour de France gewinnt (zum vierten Mal in Folge, zum fünften Mal insgesamt) immer derselbe Franzose, ein gewisser Cassius Clay erboxt sich den Weltmeistertitel im Schwergewicht. Spanien holt sich die Fußball-Europameisterschaft, und deutscher Meister wird ... huch!? Der 1. FC Köln? Alter, spätestens jetzt haben wir verstanden: Dieses 1964 ist wirklich verdamp lang her.
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