Diana Ross & Marvin Gaye - "Diana & Marvin"
Ja. Klar. Natürlich hätte an dieser Stelle eigentlich "Let's Get It On" stehen müssen, das Solo-Album, mit dem Marvin Gaye die Verkaufszahlen von "What's Going On" noch einmal toppte und den größten kommerziellen Erfolg seiner Motown-Zeit einfuhr. Wir hätten auch "Touch Me in The Morning" picken können, der Longplayer, mit dem sich Diana Ross 1973 an die Spitze der R'n'B- und immerhin noch in die Top Five der allgemeinen Charts katapultierte. Das gemeinsame Album der beiden Diven gibt aber die bessere Story her:
Dass diese Platte überhaupt existiert, grenzt angesichts ihrer Entstehungsgeschichte an mehrere Wunder. Eigentlich hatte Marvin Gaye nämlich kundgetan, er werde nie wieder ein Duett-Album aufnehmen. Zum einen hatte er im Vorfeld von "What's Going On" bereits wissen lassen, er fühle sich wahrlich nicht mehr in der Stimmung, seichte Lovesongs zu trällern, in denen sich "moon" auf "june" reime. Zudem, so heißt es, sei er überzeugt davon gewesen, dass auf seinen Duetten ein Fluch laste: Seine ersten beiden Sangespartnerinnen Mary Wells und Kim Weston verließen Motown jeweils direkt nach den Aufnahmen, der dritten erging es noch schlechter: Tammi Terrell erlag nach einem viel zu kurzen, viel zu unerfreulichen Leben einem Hirntumor. Keine Duette mehr, niemals. So Marvin Gaye.
Klar aber, dass sie bei Motown darauf keine Rücksicht nehmen wollten, witterten sie doch (zurecht) riesige Gewinne in der Idee, ihre beiden Superstar-Zugpferde im Labelstall vor einen gemeinsamen Karren zu spannen. Nun, wie so oft: Steter Tropfen und finanzielle Verlockungen höhlten auch diesen Stein, und irgendwann ließ sich Marvin Gaye doch bitten. "Normalerweise kam er zu spät", erinnert sich Motowns Chef-Toningenieur Russ Terrana an die erste Session zu "Diana & Marvin" im Jahr 1970. "Diesmal kam er zu früh, saß im Studio und kiffte." Diana Ross, seinerzeit hochschwanger mit ihrem ersten Kind, drehte sich direkt auf dem Absatz wieder um. "Wenn der raucht, singe ich nicht." "Wenn ich nicht rauchen darf, singe ICH nicht." Starallüren und Künstler-Egos crashen aufeinander, und schon sind wir mittendrin in der schönsten Sandkastendiskussion.
Motown-Boss Berry Gordys Überredungskünsten ist geschuldet, dass Gaye irgendwann doch seinen Joint ausdrückte und die beiden gemeinsam Wilson Picketts Song "Don't Knock My Love" aufnahmen - eine Nummer, die Diana Ross wohl so zuwider war, dass sie während der Aufnahmen unentwegt fragte, warum sie denn ausgerechnet DAS singen müsse. In einem solchen Arbeitsklima gedeihen Kunst und Frohsinn. Nicht.
Ross bekam dann erst einmal ihr Kind und war, genau wie Gaye, ohnehin mit tausenderlei anderen Projekten beschäftigt. Die Arbeiten an "Diana & Marvin" zogen sich über mehrere Jahre, in deren Verlauf die Verantwortlichen irgendwann ein Einsehen hatten: Dieses Theater führt zu nichts. Fortan nahmen Ross und Gaye in getrennten Sessions in verschiedenen Studios auf, Toningenieur Terrana oblag die Aufgabe, die Einzelspuren später zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzupfriemeln. Irgendwann war das Album tatsächlich fertig, und auch der Streit, wessen Name auf dem Cover vorne steht, wurde beigelegt. (Will meinen: Das Label ignorierte Gayes Gezeter, es müsse "Marvin & Diana" heißen, geflissentlich.)
Dass sich "Diana & Marvin" blendend verkauft hat, überrascht so wenig wie der Umstand, dass es fantastisch klingt. Mehr Potenzial zu verblüffen birgt da schon Marvin Gayes späte Einsicht: "Ich denke nicht, dass ich die Situation besonders gut im Griff hatte", euphemisiert er rückblickend sein wenig Kavaliers-mäßiges Benehmen. "Ich hätte alles in meiner Macht stehende tun müssen, damit sich Diana wohlfühlt. Immerhin hat sie Filme gedreht, zwei oder drei Alben pro Jahr aufgenommen, ist in ihren eigenen Fernsehshows aufgetreten und hat ganz nebenbei noch ein Baby gekriegt. Ich hätte ein bisschen verständnisvoller sein können. Aber ich habe das Gegenteil getan. Der Umgang mit Primadonnas fiel mir schwer. Wir haben uns wie zwei verwöhnte Kinder aufgeführt, die sich um einen Keks streiten."
Amen.
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