Paul McCartney - "Lyrics 1956 bis heute"
Worum gehts?
Außergewöhnliche Menschen verdienen außergewöhnliche Formate. Während die meisten Musiker schon mit Hardcover und ein paar Fotos zufriedengeben, hat sich der Co-Mastermind der Beatles zwei Bücher samt Leinenschuber gegönnt. 650 Abbildungen auf 917 Seiten, um die Texte und die Entstehung von 154 Liedern zu beschreiben, alphabetisch angeordnet. Die Botschaft ist klar: Hier geht es um das definitive Wort. "Lyrics" kommt wie ein Gesetzbuch daher, passend zum Verlag, oder wie die Bibel. Die Beatles waren ja auch bekannter als Jesus Christus, nicht wahr?
Oops, es war ja John Lennon, der das gesagt hat. Womit wir beim grundliegenden Thema wären: "Lyrics" ist der Versuch McCartneys, seine Texte als etwas Großartiges darzustellen. Dass er in Sachen Melodien und Arrangements zu den besten gehört, daran besteht kein Zweifel. Doch war es Lennon, der die prägenden Zeilen geschrieben hat. "Happiness Is A Warm Gun" etwa, "I'm So Tired", oder "Don't Let Me Down". Auch beim Dissen war er McCartney überlegen. "The only thing you done was 'Yesterday'" ätzte er 1970 nach der Trennung der Beatles.
Dennoch ist "Lyrics" eine lohnenswerte Veröffentlichung geworden, denn McCartney ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, dem zu den Liedern immer wieder etwas Interessantes, oft auch Lustiges oder Rührendes einfällt, sei es zu der Band oder seiner Solokarriere, die nun ja auch schon ein halbes Jahrhundert währt.
Wer hats geschrieben?
Die Zeitschrift New Yorker charakterisierte Paul McCartney im Oktober 2021 folgendermaßen: "Selbst in einer Ansammlung mit vielen erfolgreichen und selbstzufriedenen Menschen steht er immer im Mittelpunkt. Seine Fangemeinde ist die breite Bevölkerung. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Leute ihre Freude an der Begegnung mit ihm zum Ausdruck bringen - sie beschreiben ihre Lieblingssongs, fragen nach Selfies und Autogrammen. Oder verlieren völlig die Fassung". Kurzum: Er ist eine lebende Legende. Das Buch entstand mit dem irischen Dichter Paul Muldoon, der mit McCartney zwei Dutzend Gespräche über insgesamt 50 Stunden führte. Als Literaturprofessor und prämierter Lyriker ist er einer der wenigen, zu dem auch jemand wie McCartney bezüglich Songwriting aufschauen kann. Ihm habe gefallen, dass er "kein übertriebener Fan war, der jedes gesprochene Wort gleich in heilige Schrift überführen wollte", erklärt McCartney im Vorwort. Das mit der heiligen Schrift haben dann Umfang und Format übernommen.
Wer solls lesen?
Jemand, der viel Platz und einen stabilen Tisch hat, denn zum Schmökern auf dem Sofa ist das Werk zu schwer und sperrig. Ein knisternder Kamin ist auch nicht verkehrt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, eignet sich "Lyrics" hervorragend, um lange Winterabende mit einer alle Stücke umfassenden Playlist und dem einen oder anderen Glas Wein (oder Glühpunsch) in aller Gemütlichkeit zu überstehen.
Das beste Zitat:
Bei dem Umfang lassen sich viele gute finden. Also nehmen wir doch den Beginn des Liedes, das viele Interpretationen erfahren hat, doch eigentlich seiner verstorbenen Mutter gewidmet war: "When I find myself in times of trouble, Mother Mary comes to me / Speaking words of wisdom, let it be".
Wertung: 5/5
Text von Giuliano Benassi
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1 Kommentar
"Don't Let Me Down" und "I'm So Tired" als Zeilen (!) lennon'scher Brillanz zu wählen ist natürlich auch gewagt.
Die Ironie ist, dass Lennon die diversen damals bahnbrechenden Einflüsse auf die Msuik der Beatles knackiger vertonen konnte als McCartney, der sie ursprünglich in die Aufmerksamkeit der Band getragen hatte (Ausnahme: Harrisons indische Intermezzi).
Und auch ein McCartney, der häufig für "silly songs" runtergeredet wurde hat so einiges lyrische Glanzmomente im Beatles Backkatalog.