Heinz Rudolf Kunze - "Werdegang"
Worum gehts?
Über seinen "Werdegang" schrieb Heinz Rudolf Kunze zwar eigentlich schon 2021. Weil wir für die letztjährige Musikbuchliste damit allerings zu spät dran waren, nehmen wir seine Autobiografie einfach hier noch mit. Sie porträtiert ihren Urheber und Hauptdarsteller in all seiner Widersprüchlichkeit nämlich perfekt. Schade, dass zwischen seinen beruflichen Kontakten, Auftritten, Studioarbeit, Interviewsituationen und Touranekdoten die wirklich persönlichen Themen etwas zu kurz kommen - aber vielleicht widmet Kunze dem ja noch ein eigenes Buch. (Wundern würde es nicht.)
Wer hats geschrieben?
Es bleibt verzwickt: Heinz Rudolf Kunze hat wahrlich viele Gesichter, und am Ende seines Buches ist man sich noch immer nicht sicher, ob man es nun mit einem Rockstar zu tun hat, einem wortgewaltigen Poeten, einem Weltverbesserer, einem rücksichtslosen Karrierristen oder doch mit einem pedantischen Sprachfetischisten, der vielleicht doch lieber Lehrer oder - noch besser - Universitätsprofessor geworden wäre. Immer wieder versucht er, sich als Misanthrop in Szene zu setzen, erweist sich dafür aber als erstaunlich gut vernetzt. Wenn er von Begegnungen und Begebenheiten mit zahlreichen prominenten Kolleg*innen erzählt, wirkt das zwar stellenweise (genau wie das unetwegte Unterstreichen seiner Belesenheit) gewaltig angeberisch. Man erfährt darüber aber eben auch Einiges, das sich hinter den Kulissen des Unterhaltungs-Geschäfts abspielt. Sobald es um Musik geht, erweist sich Kunze ohnehin als toller Erzähler. Darüber hinaus spiegelt sich in seiner Beschreibung der Beziehung zu seinem Vater ein schmerzhaftes Stück deutscher Geschichte.
Wer solls lesen?
Wer des Autors Schlaumeierei und seine hoch gegriffenen Vergleiche erträgt und keine allzu tiefgehenden Ausführungen zu seinen nur hastig angerissenen psychischen Problemen erwartet, sollte sich von "Werdegang" eigentlich prächtig unterhalten fühlen. Dass hier ein Mann des Wortes die Feder führt, steht tatsächlich außer Frage.
Das beste Zitat:
"Wir betraten die Kneipe um kurz nach halb acht. Am Tresen drehten sich einige Köpfe nach uns um, auch die Skatspieler hielten kurz inne, um uns zu mustern, dann wendeten sich alle wieder ihrem westfälischen Bier zu und machten da weiter, wo sie aufgehört hatten. Wir setzten uns, Platz war genug. Um Viertel vor acht öffnete sich im Hintergrund eine Tür, und drei Männer kamen herein, einer im Anzug, einer mit Wollmütze, und der dritte trug rote Hosenträger zu weißem T-Shirt und weißer Hose. Gemeinsam schleppten sie allerlei seltsames Gerät herein: Verstärker, Mikrofone, ein Mini-Standschlagzeug, ein Megafon, Bierdosen, eine Gitarre und - das dauerte am längsten - eine Tischtennisplatte. 'N'Abend', sagten sie. 'N'Abend', kam es etwas muffelig von den Stühlen zurück. Der gemeine Südniedersachse lässt sich schließlich nicht so schnell aus der Reserve locken. Da könnte ja jeder kommen. Keine zehn Minuten später fraß die ganze Kneipe der Band aus der Hand. Trio waren eine Offenbarung."
Wertung: 3/5
Text von Dani Fromm
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