Kurt Tallert - "Spur und Abweg"
Worum gehts?
Die Gräuel von NS-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg liegen lange zurück. Zu lange, könnte man fast meinen, beobachtet man das hemmungslose Wiedererstarken rechtsradikaler Umtriebe. Um sich daran zu erinnern, was die meisten lieber vergessen wollen, kam "Spur und Abweg" gerade zur rechten Zeit: ein in seiner Ratlosigkeit und dem teils schwer erträglichen Uneindeutigkeit ungeheuer eindringliches Plädoyer für ein Nie-Wieder.
Der Autor, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, spürt der Geschichte seines Vaters nach: Dieser Harry Tallert war Journalist, Publizist, Poet, Mitglied der SPD, Bundestagsabgeordneter und Träger des Bundesverdienstkreuzes, soweit die Erfolgsstory. Davor jedoch, unter dem Regime der Nationalsozialisten, wurde er als Halbjude drangsaliert, verhaftet, verschleppt und bis zum Kriegsende in verschiedenen Lagern gefangen gehalten. Unter den körperlichen und seelischen Schäden, die diese Erfahrungen hinterlassen haben, litt er nicht nur selbst bis zu seinem Tod im Jahr 1997. Seine Traumata beeinträchtigten auch Tallerts Umfeld, insbesondere seine Ehefrau und seine vier Kinder.
Deren jüngstes stellte sich für dieses Buch der aufreibenden Aufgabe, den wenigen Spuren, die überdauert haben, zu folgen, um die Erlebnisse des Vaters zu rekonstruieren und wenigstens einige der klaffenden Lücken im Familienstammbaum zu schließen. Die Scheu davor bis hin zum Widerwillen, in diesen Abgrund zu starren, spiegelt sich schon im Titel: Gleich neben der Spur steht da der Abweg. Immer wieder schweift Kurt Tallert ab, verliert sich in Gedanken und Erinnerungen, gleitet ins Assoziative. Dass er zu keinem befriedigenden Ergebnis kommt, zeigt vielleicht sogar am eindringlichsten, wie untrennbar verzahnt Gegenwart und Vergangenheit miteinander sind. Die Schatten von gestern und vorgestern reichen bis ins Hier und Jetzt und beeinflussen unser aller Alltag, ununterbrochen, unentwegt.
Wer hats geschrieben?
Der Name Kurt Tallert mag nicht unmittelbar vetraut klingen, die meisten Rapfans wissen aber wahrscheinlich: So steht es geschrieben, im Pass von Retrogott. Als MC, DJ, Produzent und eine Hälfte des Duos Huss & Hodn ist er seit Jahrzehnten schon integraler Bestandteil der deutschen Sprechgesangslandschaft. Als Meister des Wortes hat sich der studierte Germanist da längst erwiesen. Dass er nun auch als Schriftsteller besteht: keine allzu dicke Überraschung.
Wer solls lesen?
In Zeiten wie diesen: ausnahmslos alle.
Das beste Zitat:
... stammt nicht von Kurt, sondern von seinem Vater Harry Tallert:
"Ich habe nicht glauben wollen
dass es so kommen könnte
Ich kann mir nicht verzeihen
dass ich Besseres glauben wollte
Weil ich Besseres glauben wollte
Habe ich Kinder
Verzeiht mir, meine Kinder
Aber kämpft"
Wertung: 5/5
Text von Dani Fromm
Kaufen?
Kurt Tallert - "Spur und Abweg"*
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
Noch keine Kommentare