Uneitle, lebensnahe Texte über Böller, Brüste und bulgarischen Schichtsalat, dazwischen einer der klügsten Kommentare zur Causa Rammstein.
Hamburg (dani) - Wie leichtfüßig Rebecca Spilker über verschiedenste Sachverhalte schreibt und dabei unterschiedliche Nägel gleichermaßen auf den Kopf trifft, ist Offenbarung und pures Vergnügen zugleich. Wer noch nie einen Text aus der Feder dieser Frau gelesen hat, sollte das dringend ändern. "Mega!" (Ventil Verlag, 176 Seiten, Broschur, 18 Euro) bietet sich als Einstiegsdroge an. Der viel zu schmale Band versammelt, wie der knappe Untertitel besagt, "Texte", die Spilker in den vergangenen zwei, drei Jahren in verschiedenen Magazinen veröffentlichte, manche auch einfach nur bei Facebook.
Deren Form ist so unterschiedlich wie die beackerten Felder. Als roter Faden fungiert die Autorin selbst: Sie handelt ab, was immer sie gerade umtreibt. Es geht um Birkenstock-Sandalen oder Jeans, um Wandtattoos und andere Einrichtungstrends, um Salzteig, Therapiedecken, unhandliche Wachsmalkreiden, um Abhängigkeit von Käse, die Suche nach einem versehentlich vertauschten Rucksack, um den Häuptling der Apachen, uns' Winnetou, die mediale Verklärung von Zuhältern oder um Nachbarschaftsbegrünung.
Pissen gegen Denkmäler
Zwischendurch flicht Spilker Listen ein mit Event-Vorschlägen für Sankt Pauli oder möglichen Gründen für eine AfD-Fraktionssitzung. Wenn sie erst anfängt, gegen Denkmäler zu pissen (Heinz Rühmann, Vivienne Westwood) oder Punchlines auszupacken, die sich besonders gern gegen Schriftstellerkolleg*innen wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Clemens Meyer oder Juli Zeh richten, dann möchte man wahrlich nicht in ihre Schlagdistanz geraten. Man könnte sich leicht einen Schwinger einfangen.
Die Themenwahl klingt wild, wahnsinnig und verhältnismäßig wahllos, wahrscheinlich, weil sie genau das ist. Es macht aber überhaupt nichts. Egal, wie banal ihr Gegenstand gerade sein mag, man frisst ihn Rebecca Spilker vollkommen widerstandslos aus der Hand. Schlicht, weil sie hart nah am täglichen Leben, vollkommen uneitel und dabei elend witzig schreibt.
Wie zum Henker soll man aber ein Buch über Böller, Brüste und bulgarischen Schichtsalat in einem Musikmagazin unterbringen? Dankenswerterweise liefert Rebecca Spilker auch dafür gute Gründe. Sie verhandelt nämlich auch Mike Oldfields 70. Geburtstag. Oder, aus einer Mittendrin-statt-nur-dabei-Perspektive, die Hamburger Schule, "wo die Sonne nicht schien". Zu Höchstform läuft sie aber auf, wenn sie über Frauen im Musikzirkus schreibt. Darüber, wie sie behandelt werden (in aller Regel schlecht), aber auch darüber, wie sie sich teils gebärden (kaum besser).
Zwischen Selbstermächtigung und Strukturerhalt
Der lesenswerteste unter vielen lesenswerten Texten in diesem Buch heißt "Volle Elle Machtgefälle", erstmals erschienen im Oktober 2023 im KaputMag. Rebecca Spilker beschreibt da zunächst einen Barbesuch mit ihrem Lebensgefährten: "Er ist Musiker. Nicht super doll berühmt, aber schon etabliert. Er textet, singt und hält eine Gitarre. Kurz: Er steht auf Bühnen und hat vorher was gedacht und aufgeschrieben. Auch mal einen Roman. Das kommt an, so meine jahrelange Erfahrung, besonders beim weiblichen Geschlecht."
Aus der Anekdote, wie sich besagtem Lebensgefährten zwei Bewunderinnen an den Hals werfen und seine eigentliche Begleitung vollkommen ignorieren, drechselt Spilker ein Gedankenexperiment, in dem sie die Rollen umgekehrt besetzt: "Normal erfolgreiche, dem Alter entsprechend aussehende fünfzigjährige Musikerin, semiprominent, bleibt kurz allein am Tresen zurück. Sie ist mit ihrem Typen da. Da kommt der attraktive, aufgeregte, dreißigjährige Fan dazu, besetzt den noch warmen Hocker, schmeißt des Gatten Jacke ins Bier, flirtet ambitioniert und lacht sich 'nen Ast? Pardon, meine Damen und Herren - ich glaube, das passiert eher nicht oder sehr, sehr selten. Hab' ich noch nicht von gehört." (Ich auch nicht.)
Es folgen Kommentare zum Groupietum, das viele, auch entschieden frauenbewegte Frauen, zu einem Ausdruck der Selbstbestimmtheit umzudeuten versuchen, in krasser Verkennung der Tatsache, dass die Zeiten, in der dies einmal gestimmt haben mag, längst vergangen sind. Heute liefern allzu willige Fans freiwillig das Schmiermittel für eine ekelhafte Ausbeutungsmaschinerie, Rammsteins Row Zero lässt grüßen.
"Kein weiblicher Fan ist selbst schuld an seiner Missbrauchserfahrung. Punkt. Und dass ich hier darüber schreibe, welchen Anteil ein bestimmtes weibliches Verhalten am Festschreiben von Rollenerwartungen im Rock in beide Richtungen hat, heißt NICHT, dass ich ihr die Schuld für ein erlittenes übergriffiges Verhalten hinter und unter Bühnen gebe. Im Gegenteil." Da Rebecca Spilker aber auch auf die Gefahr hin, sich mit Täter-Opfer-Umkehr-Vorwürfen konfrontiert zu sehen, nicht ausblendet, dass Frauen mit ihrem Verhalten zwar keine Schuld auf sich laden, aber dennoch dazu beitragen, verkrustete Strukturen aufrecht zu erhalten, gelingt ihr zur Causa Rammstein und der ganzen Thematik darum herum locker einer der klügsten Kommentare, die ich gelesen habe - und das waren viele. (Flake kriegt übrigens in einem eigenen Kapitel das verdiente Fett weg.)
Den toxischen Teich trockenlegen
"Ich meine, es muss endlich Schluss gemacht werden mit dem Durchreichen eingefahrener Rollenbilder und Traumata von Pop-Generation zu Pop-Generation. Das gilt für Männer, aber eben auch für Frauen. Wenn wir als Frauen den toxischen Teich nicht endlich trockenlegen und damit aufhören, ihn immer wieder mit unserem überzuckerten Wasser zu befüllen, wird sich nichts ändern, bestimmte Männer, Stars und Möchtegerne werden immer wieder in ihm herumplanschen wollen. So verleihen wir ihnen Macht, geben zu viel Raum ab, der ja von uns selbst genutzt werden könnte."
Amen. Nur so kann es gehen - und es ist wirklich höchste Zeit.
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