Peter Licht
Auch 2021 wird es eventuell noch keine Konzerte geben - hast du noch Durchhaltewillen oder denkst du schon über einen Berufswechsel nach?
PeterLicht: Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, ein Konzert zu spielen. Ich hab es vergessen. Ich habe begonnen vor dem Essen auf den Deckel der Sojasoßenflasche zu klopfen und "test test test" hineinzusagen. Nach dem Essen rufe ich "Leute, kommt gut nach Haus" in die Flasche. Ich winke mit den Armen. Manchmal sage ich auch "Passt auf euch auf". Auch dann winke ich. Aber ich muss leider bemerken, dass mir keiner zurückwinkt. Der Tisch ist leer. Oder wenn noch wer dasitzt, winkt er nicht. Das bedaure ich und spüre einen Stich im Herzen. Alle haben sich in ihre Zimmer verzogen. Ich habe festgestellt, dass in meinem Umfeld der Wunsch wächst, dass ich mal wieder auf Tour gehen sollte.
CTS Eventim brachte jüngst ins Spiel, den Konzertbesuch an eine Impfung zu knüpfen. Der Ethikrat erteilte jeglichen Privilegien für Geimpfte eine Absage. Wie stehst du dieser Thematik gegenüber?
Erstmal muss ich sagen, dass ich GEIMPF für einen gar nicht so schlechten Bandnamen halte. Aber das nur am Rande. Zur Frage: Ich weiß gar nicht, ob es ein Privileg ist, zu den ersten zu gehören, die mal wieder auf ein Konzert gehen dürfen. Ich vermute nach all der Zeit völlig untrainierte Leute wie mich auf den Bühnen, die sich gar nicht mehr daran erinnern können, wie es ist ein Konzert zu geben. Außerdem befürchte ich, niemand im Publikum wird den Reflex unterdrücken können, den anderen Leuten durch Rumlaufen ausweichen zu müssen. Ich erwarte dauerhafte Wanderbewegungen im Zuschauerraum. Ständiges Hinundhergelaufe während des Konzerts, auch im Toilletten- und Barbereich. Oh Gott. Das ist für das labile Neustartselbstbewusstsein von Musikern nicht ideal. Missinterpretationen von Abwanderungen sind zu erwarten. Darunter leidet Sound und Ausdruck. Aber jetzt ganz im Ernst: Ich würde dem Ethikrat widersprechen. Einschränkung von Freiheit ist gerechtfertigt, wenn damit einer Gefahr begegnet wird. Wenn es keine Gefahr gibt, sollte man die Einschränkungen aufheben.
Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Obwohl Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Politik stützt, bröckelt die Zustimmung zu Maskenpflicht, Impfnotwendigkeit und harten Lockdownregeln. Gehen auch in deinem Freundeskreis die Meinungen auseinander?
Ganz harte Verschwöris sind mir klopf klopf klopf erspart geblieben. Klar, Diskussionen gibt es. Da bin ich dabei. Diskurs find ich grundsätzlich gut. Reden hilft. Worüber ich mich regelmäßig wundere ist die Begegnung mit der Gesprächsperle (oder Kritikperle) der fehlenden KONSEQUENZ. Also die Kritik daran, dass die Maßnahme X oder Y nicht "konsequent" sei. Kann man machen, aber ich frage mich dann immer, was soll das heißen? Was im Leben ist wirklich konsequent? Wer ist wirklich konsequent? Vielleicht ist KONSEQUENZ nur eine Frage der richtigen Erzählung. Es kommt mir oft so vor, als sei "Die Konsequenz" (auch ein guter Bandname) ein verbales oder intellektuelles Spiel. Ich misstraue den Wortführern.
Welche Lehren ziehst du für dich aus dieser historischen Zäsur? Hast du dich als Person verändert?
Ja, ich denke, ich habe mich verändert. Wir alle haben uns verändert. Grundlegend ist das Erlebnis, dass alles anders sein kann. Sehr anders als man es sich vorstellen konnte oder wollte. Ich sehe einen Zuwachs an imaginärer Kraft. Ich ziehe Hoffnung daraus.
Der medienscheue Indiepop-Songwriter PeterLicht wurde 2001 mit seinem Song "Sonnendeck" über Nacht bekannt. Jahrelang wehrte er sich gegen die Zurschaustellung seiner Künstlerpersona und versteckte sein Gesicht auf Promofotos oder in Musikvideos hinter Gebrauchsgegenständen des Alltags. Am 5. März erscheint sein fünftes Studioalbum "Beton und Ibuprofen" bei Tapete Records.
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