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Prezident

Auch 2021 wird es eventuell noch keine Konzerte geben - hast du noch Durchhaltewillen oder denkst du schon über einen Berufswechsel nach?

Prezident: Ich hab ja Außenstände in Form von tausendirgendwas verkauften Tickets seit 2019. Also selbst wenn ich keinen Bock hätte, würde ich schon deshalb lieber die bereits bezahlten Konzerte spielen als diese rückabzuwickeln. Ansonsten hatte ich ja eh nie die Vorstellung, bis ins hohe Alter allein von der Musik leben zu können und hab in jüngster Zeit auch nebenbei gearbeitet, allerdings vor allem, um ab und zu mal aus dem Haus zu kommen und blöderweise halt als Koch. Immerhin aber arbeite ich auch nicht mehr an der Uni, sonst müsste ich jetzt so grauenvolle Zoominare geben.

CTS Eventim brachte jüngst ins Spiel, den Konzertbesuch an eine Impfung zu knüpfen. Der Ethikrat erteilte jeglichen Privilegien für Geimpfte eine Absage. Wie stehst du dieser Thematik gegenüber?

Diese Gegenüberstellung stimmt ja so nicht, da der Ethikrat wohl gerade mit Blick auf Vorschläge wie den der CTS Eventim ausdrücklich zwischen staatlichen Maßnahmen und Unternehmensvorgaben unterscheidet. Angesichts dessen, woran man bislang so an Clubtüren scheitern konnte (Frisur, Schuhe, Hautfarbe) scheint mir eine solche Türpolitik jetzt auch keine schreiende Ungerechtigkeit darzustellen.

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Obwohl Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Politik stützt, bröckelt die Zustimmung zu Maskenpflicht, Impfnotwendigkeit und harten Lockdownregeln. Gehen auch in deinem Freundeskreis die Meinungen auseinander?

Man kriegt viel Schwachsinn zu hören dieser Tage und sicherlich haben auch Verschwörungstheorien Konjunktur, man muss aber auch sagen, dass der schon länger absurd ausgeweitete Begriff "Verschwörungstheorie" seit Beginn der Coronakrise noch inflationärer verwendet wird, um auch wirklich alles, was nicht vollständige Affirmation zum Kurs der Regierung (oder bestimmter Wunschvorstellungen des ÖR) ist, als esoterisches Spinnertum zu diffamieren. Die meist im selben Atemzug stark heruntergespielten Folgen der Lockdownmaßnahmen sind ja tatsächlich absolut dramatisch und gebieten schon deshalb ständige Kritik und Hinterfragung. Auch scheint mir ihre Grobschlächtigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit längst nicht mehr so verzeihlich wie noch vor zehn Monaten. Ehrlich gesagt hätte ich zu Beginn der Pandemie mit viel weniger Zustimmung und Folgsamkeit gerechnet.

In meinem Freundeskreis - soweit ich da noch was mitbekomme, die Frage ist ja fast schon ein wenig bösartig in diesen Zeiten - gibt es ein paar Hysteriker und Hypochonder, umgekehrt auch einige tatsächliche Verschwörungsesoteriker und Coronaleugner, hier und wohl auch ein bisschen Streit und ansonsten halt ein mehr oder weniger konsequentes und williges Befolgen der Regeln. Ich bin im Übrigen – Stichwort Weihnachtslockerungen - erstaunt, wie ausformuliert viele Menschen solche Regeln brauchen, um sich dann tatsächlich buchstabengenau und nicht mehr oder weniger daran zu halten.

Welche Lehren ziehst du für dich aus dieser historischen Zäsur? Hast du dich als Person verändert?

Hab Fledermäuse und Schuppentiere von meinem Speiseplan gestrichen, sonst wüsste ich jetzt für mich persönlich nichts aus diesem Schlamassel zu ziehen und glaube nicht, mich groß verändert zu haben. Aber wer weiß, vielleicht bin ich längst irre und weiß es nur noch nicht. Vielleicht schreibe ich grade mit mir selbst.

Kurz bevor die Pandemie auch uns erreichte, hatte Prezident gerade sein Album "Alles Ist Voll Von Göttern" veröffentlicht. Die Livetermine dazu standen, die Tickets waren verkauft, doch dann: alles Essig. Wiederholt verlegte der Wuppertaler Rapper die Shows nach hinten, immer in der Hoffnung, dass die kleinen und mittelgroßen Locations, die er bespielt, dann noch existieren. Inzwischen bewirbt er die Tournee galgenhumorig unter dem Titel "Ja, mal kucken, vielleicht"-Tour. Die Hoffnung ist ein zähes Biest.

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