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Schorsch Kamerun

Auch 2021 wird es eventuell noch keine Konzerte geben - hast du noch Durchhaltewillen oder denkst du schon über einen Berufswechsel nach?

Schorsch Kamerun: Ich weiß, dass unendlich viele Musiker*innen und noch mal so viele Dranhängende in einer unerträglichen Situation sind: Als tausende Bäcker, die weiterbacken, aber kaum Brötchen verkaufen können. Für einige ist das ökonomisch und existentiell zerstörerisch. Für viele auch psychologisch zum Bersten. Als das Schlimmste in diesen zähen Monaten erscheint die bleierne Verringerung unserer Weltbezüge - bei nervigstem Mehraufwand. Alles für was wir uns entschieden haben 'anders' zu machen als die 9-to-5-People vernebelt sich physisch ins Eingekehrte, oder - wenn es gut läuft - verteilt sich in digitale Simulation. Und auch wenn manch Kulturschaffende 'gut durchkommen', zusätzlich erscheint der meiste Zugriff von 'Denen da oben' bzw. den "Herren Politikern" (Helge Schneider), auf die wir täglich glotzen wie taubes Vieh, oft wie Spott und Hohn. Die Söders und Seehofers (und andere Heimatbekokste) scheißen gepflegt auf die sonst gepriesene Muse wenn es drauf ankommt und pimpern wie immer pauschal ganz zuvorderst den Wirtschaftsgaul - aus Angst, irgendwann einen Tritt von ihm zu bekommen (damit es eben weiter gut schmiert, auch nach der 'politischen' Karriere). Das ähnelt dem Vorgehen gegenüber Geflüchteten, die sie nur dann als 'nützlich' erachten, wenn diese 'relevant', also brauchbar genug sind für den Standort SCHLAND. Bis auf Weiteres blicken sie minderrangig auf alles, was nicht fortschreitenden (zerstörerischen) 'Wachstum' generiert. Es wäre besser, sie würden nach ihren Schunkelfesten die Karnevalsschweinsmasken nie mehr abnehmen, oder diese ehrlicherweise wenigstens bis zum nächsten Andreas Gabalier-Event anbehalten.

CTS Eventim brachte jüngst ins Spiel, den Konzertbesuch an eine Impfung zu knüpfen. Der Ethikrat erteilte jeglichen Privilegien für Geimpfte eine Absage. Wie stehst du dieser Thematik gegenüber?

Ich befürchte, das schafft weitere Spaltung. Ich mag die Einschätzungen von Wissenschaft, Ethikräten und Staats-Politik eigentlich nur ungern kommentieren, glaube aber, dass alles daran gesetzt werden sollte, einfach nur so schnell und so viel wie möglich zu impfen. Trotzdem, hier aus Spaß mal ein kleiner Wutbürgershowteil: Ich verstehe nicht, warum die Oberverwalter nicht mit Gummischürzen und medizinischer Plastikgesichtsvermummung zupackende (PR-) Auftritte in Scheiß-Großmehrzweckhallen Scheiß-Stadien, Scheiß-Kasernen abhalten, sie nicht (medienwirksam) sämtliche Giga-Pharmaunternehmen augenblicklich dazu verpflichten, massiv hochzufahren für genügend rettenden Impfstoff: Sie nicht endlich anfangen, erkennbar zu arbeiten und voranbringende Ereignisse schaffen, anstatt haupttätlich der nächsten Robert-Koch-VÖ entgegenzudämmern, um dann mehr oder weniger genehme, parlamentsunabhängige Dekrete vorzutragen. Warum nicht seit einem Jahr Schnelltests und Masken etc., bereitgestellt für alle? Sie sagen, es sei Krieg und befehlen das Nichtstun. So sitzen wir an Pflaumenpfingsten noch vor Glotze mit Serie drin, abends.

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Obwohl Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Politik stützt, bröckelt die Zustimmung zu Maskenpflicht, Impfnotwendigkeit und harten Lockdownregeln. Gehen auch in deinem Freundeskreis die Meinungen auseinander?

Im nahen Umfeld eigentlich nicht. Allerdings wohnen wir als St.Paulianer*innen in einer der meist besonnen reagierenden Kreativklassen-Kiezblasen. Hier gibt es zwar von Haus aus eine bestimmte Verordnungsskepsis, glücklicherweise wird aber eher queer gedacht als quer.

Welche Lehren ziehst du für dich aus dieser historischen Zäsur? Hast du dich als Person verändert?

Weiß ich noch nicht. Ich glaube es fährt schon heftig was ein gerade, in die Geister und in die Körper. Überdeutlich wird uns gezeigt wie sehr wir Gemeinsames brauchen. Es ist schon gruselig sich sicherheitsabständlich als misstrauische Gefahrentierchen zu umtänzeln, verlassen vom Zauber von Mimik und Nähe und sauber abgeschirmt durch Pickel fördernde Industrie-Munasken. Sich nicht mehr in berauscht kollektive Orte fallen lassen zu können. Konzerte, Ausstellungen, Bühnen, Saufkneipen, Gruppenknäuel. Ich sehne mich nach Menschen mit Sinnen, Gerüchen, mit großartigen Unterschieden, mit erlebbarem Quatschmachen. Ganz entsetzlich ist das. Come back Peoples!

Schorsch Kamerun veröffentlichte mit den Goldenen Zitronen 2019 das Album "More Than A Feeling". Außerdem ist er Autor, Theaterregisseur und Clubmitbegründer ("Golden Pudel Klub"). Zuletzt inszenierte er an der Stuttgarter Staatsoper das Stück "Verzauberte Welt" nach Maurice Ravel, in dem er auch selbst auftritt. Die Oper kann man bis zum 5. März 2021 hier ansehen.

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