laut.de-Kritik
"Lieber tanz ich als Gezwanz ich."
Review von Philipp Kause"More Than A Feeling" lässt sich in dreierlei Sorten Zitrone hören, je nach Stimmung: Bitter Lemon, Zitronenlimo und Heiße Zitrone. Für die Sorte Bitter Lemon haben Die Goldenen Zitronen Härte und bittere Ironie in ihre Rezeptur gemischt. Damit ist nicht Verbitterung im Sinne von Zynismus gemeint. Die Band rollt tolle Loop-Muster aus, auf denen sich Industrial-Noise surrend mit engelshaften Gesängen paart. Die Ironie fließt bereits aus der Stimme von Schorsch Kamerun.
Wem Deutschland 2019 zu kalt geworden ist, hört "More Than A Feeling" als "Heiße Zitrone". Die Texte immunisieren, dienen als Vitamin-Cocktail gegen heiser hüstelnde Geschichtsvergessenheit aus Facebook-Gruppen und TV-Talk-Shows. Wer sich mit deutscher Zeitgeschichte ein bisschen auskennt, entdeckt zahllose Anspielungen und Wortspiele. Das Album gerät zu einer (weiteren) Abrechnung mit der BRD der letzten 45 Jahre, ganz so, als wollten sie zeigen, wie Bertolt Brecht das Land heute sehen würde. Süße Zitronenlimo: Auf dieser dritten Ebene passt die Platte auf die Tanzfläche, musikalisch süß und lyrisch catchy. Sehr präzise Texte verbandeln sich mit Klangfarben aus 80er-New Wave, Punk, Elektronik, Krautrock, Detroit-Techno-Zitaten ("Es Nervt") und Oi-Punk-Hardcore.
Thematisch trägt die Band beherzt die geordnete deutschen Welt zu Grabe. Wohlstandsgewissheit und klare Fronten dominierten bis in die 80er, dann kam die Wende. Aber fast bis zum 30. Jahrestag des Mauerfalls musste man auf die Sätze in "Das War Unsere BRD" warten. Auch die überfällige Aufarbeitung des G20-Gipfels in Hamburg nehmen sich Kamerun und Co. im sechsminütigen "Die Alte Kaufmannsstadt, Juli 2017" vor, ist aber auch in Andeutungen präsent (z.B. "Lieber tanz ich als Gezwanz ich" in "In Der Schleife").
In den drei Songs "Katakombe", "Gebt Doch Endlich Zu Euch Fällt Sonst Nichts Mehr Ein" und "Mauern Bauen (Testweise)" knöpfen sich die Zitronen den Asylstreit vor. Durchweg wieder mit beeindruckend breitem Wortschatz, wie er im deutschen Liedermachergut äußerst selten ist, mit voller Härte, Schärfe und Exaktheit eingesetzt. Das Highlight des Albums, "Das War Unsere BRD", eröffnen die Zitronen so: "In lustvoll verwüsteten Räumen großzügig die Körper hergeschenkt / Hart an der Unverletzlichkeit arbeitend / Benennen können das andere, das alte". Federndes Schlagzeugpeitschen, ein spannungsgeladenes 47-Sekunden-Intro, so baut sich die "orangene" Klimbim-BRD auf, die üppig junge, graue, verhasste, braune, heterosexuelle. All diese Eigenschaften und viele weitere schreibt Ted Gaier, Multi-Instrumentalist und Texter, dem Land zu.
"Unsere weiße, monodeutsche Petra Kelly-BRD" wechselt mit der "Brutalismo"- und der "Latzhosen"-BRD, frivol, nostalgisch verklärt, und dann: unsere "erbsensuppengrüne" BRD. Es ist das Wort dieser Platte, weil es so respektlos ist. Weil es als pars pro toto steht, überforderte Polizei inkludiert, miese Kulinarik, schöne grüne Natur, die Grünen in der alten BRD als belächelte und gemaßregelte Außenseiter, die Grünen in der neuen als stramme NATO-Befehlshaber und Medien-Lieblinge. Die Zitronen sehen "Polizisten im Safari-Look" und sehen die Deutschen "vereint im Konsum und im Zweifel daran". Im Karikieren deutscher Verklemmtheit reicht ihnen da nur noch Hape Kerkeling das Wasser.
In "Gebt Doch Endlich Zu Euch Fällt Sonst Nichts Mehr Ein" stellt sich die Frage, ob ein Sprachniveau wie "fucking Bibel" zur von den Zitronen gewünschten Dialogfähigkeit gehört. In "Es Nervt" macht sich die Band zusammen mit der feministischen, anti-rassistischen Aktivistin LaToya Manly-Spain über Gutmenschentum lustig. Wir schaffen das? Nein, denn da werden alle mit "großem gemeinsamen Wir (...) ungefragt eingemeindet" und verpflichtet. Bang! So bekommen auf dem Album beide großen Lager der Asylstreit-BRD ihr Fett weg, das rechte etwas häufiger, was nicht überrascht.
Musikalisch ist das Album frei von Redundanzen: Alles dabei von Post-Rock, Spoken Word Dub Poetry über Yello-Beatschleifen bis Psychedelic Furs-Punk. Die letzten beiden Tracks sind sogar eine Art episches Theater im Pop-Format.
"More Than A Feeling" entlarvt, wie Filterblasen-Gefangene heutzutage über jedes Stöckchen springen, das die jeweilige Gegenseite bereithält. Sexisten können das Land beeinflussen, Prediger des Wirtschaftswachstums Talkshows dominieren und fantasielose Brauchtumsverteidiger die Realität leugnen. Derweil können Linke keine Mehrheiten mehr organisieren. Formulierungen wie "Nikotinfinger" oder "das Radio als Rauchzeichenmelder" versinnbildlichen die Komplexität unserer Welt, die nach einer klaren Ausdrucksweise verlangt. Um sie zu bewältigen. Um Geschichte zu verstehen.
2 Kommentare mit 10 Antworten
einmal mehr gilt für sie: man möchte das so gern mögen!
aber leicht ist das nicht. die texte für sich genommen funktionieren durchaus in ihrer knallhart servieren, leidenschaftlichen direktheit.
die soundscapes gehen für sich genommen auch teilweise klar.
aber beides zusammen klingt einmal mehr unnötig anstrengend, bar jeder songwriterischen inspiration, bar jeder zündenden melodie aber als bewusst unkommerzielles arrangement dann ach wieder nicht radikal genug.
mit anderen worten: sie verpassen es regelmäßig - und auch hier - die interessanten gedanken und botschaften auch musikalisch ansprechend rüber zu bringen. schon allein dieses agit-diskurs-gekeife der vocals senkt die erträglichkeitsdauer beträchtlich.
fazit: guter kern im fiesen mantel!
Der fiese Mantel gehört dazu. Unbequemes in Bequemlichkeiten wäre eben nicht Die Goldenen Zitronen. Punk, Metal, Elektro usw. hört sich idR ähnlich albern an wie Rohrspatzen, wenn es denn überhaupt politisch sein will. Und keine Musikrichtung verstört heute noch irgendjemanden. Es kann für mich überhaupt keine andere klangliche Verpackung für diese speziellen Inhalte geben als die, welche die Zitronen für sie ausgesucht haben.
Wie jetzt? Die machen kein Trap?
Dann hast du die neue Xiu Xiu noch nicht gehört.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
aus meiner sicht, lieber ragism, verläuft die trennlinie nicht etwa zwischen bequem/unbequem, sondern zwischen inspiriert und gekünstelt.
ich habe aber auch eh ne deutsche diskurs-fzzi-allergie, gebe ich zu.
die zitronen mag ich als typen und inhaltlich schon sehr. aber musikalisch? ich gebe mal zwei gegenbeispiele:
zum einen die tollen klez.e, die subversive texte sinnlich rüberbringen, ohne so vorlesungshaft daher zu kommen.
zum anderen: wenn schon schroff, dann bitte konsequent und heftig wie etwa der späte scott walker. im vergleich zu dessen verstörendem avantgarde-ansatz, klingt das hier doch so dröge wie ne k-gruppenbesprechng der örtlichen kommnen-wg.
Kann ich absolut nicht nachvollziehen. Gerade musikalisch ist die aktuelle Platte enorm gewachsen. Allerdings würde ich bei den Zitronen auch etwas weniger von Songs im klassischen Sinne, sondern eher von Performances sprechen. Wie die Rezension schon andeutet, haben die Zitronen etwas Theatralisches. Da wäre die totale Kakophonie genauso unpassend wie eingängige Populärmusik.
guter gesichtspunk(t).
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
"agit-diskurs-gekeife":
Diskurs ganz viel, ja.
Agitation i.S. von Ton, Steine, Scherben sehe ich hier nicht,
auch Die Sterne trotz Überschneidung in der Besetzung klingen mir weit weg.
Wenn Agitation = Imperative enthält. // klez.e muss ich mal nachholen. // Vorlesung sinnlicher zu vertonen, ja, das fehlt hier zwar ; dafür ist die Platte sehr aktuell, wenn auch vielleicht nicht jahrelang ausgereift. // @Ragism, ja, das mit dem Theater war mir wichtig anzudeuten. // Entwicklung: finde ich schon. Nicht immer kamen sie hier auf Laut gut weg.
Dafür, dass wir eine sehr verworrene Gemengelage haben, sind sie für mich die erste Stimme, die Argumentationsfehler auf allen politischen Seiten aufdeckt
(und evtl ist das auch eine der Aufgaben von Künstlern die mit der deutschen Sprache ihr Geld verdienen, auf semantische Verschiebungen hinzuweisen und Wörter mal zu definieren / das Wort "BRD" ist zB nicht dasselbe wie 1988, und wenn doch, dann kann man wieder den Vorwurf erheben, "Wessis" hätten "Ossis" unterpflügt, aber das Wort zu definieren ist noch nicht agitatorisch, mehr wachrüttelnd, den Geist anregend - oder?).
Danke, HiPhil! Du hast meine Verwirrung beim Vorwurf der Agitation gut entwirrt. Im Gegensatz zu den meisten Punkbands machen die Zitronen keine Forderungen, keine Parolen. Sie sind eher scharfe Beobachter, denen man sich kaum entziehen kann.
Groß, ganz groß.