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1: The Slits

Frauen sollen für Kindererziehung und Männerbespaßung zuständig und im popkulturellen Rahmen gerade gut genug für einen Platz in der zweiten Reihe als Backgroundsängerin sein? Das "Cut"-Cover fordert das Gegenteil: Freie Selbstbestimmung. Es zeigt die Musikerinnen nackt, nur mit Lendenschurz bekleidet, und offenbar gerade einem Schlammbad entstiegen. Kriegsbemalung. The Slits inszenieren sich - noch bevor man einen Ton ihrer Musik gehört hat - als Kollektiv, das auf der Suche ist nach einem ureigenen Platz im von Männern dominierten Musikgeschäft.

Dennoch versuchen Männer immer wieder, Einfluss auf die Slits zu nehmen. Mick Jones von The Clash möchte die Band gerne in einen weiblichen Rock-Act nach dem Vorbild seiner eigenen Band formen, ebenso Malcom McLaren, der Manager der Sex Pistols. Ihm schwebt eine weibliche Version seiner Skandalband vor. Beidem verweigern sich die Frauen.

"Sie wussten nicht, ob sie uns ficken oder töten sollen", fasst Slits-Gitarristin Viv Albertine in ihrer Autobiografie "A Typical Girl" die ihrer Band entgegen geschleuderte und heute kaum noch fassbare Verachtung prägnant zusammen. The Slits verhielten sich seltsam und sangen über seltsame Dinge wie weibliche Identitäten. Es war die andere, weniger bekannte "Anarchy In The U.K."

Als die Gruppe The Clash auf deren 1977er Tour supportet, beherrscht kaum jemand ein Instrument. Es geht nur darum, in Stein gemeißelte Frauenbilder mithilfe völlig enthemmter Bühnenshows zu zertrümmern, wozu etwa Urinieren auf offener Bühne hilfreich ist, während das Publikum einer ohrenbetäubenden Kakophonie ausgesetzt wird.

Als das Debüt "Cut" 1979 erscheint, hatte sich einiges verändert. Der rohe Punk-Sound verbindet sich mit Roots-Reggae-Rhythmen. In Ari Up haben sie eine der charismatischsten Gesichter des Genres als Frontfrau. Präzision am Schlagzeug, die kantige Gitarre von Viv Albertine, der stets hin- und her springende Bass von Tessa Pollitt sowie das Expertentum des Produzenten Dennis Bovell, einer Schlüsselfigur der britischen Reggae- und Dubszene, führen zu einem kruden Sound-Amalgam. "Wir wollten auf keinen Fall männliche Rhythmen spielen, so seltsam das klingen mag", erklärte Albertine einmal ihren Stil.

Mit dem Tod Ari Ups im Oktober 2010 endet die Geschichte der Slits auf tragische Weise. Im Alter von 48 Jahren stirbt die Sängerin nach langer und schwerer Krankheit, wie ihr Stiefvater John Lydon auf seiner Homepage mitteilt. Im vergangenen Jahr scheitert eine Kickstarter-Kampagne für die Doku "Here To Be Heard: The Story Of The Slits" am Finanzierungsminimum. Von den "Cut"-Wiederveröffentlichungen der Jahre 1990, 2000 und 2015 fließen laut Viv Albertine keinerlei Tantiemen von Island Records an die Band.

Und doch bleibt ihr Vermächtnis größer denn je. Zu den Bewunderern der Band zählt die komplette "Riot Grrrl"-Bewegung aus den frühen 90ern. Lassen wir deshalb ausnahmsweise zum Schluss einen Mann die große Lobhudelei aussprechen: "Als ich begann, mich für Punkrock zu interessieren, öffneten mir The Clash und The Slits neue Horizonte. Durch sie habe ich erst erfahren, was Reggae ist. Beide standen immer hinter diesem Einfluss. Danach wollte ich mehr herausfinden." (Mike D.)

Album-Tipp: "Cut"

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