150 Bars Infinity
Als die Kollegen Leier und Gölz gestern angefangen haben, sich über PA Sports "150 Bars Infinity" zu ... nun, ja ... zu wundern, war mein erster Gedanke jedenfalls: Hö? Ist das neu? Muss wohl: "Yeah, es ist wieder soweit: Alle zwei Jahre grüßt das Murmeltier, heh!" Murmeltiertag, ich sags ja. Hören wir uns das Ding erst einmal an:
Wow. Die Hurensohndichte im Einstieg ist jedenfalls schon einigermaßen hoch: Noch bevor es richtig losgeht, sieben Hurensöhne in zwanzig Sekunden unterzubringen, das muss einer erst einmal schaffen. PA scheint stolz drauf, "das hab' ich ganz allein geschrieben". Aber er ist ja auch angetreten, um zu demonstrieren, "wie ein richtiger Mann rappt".
Na, darauf hab' ich ja gewartet. Endlich wieder freudlos grimmiges In-alle-Richtungen-Treten, habt ihr es auch so vermisst wie ich? PA Sports Followerschaft ist jedenfalls von den Socken: Mehr enthusiastische Endlich-wieder-richtiger-Rap-Kommentare findet man sonst nur unter Videos von den Beginnern oder Fettes Brot.
Dabei kann ich einige von PA Sports' Punkten schon gut nachvollziehen. Ich bin ja durchaus auch Riesenfan davon, wenn Rapper*innen Rap als Kunstform betrachten, nicht als Produkt. Skills, beim Texten, am Mic, im Studio, live: 'ne feine Sache, gegen die niemand irgendetwas haben kann. In meiner naiven Vorstellung, wird jemand ja deswegen Künstler*in, weil er*sie den Drang hat, irgendetwas zu erzählen. Wenn ich diesen Drang verspüre, dann lass' ich das doch niemanden sonst schreiben. Wenn nicht, such' ich mir besser ein anderes Betätigungsfeld. Ghostwriting muss man trotzdem nicht zwingend verteufeln. Wenn das Ergebnis stimmt und irgendwen reich und andere Leute glücklich macht, warum zum Teufel nicht? Verstehen muss ich es nicht.
Ich versteh' auch nicht, warum Leute auf eine Bühne steigen, um dort eine Playbackshow abzuziehen, und noch weniger, warum andere Leute da hingehen und dafür bezahlen, sich etwas vorspielen zu lassen, das sie sich zu Hause in besserer Soundqualität anhören könnten. Am wenigsten versteh' ich, warum Menschen Rapper*innen werden, die so sichtlich wenig Spaß an dem haben, das sie da tun. Womit wir wieder bei PA Sports wären, der den Namen seines Labels schon recht treffend gewählt hat: Life is Pain. Nach Spaß sieht da oben wirklich gar nichts aus.
... und dann macht er die ganz großen Fässer auf. "Gleichberechtigung" nennt er, wenn er auf deutsche Rapperinnen eindrischt:
"Reden von Gleichberechtigung, aber wenn ich sage, dass sie scheiße rappen, heißt es: 'Es sind Frauen, also zeig' Respekt.' Die Kleine will behandelt werden, als ob sie ein Mann wär'. Also fick' ich sie für wacke Scheiße, als ob sie ein Mann wär'. Nein, wir hab'n noch keine Missy, keine Lil' Kim oder Nicki, doch sie wollen es unbedingt künstlich erzeugen wie Graffiti. Bringt mir alle eure Rapperinnen, glaubt mir, Rua fickt sie."
Rua ist natürlich besser als alle anderen. Klaro. Das ist ja seine. Hey, PA, kleiner Hinweis: Du trittst hier nicht die Frauen gleichermaßen wie die Männer, du trittst NUR Frauen. Von Männern ist gerade gar keine Rede.
"Ich verneige mich vor keinem, was bringt Female-Empowerment, wenn Typen im Hintergrund alles schreiben und entscheiden? Wen verarscht ihr mit der Scheiße? Macht Rap zu eurer Geisel, doch an jeder Zeile, die die Kleine spittet, hängt ein Preisschild."
Nächster Punkt also: Ghostwriting. Okay, siehe oben. Kann man machen. Warum PA aber tut, als sei es eine Spezialität von Rapperinnen, sich aus dem Hintergrund zuarbeiten zu lassen und ihre "Kunst" als Ware zu verhökern ... also, MIR fielen da reihenweise Männer ein, die genau diese Schiene fahren. Gleichberechtigung, hmm?
Dann gehts ein bisschen um Realness, ein bisschen ums Labelgeschäft, ein bisschen um Stress auf der Straße, ein bisschen um Stress im Privatleben (am Murmeltiertag braucht man sich vielleicht nicht unbedingt darüber beschweren, derlei schon ein-, zwei-, siebzehn-, vierhundertmal gehört zu haben), getoppt mit ordentlich Selbstdarstellung. Klappern gehört im Rap zum Handwerk, is' ja gut, aber wenn es dann gleich Vergleiche mit Nelson Mandela und Oskar Schindler hagelt, wirds schon minimal lächerlich. Jesus vielleicht noch?
Next! Wenn "ein richtiger Mann rappt", darf das natürlich nicht ohne Seitenhieb auf "eure woke Scheiße", gendersensitive Sprache und die angebliche Cancel Culture vonstatten gehen:
"Seh' in eurer woken Scheiße keine Relevanz, solange kleine Kinder sterben. Sie reden von Gendern, während Schlauchboote kentern. Das ist kein Whataboutism."
Doch, Junge. Das ist so ungefähr die Definition von Whataboutism.
"Das ist kein Whataboutism, es herrscht Krieg in unsern Ländern. Erzähl' einem Mädchen aus Teheran vom westlichen Feminismus. Ihr habt First-World-Problems und schaut nur in eine Richtung. Auch wenn Fressehalten besser ist, ich halte meine Fresse nicht, selbst, wenn ich der Letzte mit 'ner Message bin."
Die Message muss ich genau so verpasst haben wie die Erklärung dafür, wie der Verzicht auf ein Gendersternchen ein Schlauchboot vorm Absaufen bewahren kann.
"Minderheiten werden zu Faschisten, kämpfen mit denselben Mitteln, canceln Leute so wie Tiere, weil sie bisschen anders ticken. Manche Dinge noch nicht blicken, sind fanatisch und gerissen. Jeder von uns sollte jeden von euch Hurensöhnen ficken."
Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Genau wie den letzten Part, dessen Sinn sich mir einfach gar nicht mehr erschließt. Erzähl' doch mal bitte dem Mädchen in Teheran von "Mio bar im Tresi, private(n) Helis und scharfe(n) Ladys". Mal gucken, ob sie das hilfreicher findet als westlichen Feminismus.
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