Deutschraps böses Erwachen
Deutschraps Nähe zu Verschwörungsmythologen der unterschiedlichsten Couleur gehört tatsächlich nicht gerade zu den Punkten, die einem leichter machen, Genre-nich-so-affinen Menschen die eigene glühende Liebe zu dieser seltsamen Sache zu erklären. Mit diesem Problem hadert auch Mathias Liegmal in seinem Kommentar bei ALL GOOD:
"Als Deutschrap-Fan hatte man es 2019 wahrlich nicht leicht", lässt er etliche Preinlichkeiten des vergangenen Jahres Revue passieren, um kurz darauf festzustellen, dass das Jahr 2020 da (wie in vielen anderen Bereichen) noch eine Schippe draufgelegt hat. "Mittlerweile vergeht kaum mehr eine Woche im Deutschrap, in der es keinen Grund zur Aufregung gibt. Tweets, Instagram-Posts, Interview-Aussagen oder natürlich Song-Texte – irgendwas ist immer. Shitstorms voller Empörung treffen regelmäßig auf halbherzige Entschuldigungen oder trotzige Reaktionen voller Unverständnis."
Liegmal versucht, die Ursachen für diese Empörungsspirale zu packen zu bekommen. "Deutschrap im Jahr 2020 ist bei weitem nicht mehr das, was er 1995 oder auch 2005 noch war. Deutschrap ist weiblicher und bunter, ja ganz allgemein: vielfältiger geworden. Dass es immer häufiger auch innerhalb der Szene starken Diskussionsbedarf gibt, ist da zunächst einmal unausweichlich – aber letztlich vor allem auch ein Zeichen von gelebtem Pluralismus."
Er schreibt vom nostalgisch verklärten "Früher durfte man noch ..." der einen, von der Lernfähigkeit der anderen, vom Höher-Schneller-Weiter-Wettbewerb, egal, ob es nun um Silbenzahl oder die immer noch krassere Provokation geht, und von der Unsitte, sich hinter Ironie oder angeblichen oder tatsächlichen Szene-Gepflogenheiten zu verstecken. Als Beispiel für letzteres zitiert er aus einem Gespräch zwischen Fernsehkoch Tim Mälzer und Haiyti über die Verwendung des Wortes "schwul" als Synonym für "scheiße".
Die Antwort der Rapperin offenbart das komplette Unverständnis für die zugrunde liegende Problematik: Sie verwende "schwul", "weil es provokanter ist". Wen genau sie provozieren wolle, konnte sie nicht sagen, aber sie kenne auch keinen Schwulen, der sich von ihrer Verwendung des Wortes angesprochen fühle. Mälzers Einwand, er kenne solche Betroffenen sehr wohl, parierte sie, indem sie die, die sie absichtlich oder versehentlich beleidigt hatte, gleich noch einmal beleidigte: "Ich kanns ja auch nicht wissen, dass manche Schwule so sensibel sind. Jemand Intelligentes weiß, dass ich die nicht anspreche, weil das Kunst ist."
Nicht zum ersten Mal beschleicht mich der Eindruck, es in Haiyti wirklich nicht mit der allerhellsten Kerze auf Deutschraps Torte zu tun zu haben. Liegmals Kommentar dagegen: lesenswert, also lest ihn. Hier entlang.
Inhaltlich konnte ich mit Haiyti ja ohnehin nie viel anfangen. Ist ja kaum was drin. Find' trotzdem regelmäßig ziemlich cool, was sie mit ihrer Stimme anstellt. Das gilt auch für "Sweet" wieder: Diese Stellen, in denen der Gesang ins Kratzige, Angeknockte kippt ... fast so geil wie Massivs Überschnapp-Momente.
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