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Wer keept die Gates?

"Früher war alles besser": Über die Vernageltheit dieser Behauptung hab' ich mich ja schon öfter echauffiert. Es stimmt halt einfach so gar nicht. Wenn man mal die dicke Nostalgiebrille absetzt, landet man sehr schnell doch viel eher bei "Wir hatten ja nix." Okay, wir hatten MC Rene (Was das beweist oder widerlegt: Entscheidet selbst!), und im Gegensatz zum Großteil der Hip Hop-Medien ist der immer noch da:


Uff. Vielleicht hätte ich DOCH zu diesem Ist-Rapjournalismus-tot?-Talk gehen sollen. Ich weiß jedenfalls gar nicht, wo ich hier anfangen soll. Ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt verstehe, worauf Rene da eigentlich hinauswill. Genau genommen weiß ich noch nicht einmal, ob er das selbst so genau weiß.

Bejubelt er da wirklich, dass nahezu alle Rap-Magazine, die es einmal gab, über den Jordan gegangen sind? Kann ich nicht feiern. So zweifelhaft ich die Hip Hop-Medienlandschaft auch oft genug fand: Größtenteils waren da doch wohl Kolleg*innen am Start, die für Hip Hop brannten und literweise Herzblut in ihre Publikationen haben fließen lassen. Wie kalt und zynisch, den Wegfall solcher Plattformen (und damit ja auch den Wegfall von Jobs) mit einem "Die sind tot, und das ist auch gut so" abzuwatschen. Den Aufmacher find' ich also schon mal megaunsympathisch, sorry.

Im Folgenden beklagt Rene posthum die Fähnchen-in-den-Wind-Hängerei der verblichenen Branche. Die gab es sicher, den Vorwurf aber daran festzumachen, dass er selbst mal verrissen, mal gelobt wurde: mindestens fragwürdig. "Der gleiche Mensch, derselbe Rapper" - aber vielleicht sprachen da unterschiedliche Rezensent*innen, hmm? Vielleicht mochte eine, was dem anderen nicht reinlief? Vielleicht haben sie unterschiedliche Songs, unterschiedliche Alben besprochen, und kamen deswegen zu unterschiedlichen Urteilen? Vielleicht erschien ein Release auch zu einer Zeit passend, hatte sich aber überlebt, nachdem sich die Uhren weitergedreht hatten? Vielleicht hat sich der Geschmack des Rezensierenden gewandelt, oder die Lebensumstände? Zeiten ändern dich, da ist es doch völlig legitim, Musik (deren Wirkung ja eine zutiefst subjektive Angelegenheit ist) oder ihre*n Urheber*in in einem anderen Moment anders wahrzunehmen? Es gäbe schon zwei oder drei Gründe dafür, ohne dass man direkt Opportunismus unterstellen muss.

Dann feiert Rene den Wegfall der Gatekeeper-Funktion, den (Rap-)Journalismus einst hatte: Joah, ich versteh' durchaus, dass man als Demokratisierung, als Öffnung empfinden kann, wenn es die Schaltstellen nicht mehr gibt, an denen jemand mit Definitionsmacht entscheidet, ob etwas hot oder Schrott, hörens- oder ignorierenswert ist. Klar ist gut, wenn Künstler*innen niemanden mehr brauchen, der ihnen den Scheinwerfer anknipst, weil sie unmittelbar mit ihren Fans kommunizieren und ihr Zeug direkt unter die Leute werfen können. Dass deswegen die Gates nicht mehr gekeept würden, ist aber schon eine erstaunlich blauäugige Vorstellung. Es entscheidet vielleicht nicht mehr ein*e Journalistin darüber, was ich überhaupt zu sehen bekomme, inzwischen erledigen das Algorithmen. Na, danke. Ich weiß nicht, ob ich dem Urteil von Kolleg*innen, denen ich glaube, dass sie Hip Hop lieben, nicht irgendwie mehr vertraue, als Maschinen, die Konzerne einzig und allein zu dem Behufe programmiert haben, Profit zu machen, und denen Hip Hop abseits seiner Monetarisierbarkeit komplett am Arsch vorbeigeht.

Dass sich Rap-Medien mit ihrer Anbiederei an Künstler*innen und Labels selbst zu billigen Promo-Apparaten und damit verzichtbar gemacht haben: Ja, das seh' ich auch so. Das spricht aber doch nicht gegen, sondern FÜR echten Rapjournalismus.

... und dann dieser komische Aufruf zum Selbermachen: "Du willst über Sound sprechen? Mach einen Podcast. Du willst Kontext schaffen? Schreib einen Newsletter. Du willst Underground vorstellen? Kuratiere eine Playlist." Ja, dagegen spricht überhaupt nichts - sofern jemand die zeitlichen, technischen und finanziellen Ressourcen dafür hat. So vom Glück geküsst sind halt bei weitem nicht alle. Weswegen in der schönen neuen Welt à la Rene beim Versuch, zugleich Musik und PR dafür zu machen und dann auch noch ihre eigenen Kritiker*innen zu sein, wahrscheinlich mehr kleine(re) Acts unter die Räder kommen dürften, als die ignoranten Gatekeeper*innen vorher nicht haben mitspielen lassen.

Ganz grundsätzlich gefällt mir schon nicht, wie wenig da irgendein Community-Gedanke mitschwingt. Rapmedien waren - zumindest für mich - auch immer eine Anlaufstelle, Orte, an denen man Leute treffen konnte, die ähnliche Interessen haben, oder ganz andere, und mit denen man sich dann über Musik austauschen konnte. Was ja wohl eine der besten Aspekte von Musik überhaupt ist: Sie verbindet, schafft Gemeinsamkeiten. Wo findet das denn bitte statt, wenn jede*r in seinem eigenen Podcast Selbstgespräche führt, einen eigenen Newsletter schreibt, eine eigene Playlist kuratiert?

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1 Kommentar

  • Vor 2 Tagen

    Das Lockern des Gatekeepings wäre auch sicher von Seiten der Hip-Hop-Medien und Communities gegangen. Ich selber fand mich in meiner Lokalität auch in einem Bereich wieder, in welchem Personen in den 2010ern noch in Dipset-Montur rumliefen, vom "echten Hip-Hop" sprachen und generell die größten Progressionsbremsen waren, die sich auf jedem Line-Up selbst als Headliner setzten.

    Es hatte fast schon faschistische Züge, so groß waren die Vorbehalte, wenn nicht sogar die Angst vor neuen musikalischen Wegen wie z. B. Autotune, Mumblerap und ganz am Anfang sogar noch Trap selbst.

    Das größte Problem an der jetzigen Zeit ist gar nicht mal der Algorithmus an sich oder die Tatsache, dass man selbst sein eigener PR-Manager sein muss. Früher ging sowas ja auch ganz gut mit MySpace und viele haben dadurch ja ihre Karriere ins Rollen gebracht. Es ist diese Tatsache, dass man wirklich jeden Tag irgendeinen Scheiß posten muss und nicht mehr konzentriert Releases mit Promo-Phase rausbringen kann. Dieses Privileg zu haben, wie z. B. ein Frank Ocean oder diverse andere Indie-Artists, ist einfach ein Sechser im Lotto.

    Ich denke mir immer, ich will intelligenten und erinnerungswürdigen Stuff schaffen, aber das braucht eben Zeit und Konzentration. Ich kann einfach nicht nebenher noch irgendwelche künstlerischen Sidehustles zu meinem Vollzeit-Job machen, weil das Künstlerische ist bereits der Sidehustle. Wenn ich jetzt noch irgendwelche Tiktoks und Reels produzieren muss und mit Agenturen konkurriere, die die Ressourcen für tägliche Uploads haben, nee, das klappt defintiv nicht.