Seite 1 von 40

Wenn man keine Ahnung hat: einfach mal predigen!

"Wie lange wollen wir die Verherrlichung von Gewalt noch 'Kunst' nennen?", fragt Journalistin Helga Hirsch da. Gegenfrage: Wie lange wollen wir die Verbreitung von gefährlichem (wenn überhaupt) Halbwissen, noch Journalismus nennen?

Medien, deren Kernkompetenz einfach anderswo liegt, haben schon so viel Unsinn über Rap geschrieben, dass noch mehr davon einfach an dem dicken Fell abperlen sollte, das man sich als lesender Hip Hop-Fan über die Jahre zwangsläufig hat wachsen lassen. Manchmal möchte man aber trotzdem weinen. Oder kotzen. Oder beides.

Wann hat die ZEIT eigentlich die schöne Tradition auf den Mond geschossen, dass ein Autor zu dem Thema, über das er sich öffentlich verbreiten darf, wenigstens rudimentäres Grundwissen besitzen muss? Niemals würde man doch jemanden, der sich erst darüber schläuen muss, wer noch gleich dieser Wolfgang Schäuble war, über deutsche Finanzpolitik referieren lassen. Jemand, der Joachim Löw nicht kennt, schreibt vermutlich auch eher selten über Fußball. Aber mit Hip Hop kann man es ja machen.

Nein, es handelt sich keineswegs um eine böswillige Unterstellung, wenn ich Helga Hirsch die Sachkenntnis abspreche, die erforderlich wäre, um eine flotte Schlussfolgerung des Kalibers "Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Tod von Tugce A. und Gangsta-Rap" zu ziehen. Frau Hirsch gesteht ihre völlige Unbelecktheit so offensiv ein, dass ich mich davon tatsächlich wie geohrfeigt fühle: "Ich gestehe, dass ich den Namen Herrn Haftbefehls noch nie gehört hatte. Ich gestehe, dass ich erst googeln musste, um zu verstehen, warum an seiner Kunst im Zusammenhang mit Tugces Tod etwas falsch sein könnte."

Soweit nicht schlimm. Man muss sich nicht für deutschen Rap interessieren. Gut möglich (wenn auch wirklich schwer vorstellbar), dass einem in diesem Fall der Name Haftbefehl dann tatsächlich bisher nicht begegnet ist. Dann sollte man sich aber doch davor hüten, zu glauben, nach einer Googlesuche wisse man Bescheid. Und bittebitte sollte man tunlichst unterlassen, zum Thema dann auch noch zu predigen.

Frau Hirsch hat zwar eben erst Bekanntschaft mit Haftbefehl und seinem Werk geschlossen, hat aber schon alles durchschaut: "Offensichtlich glauben Verletzte und Diskreditierte, sich ihren Hass nicht anders als im Tabubruch aus der Seele schreien zu können. Offensichtlich suchen Männer (und nur Männer) diesen Tabubruch gezielt, um es dem Scheiß-System und den Scheiß-Börsenhaien und den Scheiß-Juden und den scheiß Anwälten und allen anderen heimzuzahlen, die dieses System stützen und von ihm profitieren." Ach, so!

"Nur: Wie lange sollen Hass und Verachtung als Kunst ausgegeben werden? Wie kann es sein, dass selbst seriöse Zeitungen wie die ZEIT Herrn Haftbefehl feiern als 'deutschen Dichter der Stunde'?" Letzteres fragte ich mich zwar auch gelegentlich - bis eine viel drängendere diese Frage beiseite schob: Wie kann es sein, dass selbst seriöse Zeitungen wie die ZEIT ihren Feuilletonplatz an Autoren vergeuden, die über ihr Sujet so wenig wissen? Warum schreibe ich eigentlich nicht für deren Wirtschaftsressort?

"Warum habe ich mich so lange von seinem und von ähnlich maßlosem Protest nicht herausfordern lassen - zum Streit?" Frau Hirsch, mit Verlaub: Für einen richtigen, am Ende noch konstruktiven Streit bräuchte es schon eine solidere Grundlage als husch-husch angelesene Oberflächlichkeiten und Vorurteile. Ich hoffe inständig, Sie beraten den Bundespräsidenten in Angelegenheiten, von denen Sie ein bisschen mehr verstehen.

Den ganzen Artikel "Herr Hassbefehl und sein Fan" findet ihr in der ZEIT-Ausgabe vom vergangenen Donnerstag oder aber - kostenpflichtig - hier.

Seite 1 von 40

Weiterlesen

Noch keine Kommentare