"Man kann über Neonazis reden, aber nie mit ihnen"
In Sprachlosigkeit versuchen sich die Verantwortlichen bei Kiss FM zu verstecken. Denen flog zum Glück, ich erzählte es bereits, die Sendung gründlich um die Ohren, in der offensichtlich völlig überforderte Moderatoren unreflektiert dem Neonazi-Rapper Makss Damage eine Plattform boten. Auf die Empörung reagierte der Sender (so sich das überhaupt als Reaktion bezeichnen lässt) mit einem schwammigen Statement und einem zweiten Teil der Sendung, die sie inzwischen unter den Teppich zu kehren versuchen. Diesmal zu Gast: ein Vertreter der Initiative "Kein Bock auf Nazis", einer vom "Regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus" aus Schleswig-Holstein, Bernd Siggelkow, Gründer des Kinder- und Jugendhilfswerks "Die Arche" und Anna Groß vom Berliner Label Springstoff, wo sie sich traditionell klar gegen Rassismus und Sexismus positionieren.
Allein: Kiss FM bekam den Karren auch im zweiten Teil ihrer Sendung "Deutschland - Dein Land?" nicht mehr aus dem Dreck. "Man kroch zu Kreuze, ohne sich jedoch wirklich zu entschuldigen", resümiert Georg Bakunin für Vice.
"Sebastian von 'Kein Bock auf Nazis' erklärt dem Sender, wie man hätte vorgehen sollen. 'Nachhaken, nachfragen, die abstruse Doppelmoral der Propaganda entlarven.' Dass man Moderatoren so etwas erklären muss, bringt einen schier zur Verzweiflung. 'Nazis stellt man nicht bloß, indem man sie fragt, ob sie auch Pizza und Döner essen.' Abschließend stellt er vollkommen richtig fest: 'Für all das brauch ich jedoch keinen Neonazi in der Sendung, man kann auch einfach mit Leuten reden, die sich mit Neonazismus beschäftigen, statt so jemandem eine Plattform zu geben.'"
"Dabei geht es um ein viel tieferliegendes Problem", so Bakunin weiter. "Die Akzeptanz von rechten Themen in der Medienlandschaft. Und in der Politik. Und im Alltag. Das Traurige ist, dass ein Großteil der Beteiligten auf Nachfrage jederzeit voller Inbrunst behaupten würde, mit so etwas nichts zu tun zu haben. Der konservative Rechtsruck in den Diskussionen, die Fragen 'Warum darf man das nicht?' oder 'Was können wir denn heutzutage für die Fehler unserer Vorfahren?' sind alltäglich geworden. Wer sie ausspricht, gilt nicht mehr als Außenseiter. 'Facetalk mit Lukas und Toyah' hat da keine Ausnahme gebildet. Eine Sendung, geprägt von einem Diskurs, der immer normaler wird. 'Was ist denn eigentlich so schlimm an Nationalismus/Patriotismus?' Diese Frage schien letzte Woche allgegenwärtig. Ein Blick in die Geschichtsbücher sämtlicher Nationen könnte helfen."
Makss Damage hat die ungewohnte Aufmerksamkeit offenbar so viel Oberwasser beschert, dass er Shahak Shapira, der Schriftsteller, der (anders als der Neonazi) bei Kiss FM nicht live zu Wort kam, zweierlei angeboten hatte: "Die schönste Geste kam allerdings, wie könnte es auch anders sein, vom Neonazi-Rapper selbst", schreibt Shapira. "Dieser bot mir nämlich auf seiner Facebook-Seite an, eine monatliche Entschädigung in Höhe von einem Euro zu entrichten, sollte meine Familie 'wirklich zu Seife verarbeitet worden sein'. Das Angebot schockierte mich. Die Respektlosigkeit den Opfern des Holocausts gegenüber? Geschenkt! Das Lächerlichmachen des größten Menschheitsverbrechens unserer Zeit? Schwamm drüber! Aber mir nur einen EINZIGEN Euro im Monat anzubieten? Unverschämter geht's nicht!"
Warum Shahak auch das zweite Angebot, ein Interview, ausschlug, erklärt er in der Zeit:
"Niemand könnte MaKss Damage oder seine Anhänger in einem Interview überzeugen, ihre menschenverachtenden Ideologien plötzlich abzulegen - das ist eine Entwicklung, die, wenn überhaupt, niemals vor laufenden Kameras stattfinden könnte. Aus Neugier forderte ich ihn trotzdem auf, mir seine Bedingungen zukommen zu lassen."
Die bestanden darin, die Themen Holocaust und Nationalsozialismus auszuklammern, da er, Makss Damage, sich dazu nicht öffentlich äußern könne, ohne sich strafbar zu machen.
"Das Wort Holocaust natürlich immer in Ausführungszeichen – gotta love it", so Shapira weiter. "Es gibt einen Punkt, an dem die Grundlage jeder Diskussion in Schutt und Asche zerfällt. Dieser Punkt beginnt für mich bei der Leugnung des Holocausts. Das gesetzliche Verbot der Holocaustleugnung wird oft als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit kritisiert – ein Begriff, der heutzutage überstrapaziert wird. Hetze, Verleumdung oder Assoziationen zwischen unserer Bundeskanzlerin und einem weiblichen Geschlechtsteil werden unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit als 'sachliche Kritik' präsentiert."
"Wir haben in Deutschland eine Meinungsfreiheit, wir haben aber keine Faktenfreiheit. Wer den Holocaust bestreitet oder verharmlost, der versucht nicht nur, historisches Tatsachenwissen zu fälschen, sondern diffamiert die Menschen, die eine Zahl auf ihrem Unterarm tätowiert haben, die ihre Familien in den Gaskammern und Verbrennungsrosten von Auschwitz und Treblinka verloren, als Lügner. Doch das Verbot der Holocaustleugnung ist nicht nur da, um die Überlebenden zu schützen. Schließlich waren sie selbst dabei, da lassen sie sich nichts von rappenden Neonazis einreden. Das Verbot soll auch die Jüngeren schützen. Die, die nicht dabei waren. Zu wissen, was hier vor 77 Jahren geschehen ist, ist für heranwachsende Menschen genauso wichtig wie Mathe oder Physik."
Ja, viel zitiert, aber noch nicht genug. Lest den ganzen Artikel, hier.
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