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Du bist

Wie der verfrühte Tod von XXXTentacion, so tragisch fühlt sich auch der Umgang der Hinterbliebenen mit seiner Musik an. Aber das musikalische Vermächtnis des Floridianes ist nicht das erste, das post mortem schamlos ausgeschlachtet wurde, und es wird ganz sicher nicht das letzte sein.

Erst diese Woche gab es zum Beispiel ein posthumes musikalisches Lebenszeichen von Coolio, denn: Natürlich erwartet uns auch in seinem Falle über zehn Jahre nach seinem letzten Studiowerk ein Tribut-Album. Doch nicht nur deshalb fühlt sich die Leichenfledderei in seinem Fall besonders seltsam an. Aber da YoGrandmaFromm dem werten Herren gegenüber deutlich mehr Verbundenheit verspürt als ich, überlasse ich ihr beim Ranten gerne den Vortritt.

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Ohne besonders fies sein zu wollen: Nach Coolio krähte doch eigentlich kein dürrer Hahn mehr, bis er vergangenen Herbst - mit noch nicht einmal 60 trotzdem viel zu früh - das Zeitliche segnete. Inzwischen tobt unter seinen zahlreichen Kindern nicht nur ein Streit um sein Erbe, auch sonst scheint man sich darauf verständigt zu haben, der verblassten Legende noch abzupressen, was nur irgend geht. Also Leichenfledderei deluxe, man kennt es ja: Noch in diesem Jahr soll ein posthumes Album erscheinen. Die erste Single daraus gibt es bereits: Für "Tag 'You It'" stieg Coolio noch mit Too $hort und DJ Wino in den Ring:

Wow, das war ... unterwältigend. Sofern man es schafft, nicht allzu genau hinzuhören, kann man dem Track wahrscheinlich sogar noch ein bisschen 90er-Nostalgie abringen. Vorausgesetzt, man ist alt genug, um sich zu erinnern. Ist man jedoch alt genug, um sich zu erinnern, dürfte einem dieses wahrlich beschissene Video im mildesten Fall ein Gähnen entlocken. Boxring: check. Gelangweilt guckende Frauen in Unterwäsche: check. Noch gelangweilter guckende Männer begaffen und betatschen wabbelnde Arschbacken: check, check, check. Ohmann. Ich dachte, wir wären schon weiter.

Aber vielleicht sind wir das sogar: Der Umstand, dass dieser Driss auf einem Kanal mit fast einer halben Million Abonnent*innen vier Tage braucht, um schlappe zehntausend Klicks einzufahren, beruhigt dann doch wieder etwas, und er stützt eigentlich die eingangs getroffene Behauptung: Nach Coolio kräht tatsächlich kein dürrer Hahn mehr. Trotzdem traurig zu sehen, dass sich in seinem Umfeld offenbar niemand Wohlmeinendes fand, der ihm gesagt hätte, dass die Zeit, in der er diese Minizöpfchen-Frise tragen konnte, schon langelange abgelaufen war.

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Ja, dem gibt es eigentlich so gut wie nichts mehr hinzuzufügen. Ich finde vor allem unglaublich befremdlich, als erste Single nach so vielen Jahren und als Einleitung für dieses Tribut-Albums einen Song zu wählen, der wie die langweiligste und altbackenste Stripclub-Hymne dieser Welt klingt. So, wollt ihr, dass wir uns an Coolio erinnern?

Die Fälle XXXTentacion oder Juice WRLD liefern sicherlich alles andere als Paradebeispiele dafür, wie man mit dem musikalischen Erbe eines verstorbenen Musikers umgeht, aber selbst da haben die Hinterbliebenen verstanden, dass ein wenig Pathos und Emotionalität einem solchen Album sicherlich nicht schaden.

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