90 Minuten Vollgas: der Kaiser aka Monsieur Bonaparte aka Tobias Jundt beim Tourfinale im Festsaal Kreuzberg.
Berlin (dp) - Bonaparte is a bird - der Ende 2019 ausgeflog, um sich zur Ruhe zu setzen: Der Kaiser aka Monsieur Bonaparte aka Tobias Jundt ging in Rente und ließ sich, von einzelnen Gigs abgesehen, nicht mehr blicken. Im Juni 2023 war der Kaiser jedoch 'tired of being retired': Frei nach dem Motto 'was interessiert mich mein Geschwätz von gestern' verkündete er seinem Volk, dass die Zeit des Maulaffen Feilhaltens vorüber sei und 2024 eine Tour her müsse - oder besser gesagt, zwei! Pro Stadt ein Doppelgig: The Quiet Show und The Riot Show.
Don't call it a comeback
Diese unterscheiden sich, wie der Name schon sagt, konzeptionell grundsätzlich. Ein Konzert für die leisen Töne und eines voll auf die Fresse. Zum Tourabschluss in Berlin gibt es gar gleich zwei ruhige Gigs im Pierre Boulez Saal und zwei Riot Shows im Festsaal Kreuzberg. Alle ausverkauft, versteht sich. Für das Tourfinale am Sonntagabend im Festsaal Kreuzberg hatte Jundt im Vorfeld etwas ganz Besonderes angekündigt. Back to the roots - mit allen Konsequenzen. Dies spiegelt sich auch in der Setlist wider, die nichts vom bisher letzten Album "Was Mir Passiert" beinhaltet, dafür umso mehr Tracks von den Frühwerken "Too Much" und "My Horse Likes You".
L'état - c'est moi!
Nun kennt Bonaparte nur zwei Extreme: Love it or hate it. Das Spektakel auf der Bühne trifft nicht jedermanns Geschmack. Doch wer sich darauf einlässt, bleibt zunächst sprachlos, dann fasziniert zurück. Die Gäste scheinen zum größten Teil über Bonaparte-Liveerfahrung zu verfügen und positionieren sich zeitig am Bühnenrand. Die Stimmung ist gelöst, Anekdoten über vergangene Gigs werden ausgetauscht. Der respektvolle Umgang miteinander, auch während der Show und dem damit einhergehenden, fortwährenden Pogo, war schon immer etwas Besonderes bei Bonaparte-Konzerten. Und auch heute ist das nicht anders, wenn die Band die Bühne betritt und es im Publikum kein Halten mehr gibt.
Gewohnt energetisch ist der 'kleine freche Wuselmann' von der ersten Sekunde an überpräsent, lässt aber noch Raum für seine Band, die vor allem in Jazz-Kreisen populären Musiker Moritz Baumgärtner und Uri Gincel, Wouter Rentema sowie Bassist Tyler Pope (Gründungsmitglied der legendären LCD Soundsystem). Erfreulicherweise gibt es zudem ein Stelldichein des US-Amerikaners Tim Fite, der nicht nur als Support fungiert, sondern während der Show live Zeichnungen anfertigt und den Kaiser für die ein oder andere Songzeile auf der Bühne unterstützt.
Zero, one, one, zero, one, one, one, got it?
Musiker, die auch nach fast 20 Jahren noch Bock auf ihren Job haben und nicht in Routine verfallen, strahlen immer eine gewisse Faszination aus - bei Bonaparte ist dies definitiv der Fall. Das Publikum feiert die alten Hits wie "Anti Anti" oder "Too Much" ebenso wie die brandneue Single "Fuck Money". Besonders mit der Songzeile "I'm licking things to claim them as my own" scheinen sich viele Besucher:innen zu identifizieren, Einzelkinder zucken hingegen etwas ratlos mit den Schultern.
Shoot me today, unshoot me tomorrow!
Zu sehen gibt es außerordentlich viel, denn die extrovertierten Tänzer:innen ziehen die Blicke auf sich. Lulu Rafano sieht man in seidenen Boxershorts, bevor er Stück für Stück seinen aufreizenden String Tanga fallen lässt, dann wieder voller Glitzer, Kunstblut und Diskokugelhelm. Die Performancekünstlerin Mad Kate, ebenfalls seit frühesten Bonaparte-Tagen dabei, wirbelt fast nackt und dennoch ästhetisch über die Bühne. Sie kennt keine Berührungsängste mit dem Publikum und beherrscht das Zusammenspiel von Avantgarde und Punk perfekt.
Beide lassen Monsieur Bonaparte bisweilen fast als Begleitmusiker wirken, wissen aber genau, wann sich die Aufmerksamkeit wieder auf den Sänger zu richten hat. Mit von der Partie ist auch Cannonman, der in verschiedenen Rollen in Erscheinung tritt und sogar Sandwiches für die feiernden Fans zubereitet. Wie schon bei vergangenen Auftritten auch nimmt die Interaktion mit dem Publikum einen hohen Stellenwert ein.
Einmal sind es riesige Ballons, die zwischen Bühne und Zuschauerraum hin- und herbouncen, dann springt Jundt mitten in die Menge und versinkt fast in den Fans, um kurz darauf auf den Schultern eines jungen Manns wie Phoenix aus der Asche wieder aufzuerstehen und sich von der Menge tragen zu lassen. Was sich bei anderen Musikern zuweilen unangenehm nah anfühlt, hat bei Bonaparte ein gemeinsames Ziel: Der Abend soll zur bestmöglichen Erfahrung werden. Dazu verspritzen Mad Kate und Lulu feierlich Sekt in der ganzen Venue.
The egg that laid the bird
Ruhige Songs sucht man an diesem Abend vergebens, dafür musste man die besagten Quiet Shows besuchen. Die Riot Shows hingegen bieten über 90 Minuten Vollgas durch das 'Brain of Bonaparte'. Lediglich bei den Midtempo-Nummern "Manana Forever" und "Ego" bleibt den Zuschauer:innen Zeit, sich kurz zu erholen. Weitere Titel des Abends sind neben den erwähnten Hits auch "My Horse Likes You", "Who Took The Pill", "Blow It Up", "Computer In Love" und der Eskalationsgarant "Wir Sind Keine Menschen". Beim Rausschmeißer "True Enough" versammeln sich alle Protagonist:innen noch mal auf der Bühne, um den Abend liebevoll chaotisch ausklingen zu lassen.
Der Abschluss einer grandiosen Tour der vielleicht besten Liveband der Welt findet würdig im Dreh-und Angelpunkt der Band statt: Berlin. Alle Beteiligten sind ein wenig in die Jahre gekommen - auf und vor der Bühne, aber das spielt keine Rolle, denn in dieser Blase sind wir alle forever 'Bar 25'. Bonaparte is a bird, Bonaparte ist der Kaiser und seine Entourage, Bonaparte ist Punk, Bonaparte ist Kunst, Bonaparte ist Musik. Aber vor allem ist Bonaparte ein Gefühl, das einen nicht mehr loslässt.
Von Désirée Pezzetta.
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