Seite 17 von 18

Kobi Farhi zeigt Haltung

Apropos Glastonbury: Orphaned Land-Sänger Kobi Farhi nahm Vorkommnisse bei dem Festival zum Anlass, nach zuletzt langer Stille zum Thema, einige Gedanken zur momentanen Diskussionskultur bzgl. des eskalierten Nahostkonflikts loszuwerden. Farhi arbeitet seit Jahrzehnten an der Verständigung zwischen Palästinenser:innen und Israelis und ruft in seinem Text vor allem zum gegenseitigen Zuhören auf. Ihm sollte man auf jeden Fall zuhören.

"Seit Beginn des Krieges habe ich mich von den sozialen Medien weitestgehend ferngehalten. Sie sind toxisch, polarisieren und letztlich bedeutungslos. Milliarden Worten werden ins Leere geschleudert, nichts ändert sich. Niemand denkt um, keine Leben werden gerettet.

Aber nach dem, was ich auf dem Glastonbury Festival gesehen habe, eigentlich ein Ort des Friedens und der Liebe, muss ich etwas sagen. Nicht über den Konflikt, sondern über uns als Musiker und darüber, was wir tun können. Musiker sind Menschen mit großen Herzen und guten Absichten. Aber manchmal gehen gute Absichten schief.

Ich habe gesehen, wie Künstler, Aktivisten und Außenseiter kühne, spaltende Positionen bezogen haben, viele von ihnen ohne jemals dieses Land betreten zu haben. Pro-palästinensisch, pro-israelisch, pro-israelische Araber, pro-palästinensische Juden, alle schreien, wenige hören zu. Ich verstehe den Instinkt, den Drang, etwas zu sagen, etwas zu tun. Aber blinde Einseitigkeit wird keinen Frieden bringen. Es befördert nur den ältesten Trick: Zeile und herrsche.

Schlimmer noch, einige scheinen den Schmerz auszunutzen, indem sie ihn in ein Theater verwandeln. Provokation bringt Klicks, Schlagzeilen, Streams. Aber diese Aufführungen beenden das Leiden nicht. Sie verschlimmern es. Sie schwächen die Stimmen der Gemäßigten, der Brückenbauer, der Pragmatiker, die uns eines Tages aus dieser Dunkelheit herausführen könnten.

Ihr Handeln tut nichts anderes, als ewigen Hass zu schüren. Es gibt Millionen von Israelis und Palästinensern, die dort leben, und der einzige Weg, dies zu bewältigen, wäre zu lernen, zu überwinden und zu verstehen, dass wir die Fähigkeit haben, zu wachsen und zusammen zu leben.

Ich wurde 1975 in diesen Konflikt hineingeboren. Ich habe jedes Kapitel miterlebt, meinen Vater kämpfen sehen, die Schmerzensgeschichten meiner palästinensischen Brüder gehört, bin mit meinen Kindern in Luftschutzbunker gerannt, wurde von meinen eigenen Leuten gehasst, weil ich dem "Feind" Liebe entgegenbrachte, habe um verlorene Freunde geweint und über drei Jahrzehnte lang Lieder der Hoffnung geschrieben. Ich kenne diesen Schmerz. Ich kenne dieses Land.

Mit Orphaned Land stellen wir den Dialog über die Spaltung . Wir sind mit arabischen und muslimischen Bands auf Tournee gegangen, sind in einem Bus mit einer palästinensischen Band quer durch Europa gefahren, haben Preise und Bühnen geteilt und Brücken gebaut - winzige, zerbrechliche, aber echte. Dies ist kein PR-Gag. Es ist unser Lebenswerk. Es ist gelebter Frieden.

Und doch habt ihr wahrscheinlich noch nie davon gehört. Denn Hass geht viral. Hass liegt im Trend. Aber Liebe? Liebe braucht Zeit. Sie ist ruhiger. Sie ist schwieriger. Aber sie ist der einzige Weg.

Dieser Krieg dauert nun schon seit hundert Jahren an, und inzwischen sollte klar sein, dass man mit einseitiger Aggressivität nicht auf der 'richtigen Seite der Geschichte' steht, sondern den Frieden nur schwieriger macht.

Yitzchak Rabin, ehemaliger IDF-Chef, und Jassir Arafat, der Anführer einer Organisation, die als Terrororganisation begann, legten ihre Waffen nieder und reichten sich die Hände, weil sie den Dialog suchten, um den Traum vom Frieden zu verwirklichen. Es war der Extremismus, der diesen Traum zerstörte. Es ist an der Zeit, wieder zu träumen. Der Frieden wird nicht perfekt sein. Er wird nicht alle zufrieden machen. Er wird nicht mit Slogans oder mehr Streams einhergehen. Aber er wird unseren Kindern eine Zukunft geben.

Love, Kobi Farhi


Seite 17 von 18

Weiterlesen

Noch keine Kommentare