Sunn O))) im Berghain: Bass, Bass, Bass
Am Berghain-Einlass landen zunächst Klebepunkte über allen Smartphone-Kameralinsen. Das absolute Foto- und Videoverbot gilt auch bei Konzerten. Anders als erwartet, hätte es tatsächlich was zu filmen gegeben. Die großzügig ins alte Heizwerk geblasenen Nebelschwaden führen abstrakte Choreographien auf, in Szene gesetzt von zwei gleißenden Scheinwerfersonnen.
Bevor Sunn O))) in ihre Verstärkerburg treten, wirft jedoch zunächst Kali Malone ihre Sinuswellenoszillatoren an und präsentiert eine Kurzversion ihres jüngsten Werks "Does Spring Hide Its Joy". Nach eher sanftem Beginn merkt man schon jetzt: Der Abend wird intensiv. Als die Amerikanerin zunehmend Drones schichtet, Dissonanzen erzeugt und langsam den Bass hochfährt, fangen die Zähne an zu klappern – buchstäblich. Immer wieder verdichtet sie den Sound zu angespannten Höhepunkten, die einen Typen am Rand des Soundpults zu ekstatischen Handbewegungen bringen. Malone selbst verzieht während der guten halben Stunde keine Miene.
Das tun Malones frisch angetrauter Ehemann Stephen O'Malley und sein Compadre Greg Anderson nach kurzer Umbaupause ebenfalls nicht – bemüßigen sich dafür aber zu einigen klischeehaften "Metööölll"-Gesten. Mit Pommesgabel spazieren sie auf die Bühne, gucken dabei wie ein Black Metal-Bandfoto und recken später immer wieder dramatisch ihre Gitarren gen Clubdecke. Ganz ehrlich: Das wirkte doch eher corny als zeremoniell. Man wünscht sich fast noch ein bisschen mehr Nebel und weitere Kapuzen ...
Aber zurück zur "Musik" – falls man die Performance-Kunst der Drone-Ikonen überhaupt noch so nennen kann. Auch wegen ihres auf der aktuellen Tour gefahrenen "Shoshin"-Konzepts passt der Begriff 'Soundinstallation' weit besser. Es geht bei dem über einstündigen Auftritt auch tatsächlich weniger ums Hören, sondern vielmehr ums Spüren. Denn sobald Anderson und O'Malley – nach theatralischer Zeitlupenhandbewegung – zum ersten Mal über die Saiten ihrer bis zum Anschlag mit Distortion und Reverb vollgepumpten, abgrundtief gestimmten Gitarren schrammen, gibt es für den Rest des Abends kein Entkommen mehr vor den erdrückenden Bassströmen. Es gibt keine Verschnaufpause, keinen Moment Ruhe, der Körper vibriert mit, der Kopf wird zu einer gefühllosen Frequenzbox. Das Zeitgefühl löst sich auf, man hört einfach nur noch Bass, Bass, Bass. Im Speakerzentrum vor der Bühne, auf der Metallbrücke am anderen Ende des Raums, an der Bar hinter der Wand im Nebenraum, auf der Toilette, selbst im Untergeschoss – Bass. In einer Lautstärke, die laut App beständig zwischen 125 und 130 Dezibel schwankt.
"Shoshin" steht im Zen-Buddhismus für den "Geist eines Anfängers". Für Sunn O))) bedeutet das gewissermaßen: Back to basics, zurück zu den rudimentären Grundlagen ihres Drone Metal. Radikal ziehen sie dann auch durch, die komplette Show auf einem Drone aufzubauen. Alles kreist um denselben hirnfrittierenden Grundsound, der sich zäh im Raum hin und herwälzt, pulsiert und hin und wieder durch sparsame Griffbrettbewegungen oder Feedback-Salven seine Form leicht verändert. Im Grunde zelebrieren Anderson und O'Malley das Gegenteil von Virtuosität. Und sie tun es zu zweit, ohne zusätzliche Instrumentalisten und ohne den in der Verganenheit teilweise ins Mikro röchelnden Attila Csihar.
Spannender zu beobachten als das Geschehen auf der Bühne sind die Reaktionen der Crowd. Viele lauschen mit geschlossenen Augen, wiegen sich in den Schallwellen – vereinzelt sogar ohne Ohrenschutz. Vier Personen liegen ausgestreckt auf einer pendelnden Plattform im Nebenraum. Wenige lehnen an Boxentürmen. Manche wandern umher. Andere fliehen zu den Toiletten, nur um festzustellen, dass auch dort das Dröhnen omnipräsent bleibt, und lassen sich auf den Bänken dort nieder um mit immerhin leicht reduzierter Lautstärke weiter zuzuhören. Und nicht wenige treten tatsächlich vorzeitig den Heimweg an. Letzteren schließen wir uns nach knapp 70 Minuten an – und hören von draußen weiter zu. Der unerbittliche Bass dringt sogar durch die Wände des Berghains. Jetzt können wir sagen: "Wir haben Sunn O))) im Berghain gespürt – von innen und von außen." Eine Erfahrung, die man definitiv nicht bereut, von der aber auch eine halbe Stunde locker gereicht hätte.
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