Platz 4: Zooropa (1993)
Die Zoo TV-Tour im Vorjahr macht endgültig klar: Kreuzritter-Gehabe is over, Bono schlüpft in die Personas The Fly und Macphisto, die Band gibt sich glamourös und selbstironisch. Riesige Monitor-Screens und in der Luft hängende Trabbis sind U2s neues Habitat. Das Multimedia-Spektakel mit gefilmten Sequenzen aus der jeweiligen Konzertstadt und Audio-Liveschalten zu Politikern oder dem lokalen Pizzaservice versprüht bereits die Faszination des Internets. "Zooropa, Vorsprung durch Technik", sind denn auch Bonos eröffnende Worte in einem schimmernden Stück Electro-Progrock. Das Album, inmitten der "Achtung Baby"-Tour aufgenommen und zunächst als EP konzipiert, feiert im Gegensatz zu "Rattle & Hum" die alte Welt.
Ihre Technik-Fixierung dieser Zeit findet im "Numb"-Video wohl ihren Höhepunkt: The Edge sitzt auf einem Stuhl und spricht den Songtext emotionslos in die Kamera, während ihn Küsse, Zigarettenrauch oder Autogrammanfragen abzulenken versuchen. Doch sein Blick bleibt stur in die Kamera gerichtet - "I feel numb" - das TV-Gerät als wichtigstes Technik-Gadget der 90er Jahre, das bald vom Internet abgelöst wird. Der Song hatte zuvor mit Bonos Gesang nicht funktioniert.
Das heitere "Lemon" wirkt wie ein Remix der damals von U2 angeheuerten Dance-Producer, das Songwriting ist federleicht, dabei singt Bono über seine früh verstorbene Mutter, nachdem er einen Super-8-Film der damals 24-Jährigen aufgetrieben hat. Sein Falsettgesang findet hier zu seiner extremsten Form, weshalb der Song im Fanlager auch entsprechend spaltet. Mit dem eleganten und von Soundballast befreiten "Stay (Faraway So Close)", für den gleichnamigen Wim Wenders-Film komponiert und gedacht als Hommage an Frank Sinatra, zeigen sich U2 hier wohl von ihrer zugänglichsten Seite, bevor "Daddy's Gonna Pay For Your Crashed Car" lospoltert - erstmals mit Samples in einem U2-Song (MC 900 Ft. Jesus). Mit rückwärts laufenden Loops und überzogener Distortion-Gitarre der deutlichste Hinweis auf das Folgealbum "Pop".
"Zooropa" wird als "Achtung Baby"-Anhängsel oft unter Wert verkauft. Diese überdrehte Umsetzung von Krautrock und Industrial ins eigene Soundbild war wohl nur im Rahmen einer überhitzten Welttournee möglich. Dafür sind erstaunlich viele Songs on point, das Trial-and-Error-Prinzip funktioniert hier besser als auf "Pop". Und dann ertönt am Ende auch noch Johnny Cashs heiliger Bariton, der für Außenstehende im ersten Moment auf "Rattle & Hum" viel besser aufgehoben gewesen wäre. Doch das für Cash geschriebene "The Wanderer" erdet dieses komplexe Album mit einer Würde, die als Vorgriff auf die mit Rick Rubin eingespielten "American Recordings" fungiert. Dem damals 33-jährigen Bono ist es hoch anzurechnen, dass er hier für einen Helden die Bühne verlässt, der diesen Rückblick auf ein langes Leben mit der dafür notwendigen Gravitas intoniert. Adams ansteckender Bass und Bonos gespenstisches Background-Jaulen beenden die Platte makellos.
Anspieltipps:
"Zooropa", "Lemon", "Stay (Faraway So Close)", "The Wanderer"
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4 Kommentare
Nix hinzuzufügen, das Album ist erstaunlich gut gealtert.
Der Rezension kann ich 100%ig zustimmen. Weiterer Anspieltipp: Babyface
Damals fand ich es....ok....aber ich habe auch noch nicht geahnt, wieviele sehr durchschnittliche Dinge in den späteren Jahrzehnten kommen würden...Da altert es sich rückblickend auch besser....
U2 waren damals absolut nah am Zeitgeist. Ihre beste Phase (meiner Meinung), bevor sie dann nach dem Pop-Album mit "All that you can leave behind" langsam in die Belanglosigkeit abrutschten...