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Morrissey: Heaven knows he is really miserable now

Der britische Telegraph druckte letzte Woche ein langes Interview mit dem Sänger ab, in dem dieser sich als Opfer des Zeitgeists stilisiert, in seinen Worten: als Opfer "einer Idiotenkultur". Sein ganzes Leben habe er seine Meinung frei geäußert, nun habe man ihn "geknebelt", so Morrissey in Anspielung auf die zahlreichen Fehlversuche, sein vier Jahre altes, noch unveröffentlichtes Album "Bonfire Of Teenagers" bei einem Label unterzubringen. In einer "langen Mail aus seiner Heimat Los Angeles", so der Telegraph, beklagt sich der 65-Jährige darüber, dass seine politischen Ansichten zahlreiche Labels erschrecken würden, und diese lieber vor den großen Medienunternehmen kuschen und eine Zusammenarbeit mit ihm ablehnen.

"Jedes Label in London hat 'Bonfire Of Teenagers' abgelehnt und gleichzeitig zugegeben, dass es ein Meisterwerk ist", so Morrissey gewohnt selbstverliebt. "Und obwohl im Titelsong weder feindselige noch beleidigende Stellen zu finden sind, befürchten die Labelchefs, dass der Guardian ihnen das Leben zur Hölle macht, wenn sie sich zu diesem sozialen Bewusstsein bekennen." Ganz so ohne ist der Songtext jedoch wohl eher nicht. Besagter Titeltrack handelt vom Terroranschlag auf das Ariana Grande-Konzert in Morrisseys Heimatstadt Manchester 2017, wo ein islamistischer Selbstmordattentäter 22 Menschen aus dem Leben riss. Dem Telegraph zufolge singt Morrissey darin von einem Fan, der "verdampft" ("vapourized") und die sich wiederholende Coda lautet "Go easy on the killer" ("Schone den Täter").

Harter Stoff, den man sich offenbar in den höheren Chefetagen von Capitol Records bis Universal nicht traut zu veröffentlichen. So argumentiert Morrissey. Um das Album entstand schon 2022 Wirbel, als Miley Cyrus öffentlich darum bat, ihre bereits eingesungenen Spuren auf dem Song "I Am Veronica" zu löschen. Geleakte Mails weisen angeblich daraufhin, dass Morrissey gegen eine Verschwiegenheitsvereinbarung hinsichtlich der Kollabo verstoßen habe. Er selbst ist sich keiner Schuld bewusst, aber es habe eine Auseinandersetzung zwischen Cyrus und "einer Schlüsselfigur des Zirkels" gegeben. So bleibt das von Andrew Watt produzierte Album, auf dem auch Iggy Pop, Flea und Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers zu hören sind, weiter unter Verschluss. Morissey-Fan Travis Gravel sprang letztes Jahr schon für sein Idol in die Bresche und zahlte offenbar 2.000 US-Dollar, um für die Freilassung des Albums über den Capitol-Dächern von L.A. zu werben ...

Zu allem Überfluss meldete sich Gene Simmons in besagtem Forbes-Interview auch zu diesem Thema zu Wort. Und auf welche Seite er sich schlug, lässt sich allein daran ablesen, dass Morrissey das Gespräch auf seiner Webseite verlinkte - anders übrigens als sein "Gespräch" mit dem Telegraph. Simmons jedenfalls lobt den Smiths-Sänger über den grünen Klee und findet ebenfalls, dass mutigen Künstlern mit Minderheitenmeinung der Mund verboten würde: "Wokeism meint es im Prinzip gut, aber bringt auch eine Menge Bullshit mit sich. Jeder, der nicht deiner Meinung ist, wird praktisch eingeschüchtert wie ein Bäcker, der dir keinen Kuchen backen will, weil seine Religion ihm dies bei deinem Lifestyle untersagt. An welchem Punkt enden deine individuellen Rechte und du musst klein beigeben? Demokratie ist ein schmutziges Geschäft."

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