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Kendrick Lamar - "Not Like Us"

[Warnung: Wir haben eingangs die Mutter aller Disstracks versprochen. Wir bitten also höflich, unserem Autor zu vergeben, dass ihm angesichts von "Not Like Us" etwas die Pferde durchgegangen sind und er jedes Maß aus den Augen verloren hat.]

Als Messi im Halbfinale der Copa America Gegner Kanada mit 3:0 aus dem Stadion fegt, verballhornt das Social Media Team der argentinischen Nationalmannschaft Drake mit dem bereits jetzt ins Firmament gebrannten Titel von Kendrick Lamars Drake-Diss-Track, "Not Like Us". Drizzy hatte vor dem Spiel 300.000 Euro auf den Sieg seiner Kanadier gesetzt und zum wiederholten Mal 2024 ein Spiel verloren. Kein Diss-Track aus dem Hip Hop-Kontext hatte jemals zuvor einen nur halb so großen Impact und Bekanntheitsgrad erreicht wie "Not Like Us".

Der Song bricht auf Spotify den Rekord für die meisten Streams eines Hip Hop-Songs an einem Tag, für die meisten Song-Streams in einer Woche von einem Rapper und für den Rap-Song, der am schnellsten 200 Millionen Streams übertrifft. Das Video erreicht zwei Monate später 45 Millionen Streams in sechs Tagen. Der inhaltlich harte Diss-Track wird von Big Bands gespielt, als Jazz-Version, auf Hochzeiten, in Clubs sowieso, und alle tanzen und rappen zu Zeilen wie "Certified Lover Boy? Certified pedophiles". So ähnlich muss es sich Kool Savas damals, am Siedepunkt seiner Wut und Enttäuschung, vorgestellt haben, Eko Fresh zu verurteilen, zu zerstören und zu beerdigen. Am Ende blieb es bei ihm mit "Das Urteil" nur bei einem, wenn auch dem größten deutschen Diss-Song aller Zeiten. Alles andere ließ er in der Schublade, zu einseitig und zu schwach war Eko zu jenem Zeitpunkt.

Besonders eine Zeile aus besagtem "Urteil" fasst den Kendrick-Drake-Beef aber perfekt zusammen, überraschenderweise: "Das ist der King gegen ein Kind." Zu keiner Zeit des wochenlangen Song- und Social-Media-Duells der beiden Künstler hatte man das Gefühl von Ebenbürtigkeit, auf keiner Ebene. Auf der einen Seite Drake, der mächtige Rap- und Pop-Superstar, der die Klaviatur der modernen Medien so erfolgreich spielen und gleichzeitig auch gute Musik droppen kann und der weiß, wie man als digitaler Bully seine Gegner kleinhält. Auf der anderen Seite Kendrick Lamar, das künstlerische Genie und neben J. Cole bester Emcee seiner Generation. Man könnte meinen, dies sei ein Duell auf Augenhöhe, doch während Drake nur aus Narzissmus und Fame in den Ring steigt, ist es für Kendrick persönlich, wie damals bei Savas. Er hatte nach seiner ersten kleinen Provokation gegenüber Drake und Cole auf Futures Metro Boomin-Kollabo "Like That" nur auf ein Zucken gewartet. Wie sagte Al Pacino zum Ende von "Im Auftrag des Teufels" als Teufel sinngemäß? "Die Eitelkeit, ich liebe sie." Und Drake und Cole zuckten. Doch während Kendrick-Kumpel Schoolboy Q J. Cole beim Dreamville Festival warnte und dieser darauf seine Antwort zurückzog, tappte Drake voll in Lamars Falle.

Track für Track, Strophe für Strophe, Video für Video, Posting für Posting nahm der Kalifornier den Kanadier psychologisch, medial, lyrisch und visuell auseinander und führte ihn genau dort hin, wo er ihn haben wollte. Drake wusste zum Teil gar nicht, wie ihm geschah. Selbst als es immer wieder schien, dass er das Battle mit einem seiner Diss-Tracks vielleicht doch zumindest offen gestalten konnte, entblößte Kendrick ihn mit seiner nächsten Antwort wieder und war ihm dabei stets drei Schritte voraus. Am Ende versuchte Drake mit "Family Matters" den Befreiungsschlag auf persönlichster Ebene, genau wie Kendrick es vorausgesehen hatte, und dann veröffentlichte er den finalen Schuss "Not Like Us". Der Track bündelt alle Vorwürfe Kendricks an Drake, von Pädophilie bis Psychopathie, von Ghostwriting bis Culture Vulture, bringt diese jedoch so catchy, clever und clubtauglich unters Volk, wie noch nie ein Diss-Track zuvor. "Not Like Us" ist ein quintessentieller G-Funk-Tune aus dem Lehrbuch, mit luftig bouncendem Piano-Loop, wie ihn nach Dre nur DJ Mustard aus den Laptops zauberte. Er hat größere, kulturelle Auswirkungen als das im US-Hip Hop zur Catch Phrase gewordene "Ether", er ist tanzbarer und funkier als "Hit Em Up" und härter als "No Vaseline". Zu allem Überfluss vereint er mittels "Wir gegen die"-Abgrenzung die zerstrittene Westcoast immerhin für einen Sommer. Ob sich Drake damit tröstet? Wahrscheinlich nicht.

Der zweite und letzte Nagel im Battle-Sarg von Drake war übrigens jüngst das Video zu "Not Like Us". Drake hatte in "Family Matters" ja Kendrick beschuldigt, seine Frau Whitney geschlagen zu haben (was Kendrick ja selbst bereits künstlerisch verarbeitet hatte) und einen schlechten Kontakt zu seiner Frau und seinen Kindern zu pflegen. Als jetzt am Ende die Zeilen "The family matter, and the truth of the matter / It was God's plan to show y'all the liar" erklingen, cripwalket Whitney mit Kendrick und den Kids durchs Wohnzimmer. Mehr Niederlage geht nicht. Im Duden steht unter "Zerstörung" ab heute diese Battle. Wollen wir hoffen, dass in Drake genug positive Gefühle wohnen, um sich davon zu erholen, und dass keiner körperlich zu Schaden kommt.

PS: Kendrick Lamars Vorgehen steht trotz allem nicht über jeder Kritik. Er spielt schon recht offen das Drehbuch rechter MAGA-Leute durch (Pädophilenvorwürfe) und schrammt knapp an antisemitischen Anwandlungen vorbei. Das darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, zumal es auch in der Hip Hop-Kultur an echten, weil verurteilten Pädophilen und Vergewaltigern nicht mangelt.

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