23. Juni 2014

"Ich wollte nicht jeden Tag kiffen"

Interview geführt von

"Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr" - diese und ähnlich starke Weisheiten kennt man zuweilen seit Kindertagen. Und es kommt nicht oft vor, dass ich widerspreche. Doch Mike Rosenberg aka Passenger hat es auch mit Bescheidenheit ganz schön weit gebracht. Seine Single "Let Her Go" übersteigt im Sommer 2013 alle Erwartungen: über 26 Millionen Klicks auf YouTube, Coverversionen und Chartführungen weltweit. Die Bürgersteige des Straßenmusikers werden immer größer.

Und so herrscht in den Backstageräumen des NDR Plaza Festivals in Hannover auch nicht etwa gedimmte Kneipenatmo, sondern es strahlt alles in fancy blauem Licht, als ich Mike Rosenberg kurz vor dem Mittagessen in den Katakomben treffe. Doch von Hungertief keine Spur: Geduldig beantwortet der tiefenentspannte Brite alle Fragen und erzählt den ein oder anderen Schwank aus seinem im wahrsten Sinne bewegten Leben.Immer wieder kommt er aufs Reisen zurück. Es wirkt, als habe er die Zeit, in der er sich von seinem letzten Penny ein Flugticket nach Australien gekauft hat, noch lange nicht vergessen. Vielleicht weiß er auch deshalb, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt, als Geld. Mit großer Gelassenheit reagiert er auf Themen wie Erfolg und Kommerz. Immer spürbar ist hingegen die Leidenschaft für seinen Beruf und seine Fans - und die innige Freundschaft zu Ed Sheeran.

Wie gehts denn so, alles gut?

Ja, mir gehts gut! Ich bin sehr beschäftigt zurzeit. Wir machen viel Promo für "Whispers" unterwegs, das ja nächste Woche (Anm. d. Red.: also am 06.06.2014) erscheint. Ich war viel auf den Straßen unterwegs in den letzten Monaten, in den Staaten, in UK, in Australien und jetzt gerade in Europa. Jeden Tag Radio, Fernsehen, Auftritte … viel zu tun, das ist gut!

Du hast ja letztes Jahr auf dem New Pop Festival gespielt, in Baden-Baden - eine irre Kulisse, nicht wahr?

Ja, richtig schön! Das ist doch eine der besten Sachen an Musik, dass man an all diesen Orten ankommt, die man sonst möglicherweise niemals gesehen hätte. In Deutschland gibt es so viele Sachen, die außerhalb von Hamburg, Köln, München und Berlin passieren. Man bekommt ein viel besseres Verständnis für ein Land, wenn man sich die ganzen kleineren Städte anschaut.

Du reist ja gerne herum und siehst neue Sachen. Wie verarbeitest du die ganzen Eindrücke, die du auf Reisen mitbekommst?

Ich bin am Glücklichsten und am Kreativsten, wenn ich reise. Jeden Tag siehst du neue Dinge, triffst neue Leute, hast andere Gefühle – es gibt nichts Besseres für den kreativen Prozess als diese Wendungen. Was ich am meisten liebe am Schreiben, ist das Geschichten erzählen – und es gibt keine bessere Art, neue Geschichten zu lernen, als zu reisen.

Witzig, nicht wahr – du verkörperst ja sozusagen den Song von Iggy Pop! Er vergleicht das Leben dort mit einer Autobahnfahrt. Gibts da eine bewusste Verbindung?

Nee, wir haben damit wirklich nichts zu tun. Als sich meine Band Passenger aufgelöst hat, hab ich den Namen einfach behalten. Was aber witzig ist: Als wir uns Passenger genannt haben, gab es keinen Hintergrund. Es wird aber immer und immer wichtiger. Je länger es läuft, je mehr ich reise, desto mehr werde ich selbst zu einem "Passenger"! Jetzt passt es wirklich richtig gut.

Lass uns mal über dein aktuelles Album sprechen. Das Cover ist sehr süß – aber was flüstert das kleine Mädchen dem Jungen denn ins Ohr?

Das weiß man nicht! Aber ich bin sehr stolz auf das Artwork. Ich finde, meine Musik ist sehr nostalgisch – für mich stecken wahnsinnig viele Erinnerungen drin. Die Idee dahinter ist also, es aussehen zu lassen, wie ein altes Kinderbuch, in dem wir früher gelesen haben oder aus dem uns vorgelesen wurde, ganz früher. Die Deluxe-Version hat auch noch ein Pop-Up – das ist richtig cool! Ich weiß nicht, was das kleine Mädchen sagt – aber ich liebe das Bild. Ich habe mit der Künstlerin, Sara, schon für die letzten beiden Alben zusammengearbeitet. Sie hat immer tolle Sachen gemacht, aber diesmal – ich habe ihr von der Idee erzählt, und sie hat es sofort verstanden!

War das Songschreiben diesmal anders für dich, nachdem du ja mit "Let Her Go" den Durchbruch hattest?

"Let Her Go" hat sehr lange gebraucht, bis es schlussendlich etwas losgetreten hat. Zu der Zeit hatte ich die meisten Songs schon fertig. Die schlimmste Situation wäre für mich, ein Album rauszubringen, zwei Jahre damit zu touren und dann die Ansage zu bekommen: "Okay, wir brauchen jetzt in zwei Monaten ein neues Album! Und das muss sogar noch besser sein als das Album, an dem du dein Leben lang gefeilt hast!". Wie soll man das schaffen? Das lief für mich anders. Ich mache das ja auch schon eine Weile – "Whispers" ist meine sechste Platte. Das mit "Let Her Go" war verrückt, das konnte niemand ahnen. Aber für mich hat es nicht viel verändert. Alles, was ich nach wie vor tun möchte, ist Musik, mit der sich Leute verbinden. Ende. Ich fühle keinen Druck, besonders nicht im kommerziellen Sinne – da geht es mir besser, als ich je erwartet hätte. Der Druck ist sogar eher weg. Jetzt kann ich mich voll darauf konzentrieren, was mir gefällt.

"Zwanzig Mal am Tag 'Let Her Go' wäre langweilig!"

Du hast ja einen Teil deines Lebens in Australien verbracht. Willst du erzählen, warum du England verlassen hast?

Vor fünf Jahren hat sich die Band getrennt, ich habe mich von meiner Freundin getrennt, bin aus meinem Haus ausgezogen – ich hatte kein Geld und wusste nicht, wie ich meine Musik an die Leute bringen soll. Das Blöde an Musik ist, dass du all deine Energie da reinstecken willst und all deine Zeit – aber es ist so schwierig, dadurch an Geld zu kommen. Also machst du einen anderen Job, der dich fünfzig Stunden pro Woche kostet, dann kommst du nach Hause und denkst: "Ich will jetzt fernsehen, ich will keinen verfickten Song schreiben, ich bin müde, mein Kopf ist voll".

Darauf hatte ich keine Lust, mir war klar, dass ich die ganze Zeit Musik machen wollte. Also bin ich Straßenmusiker geworden. Aber irgendwann ist es viel mehr als das geworden. Die Leute waren so verdammt interessiert daran, was ich tue! Sie hatten keinen Grund, stehenzubleiben, außer meine Musik, und sie sind stehen geblieben! Das hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben nach all dem Mist. Dann habe ich angefangen, England zu bereisen – mein Zuhause waren Züge und Hostels. Das war eine der besten Zeiten meines Lebens, ich war so frei. Aber dann, im Oktober, ist es kalt geworden. Da habe ich überlegt, wo ich hingehen kann, wo es warm ist und wo Leute Englisch sprechen und meine Musik ganz gut ankommen könnte – da lag Australien auf der Hand.

In Deutschland gibts ja dieses Backpacker-Klischee.

Oh ja, es waren so viele Deutsche dort!

Findest du dich da irgendwie wieder? In diesem Wunsch nach Freiheit und neuen Erfahrungen?

Irgendwie schon. Ich meine, der Grund, warum ich dorthin gegangen bin, war die Musik, nicht der Wunsch danach, jeden Tag an der Byron Bay zu kiffen. Ich hatte überhaupt keinen Plan, ich wusste nur, dass ich weiter Straßenmusik machen muss, dass es funktionieren kann. Drei Jahre lang ging das so: sechs Monate England, sechs Monate Australien, sechs Monate England, sechs Monate Australien ... immer und immer wieder habe ich diese Länder durchquert – und jedes Mal wurden die Konzerte ein bisschen größer. Jedes Jahr kamen ein paar Leute mehr – und das hat mir gezeigt, dass es funktioniert. Man muss keine wahnsinnig großen Sprünge machen, aber man muss immer wieder ein kleines Stück weiter vorwärts kommen. Sobald du anhältst, fragst du dich: "Was mache ich hier eigentlich mit meinem Leben?".

Für dich gings also nicht um die Obsternte?

Nein, ich habe das Obst nur gegessen. (lacht)

Wenn man so an deinen Hintergrund denkt und sieht, was du für einen Erfolg hast – wie wichtig ist es für einen Künstler, eine Geschichte zu haben hinter der Person, die vorne auf der Bühne steht?

Das ist essentiell. Der Grund, warum Leute Singer/Songwriter hören wollen, sind doch seine Worte. Also muss er etwas zu sagen haben. Er muss etwas erlebt haben, muss Geschichten haben. Deswegen liebe ich Leute wie Springsteen oder Ryan Adams oder Ray Lamontagne – vielleicht sind sie ein bisschen älter, aber du glaubst, was sie sagen! Du glaubst, dass sie das erlebt haben. Was ich in der Musikindustrie manchmal ziemlich seltsam finde, ist dieser Jugendwahn. Das ist für die Popmusik gut – klar, da muss es Justin Bieber oder Miley Cyrus oder diese ganzen Kids geben, aber ein Singer/Songwriter wird umso besser, je älter er ist. Die Größten des Genres haben einige verrückte Geschichten zu erzählen und so viele von ihnen waren über viele Jahre erfolglos. Und in der Zeit schreibst du ein paar richtig starke Songs. Das Leben ist eine Herausforderung – das gibt dir Kreativität.

Ich glaube, manchmal fragen sich die Leute, wie echt dein Straßenmusik-Hintergrund ist ...

Ja, du hast absolut Recht. Ich war neulich in Frankreich und habe ein Interview gemacht, bei der die Frau mich die ganze Zeit gefragt hat, ob das die Idee meines Labels war – das hat mich ganz schön angepisst. Du kannst auf YouTube gucken, da gibts Videos von mir, in denen ich überall auf den Straßen spiele und diese Videos sind fünf Jahre alt. Ich muss niemandem etwas beweisen. Es ist jetzt so einfach, zurückzuschauen und zu glauben, alles sei ein großer Masterplan. Aber so war es einfach nicht, und das ist die einzige Wahrheit. Warum sollte ich aufhören mit der Straßenmusik, wenn es funktioniert? Die Leute können glauben, was sie wollen.

Machst du weiter damit, weil du das direkte Feedback schätzt oder brauchst du die Verbindung in dein altes Leben, damit du nicht all dein Geld für Drogen und Nutten ausgibst?

Genau, nicht all mein Geld! (lacht) Sieh mal, ich liebe die Straßenmusik einfach. Ich habe das so viele Jahre gemacht, und wenn ich jetzt damit aufhören würde, würde ich es einfach vermissen. Das ist kein PR-Stunt oder weil ich ein neues Album im Anschlag habe, es gefällt mir einfach. Und aus meiner Sicht gewinnt jeder. Die Fans bekommen ein kostenloses Konzert, und ich kann meine Songs spielen! Darum will ich doch Musiker werden, seit ich acht Jahre alt bin. Wenn ich damit aufhören würde und nur noch zwanzig Mal am Tag "Let Her Go" spielen würde und jedem davon erzählen würde, würde mich das langweilen und frustrieren. Dafür habe ich es nicht gemacht. Ich will neue Songs spielen und mit Leuten sprechen und mich mit ihnen verbinden.

Wenn man mit anderen Musikern spricht und sie nach den Städten fragt, in denen sie gewesen sind, kennen sie oft nur den Club, in dem sie gespielt haben, und die Autobahn. Ich frage mich dann oft, was sie davon haben.

Exakt! Warum investiert man so viel Arbeit, um dann immer wieder die gleichen verfickten Hotelzimmer zu sehen? Langweilig! Ich weiß auch nicht. Für mich ist Straßenmusik der Schlüssel. Wir sind früher fünf Tage lang in der gleichen Stadt geblieben, haben gespielt und am Ende ein Konzert gehabt. Wir haben Leute kennen gelernt, sind mit ihnen Essen oder ein Bier rinken gegangen und am freien Tag ins Museum. Das war cool! Du lernst die Stadt richtig kennen.

Versteh mich nicht falsch, es ist toll, dass diese ganzen Sachen heute passieren. Aber alles ist so schnell jetzt. Wir können jetzt keine fünf Tage im verdammten Amsterdam bleiben, wir sind nach zwei Tagen wieder abgehauen. Ich meine, wenn wir auf den Straßen spielen, verlieren wir Geld, aber das ist mir egal, weil ich es mag. Du musst dich um die Leute kümmern, die dein Album und deine Tickets kaufen. Sie sind es, die alles ermöglichen.

"Ed Sheeran wird einer der größten Popstars der Welt!"

Zum Schluss noch etwas anderes – ich hab gelesen, dass du ziemlich gut mit Ed Sheeran befreundet bist. Hast du ihn über die Straßenmusik kennengelernt?

Ich habe Ed kennengelernt in dem Sommer, von dem ich dir erzählt habe – bevor ich nach Australien gegangen bin. Wir haben einen kleinen Gig zusammen gespielt – vielleicht vor 30 Leuten. Ed war damals so 16, 17 Jahre alt. Und es gibt wirklich nicht viele 16-Jährige, die können, was Ed Sheeran kann. Wir haben hinterher ein Bier zusammen getrunken und sind seitdem Freunde. Wir haben ein paar Shows in London und drumherum gespielt, bevor er durch die Decke gegangen ist.

Und als es dann bei ihm losging, war er sehr nett zu mir. Er hat mir all diese Supportslots gegeben, und ich habe ihn so um die ganze Welt begleitet – was schlussendlich der Katalysator für alles war. Ich habe plötzlich vor 5.000 Leuten gespielt statt vor 50. Und das hat alles beschleunigt. Da war "Let Her Go" einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das Momentum mit dem Song – (ploppt mit der Zunge).

Und, gib’s jetzt eine Challenge zwischen euch?

Warum sollte es denn?

Naja, manchmal suchen Jungs doch in allem einen Wettkampf ...

Nein, nein. Es ist ganz witzig, weil unsere Alben fast zur selben Zeit erscheinen. Wir sind aber einfach in verschiedenen Welten. Ed ist ein Megastar. 1,8 Millionen Twitter-Follower und so. Er macht einfach eine ganz andere Sache. Ich hätte nie erwartet, mit meiner Musik so viele Leute zu erreichen. Aber was Ed tut, sollte wirklich im Radio laufen, es muss einfach. Es sollte überall sein. Ich hab sein neues Album gehört, es wird wirklich sehr gut. Ich fühle keinen Wettkampf mit ihm, ich bin so dankbar ihm gegenüber. Dass er mich vor seine Fans gestellt hat und so einen großen Anteil an meinem Erfolg hat. Ich habe mehr, als ich jemals gebrauchen kann. Ich muss nicht gegen ihn antreten.

Na gut ... also nicht mal auf eine freundschaftliche Art?

Oh, naja, wir ärgern uns definitiv ab und zu! Aber auf einem ernsthaften Level nicht. Die Zahlen, von denen er redet, sind einfach so viel größer. Und wir fühlen uns beide gut damit. Ich würde gar nicht das tun wollen, was er tut. Und andersherum.

Kannst du sagen, warum du diese Zahlen nicht erreichen willst?

Ich würde das sehr stressig finden. Wenn ich meine Musik spiele und damit auf Tour gehen und reisen kann, dann ist das mein Leben. Und wenn ich dann nach Brighton komme und meine Familie sehe und meine Freundin, dann ist das mein Privatleben. Ich will beides. Ed ist großartig, er ist ein Arbeitstier und strebt immer höher. Es ist irre, das mit anzuschauen! Aber ich bin einfach nicht so. Ich bin glücklich mit meinem Erfolg, und das alles ist schon größer, als ich jemals dachte. Ich finde nicht, dass ich noch größer werden muss. Wenn es passiert, einfach so, dann ist das cool, aber ...

... du erzwingst es nicht.

Ich sage nicht, dass Ed das tut! Das tut er nicht! Aber für jemanden, der so jung ist, weiß er ganz genau, was er will. Ich glaube, Ed wird einer der größten Popstars der Welt. Er ist schon einer, aber ich rede von ganz oben. Ich könnte das nicht. Ich fände das anstrengend. Wirklich.

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