10. Juli 2017

"Es dreht sich alles um die Snare!"

Interview geführt von

"Ti Amo" heißt der sechste Longplayer von Phoenix, der düsteren Zeiten einen sonnigen, tanzbaren Mix aus Italo-Disco, flockigen Synths, Urlaubssehnsucht und Euro-Romantik entgegensetzt. Dafür hat sich die Band in einem Pariser Opernhaus eingemietet und Hunderte Stunden Musik aufgenommen.

2014 ging es mit den Aufnahmen in Paris los – ein Jahr später erschütterten die Pariser Anschläge Europa die Welt. Ob "Ti Amo" trotzdem oder gerade deswegen so positiv ausgefallen ist, können Phoenix selbst nicht genau sagen – jedenfalls überraschen die Versailler Soundtüftler mit einem sonnigen Album, in dem französisch und italienisch gesungen wird.

Wir trafen Christian Mazzalai (Gitarre) und Deck D'Arcy (Bass) zum Gespräch in Berlin.

Ihr habt mit eurer neuen Platte "Ti Amo" in einer ziemlich schwierigen Zeit begonnen und dennoch ist es eine ziemlich positive Platte geworden.

Christian Mazzalai: Wir haben vor drei Jahren mit den Arbeiten begonnen –in einem sehr alten Theater im Zentrum von Paris. Wir wussten damals überhaupt nicht, was wir machen wollen, wir wollten in erster Linie einfach, experimentieren, neue Sachen ausprobieren. Wir haben später bemerkt, dass sich alles um eine bestimme Emotion kreist, ich weiß gar nicht, wie ich das am besten beschreiben soll. Sehr positiv, zwar mit einiger Traurigkeit im Inneren, aber auch mit viel Licht und Hedonismus. Das bekommt durch die Geschehnisse in Paris noch mal einen anderen Kontext, Paris durchlebte damals ja eine harte Zeit. Und da waren wir, die diese fröhliche Musik gemacht haben, als Gegenpol. Es war keine bewusste Entscheidung, aber es war wohl in unserem Unterbewusstsein verankert, dass wir das so machen mussten.

Dafür habt ihr euch in einem sehr speziellen Ort eingemietet.

Mazzalai: Es war ein wunderschönes Haus, in dem früher Operetten gespielt wurden. Im obersten Stock gab es einen Raum, der zwar nicht groß war, aber genau so aussah, wie wir uns das vorgestellt hatten. Mitten im historischen Stadtkern von Paris. Wir haben das so bisher noch nie gemacht, waren aber überzeugt, dass es das richtige Setting ist, um ein neues Abenteuer zu beginnen. Wir sind im Endeffekt drei Jahre geblieben – geplant hatten wir eigentlich nur ein Jahr. Es wurde also ziemlich lang.

Ihr hattet einen riesigen Output, habt hunderte Stunden Musik aufgenommen.

D'Arcy: Ja, das stimmt. Wir haben uns ein System zurecht gelegt, in dem wir jederzeit zu jedem einzelnen Schritt zurückkehren können.

Mazzalai: Wir schneiden alles mit, nehmen alles digital auf. Dann sind wir aber sehr oldschool – wir haben ja das Mischpult von Michael Jacksons "Thriller"-Album, ein Harrison-Mischpult.

Erzählt doch nochmal, wie's dazu kam.

Mazzalai: Wir haben das damals auf Ebay gefunden. Ein Riesending. Die Anzeige sah so dermaßen nach einem Fake aus. Verschiedene Farben, verschiedene Fonts. Es sah sogar so arg nach einem Fake aus, dass es niemand kaufen wollte. Der Typ wollte eine Million haben. Nach ein paar Wochen stand es immer noch drin. Wir haben viele Telefonanrufe gemacht, mit Leuten gesprochen, die bei den Thriller-Sessions dabei waren. Irgendwann waren wir überzeugt, dass es das echte Mischpult war – und dann haben wir es gekauft.

Detektivarbeit.

D'Arcy: Ja, Detektivarbeit. Das war echt eine interessante Geschichte. Es machte die Runde von Studio zu Studio, am Schluss gehörte es irgendeinem verrückten christlichen Produzenten, einen Typen, den nur Amerika hervorbringen konnte. Der wollte damit viel Geld machen – aber am Schluss haben wir's viel günstiger bekommen. Das Verschiffen war am Ende teurer als alles andere.

Also habt ihr keine Mille abdrücken müssen.

D'Arcy: Nein, wir haben es im Endeffekt für ein Hundertstel davon oder so gekauft.

Wie kommt es eigentlich, dass niemand dieses Stück Musikgeschichte wollte?

D'Arcy: Ach, es ist einfach riesig und keiner wollte ein so riesiges Teil.

Mazzalai: Es ist ja auch ein Albtraum, das zu reparieren. Wir hatten zwar einen Typen, der das konnte – aber es hat uns viel Geld gekostet.

"Wir haben keine Deadlines"

Wenn sich die Band trifft, um mit den Arbeiten zu beginnen – kommt ihr da bereits mit Ideen ins Studio oder beginnt ihr mit einer leeren Seite?

Mazzalai: Es begann mit einer leeren Seite. Wir hatten gar nichts. Unsere Plattenfirma haben wir aber angelogen, wir haben ihnen gesagt, wir hätten eine fertige Platte, dabei gab's gerade mal ein Stück. Selbst das haben wir aber weggeschmissen, standen also mit leeren Händen da. Aber das war ja auch Teil des Nervenkitzels. Wir lieben die Idee der leeren Seite, wir finden es aufregend.

Ist die leere Seite für euch ein Kampf, oder kamt ihr schnell in den Prozess rein?

Mazzalai: Zuerst war alles ganz einfach, einfacher als je zuvor. Es war ein sehr toller Moment, eine große Freude. Alles kam zusammen, alles war einfach. Irgendwann wurde es schwer – nämlich dann, als wir all diese rohe Ideen zu Songs machen mussten.

Deck D'Arcy: Das war dann der zweite Teil, in dem du dich der Realität stellen musst. Songs aus Rohmaterial formen, das kann ganz schon schwer sein.

Stressen euch Deadlines?

D'Arcy: Wir haben keine Deadlines, wir gehen erst raus, wenn wir fertig sind. Das kann auch schwierig sein.

Mazzalai: Etwas fertig zu stellen, ist hart.

D'Arcy: Das kommt allerdings auf den Song an – bei manchen Songs ist man sich nicht einig, ob der jetzt fertig ist.

Mazzalai: Jedes Mal, wenn wir ins Studio gehen, glauben wir, dass wir besser über Songs Bescheid wissen als beim letzten Mal. Es ist aber nach wie vor ein absolutes Mysterium.

"Es ist eine nie endende Suche"

Ist es das, was die Sache für euch frisch hält?

D'Arcy: Ich glaube, genau das ist es wirklich.

Mazzalai: Wir könnten locker einen professionellen, vorhersehbaren Song schreiben. Aber das wäre halt eine ganz, ganz andere Richtung. Aber einen Song zu schreiben, der jeden von uns Vieren wirklich zufrieden stellt, das ist extrem schwer.

D'Arcy: Wir haben einfach eine sehr eigenartige Liebe zum Detail. Wir haben ewige Diskussionen über Sachen, die andere nicht mal bemerken würden, die uns aber unglaublich wichtig sind.

Und gehen diese Diskussionen immer ruhig und besonnen vonstatten, oder wird's auch mal hitzig?

Mazzalai: Oh ja. Wir haben zum Beispiel sehr viel über den Snare-Sound gestritten, da gab es wirklich ernsthafte Kämpfe.

D'Arcy: Der Snare-Sound ist ja bitte auch der Kern des Sounds!

Mazzalai: Es dreht sich doch alles um die Snare!

D'Arcy: Du möchtest die Snare cool klingen lassen ...

Mazzalai: ... aber auch nicht zu cool! Es ist ein nie endende Suche!

Ihr habt also viele Snares ausprobiert...

D'Arcy: Das kann man wohl sagen!

"Ti Amo", Italienisch für ich liebe dich - erzählt doch mal, was euch zu diesem Titel gebracht hat, und warum die italienische Sprache sowie Italien als Sehnsuchtsort so prominent vertreten ist.

D'Arcy: Es kamen bei den Sessions einfach sehr viele Songs auf Italienisch raus. Manche zum ersten Mal auch auf Französisch, das haben wir auch noch nie gemacht. Wir haben erst gar nicht versucht, sie auf Englisch umzuschreiben, es war einfach viel cooler.

Mazzalai: Wir fanden es so aufregend, wir konnten es gar nicht glauben.

D'Arcy: Es gab einfach keine Vorgabe. Es hätte auch alles französisch werden können. Vielleicht ist Italien deshalb so prominent vertreten, weil wir sehr viel italienische Musik gehört haben. Wir wissen es selbst nicht, es ist einfach passiert. Wir wollten einfach neue Landschaften finden – und in Sachen Sprache haben wir außer Englisch noch nicht wirklich viel erkundet. Es kam einfach ganz natürlich.

Laurent [Brancowitz, Gitarre - Anm.] sprach davon, dass Italien sein Sehnsuchtsort sei.

Mazzalai: Ja, und so haben wir es in unser aller Vision eines schönen Ortes verwandelt – in Musik, die du im Sommer im Autoradio hören willst!

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