22. Januar 2015
"Es ist egoistisch, ein Solo-Album aufzunehmen"
Interview geführt von Magnus HesseDer Radiohead-Schlagzeuger ist eigentlich kein Mann der vielen Worte. Auf und neben der Bühne agiert der 47-Jährige lieber im Hintergrund. Dabei hat Philip Selway viel zu erzählen.
Im Interview spricht Philip Selway über sein zweites Solo-Album, warum er jetzt selbstbewusster ist als noch bei seinem Debüt "Familial" und wie die Studio-Sessions mit Radiohead so liefen. Außerdem arbeitete Selway in der Zwischenzeit mit der renommierten Rambert Dance Company zusammen und vertonte deren Inszenierung, was ihn nachdrücklich geprägt hat.
Der vornehmlich britische Akzent und die feingeistige Gentleman-Attitüde des Mannes aus Abingdon dringt während unseres Gesprächs selbst durch die Telefon-Lautsprecher deutlich ans Ohr.
Hi Philip! Wo hältst du dich denn gerade auf?
Hi, ich bin zu Hause, draußen in Oxford.
Anfang Oktober erschien dein zweites Solo-Album "Weatherhouse". War das als bekannter Radiohead-Drummer auch eine Last, eine Soloplatte aufzunehmen, weil jeder nur das Beste erwartert, oder in erster Linie die Chance, etwas zu machen, das mit der Band nicht möglich wäre?
Ich nahm "Weatherhouse" in Angriff, nachdem die Radiohead-Tour 2012 zu Ende war und wir wussten, dass wir uns auf andere Projekte konzentrieren wollten. Der Band ging es zu dieser Zeit wirklich gut und es war klar, wir würden früher oder später wieder zusammen Musik machen. Deshalb war die Band letztes Jahr nicht präsent in meinem Kopf und ich konnte mich auf diese Songs, die herumschwirrten, fokussieren und auf Ideen, die ich ausprobieren wollte. Und dann hatte ich schon den musikalischen Draht zu Adem Ilhan und Quinta geschaffen, die in meiner Live-Band für mein erstes Solo-Album "Familial" spielten. Ich wollte einfach erforschen, was da möglich ist. Ich hatte ein freies Jahr vor mir, ein gutes Studio mit vielen guten Instrumenten zur Verfügung. Das brachte den ganzen Prozess dann in Gang.
Du hast Adem Ilhan und Quinta angesprochen. Ich habe gelesen, es herrschte ein regelrechtes Band-Feeling im Studio ...
Absolut. Die Band-Analogie war sehr wichtig für uns. Ich war immer ein großer Fan von Adem und Quinta. Adem als freischaffender Solokünstler, großartiger Songwriter und Arranger und auch als Mitglied von "Fridge", einer Band, in der er neben Kieran Hebden in einem Quartet spielt. Er hatte einfach diese Historie. Quinta lernte ich kennen als sie bei Bat For Lashes als Radiohead-Support spielte.
Als wir für "Familial" als Live-Band spielten, merkte ich, dass da eine Unendlichkeit, eine musikalische Unendlichkeit existiert zwischen uns drei. Ich glaube wir geben uns gegenseitig sehr viel Raum und Unterstützung Ideen auszuprobieren. Wir haben einen sehr ähnlichen Musikgeschmack und sehr ähnliche Vorstellungen. Und als wir dann im Studio waren, fühlte es sich an - ich habe das schon mal gesagt - wie in einem geschlossenen Laden. Wir haben uns im Prinzip eingeschlossen im Studio, komplett weggeschlossen. Daher war es eine sehr unbewusste Art und Weise zu arbeiten. Das war eine wirklich fruchtbare Beziehung.
Diesen Sommer haben wir auch zusammen eine Kollaboration für die Rambert Dance Company gemacht hier in London. Und als wir dann anfingen "Weatherhouse" aufzunehmen, hatten wir uns so viel vorgenommen. Du hast diese ewig lange To-Do Liste und du schmeißt einiges wieder runter - aber, gleichzeitig, und das ist das eigentlich Großartige daran, stellen sich noch mehr Fragen. Mehr Fragen darüber, was du zusammen schaffen willst. Und mit unserer Hingabe für das Rambert Dance Company-Projekt hatten wir die Möglichkeit auf eine komplett andere Weise zu arbeiten: Mit den selben Texturen, die wir so mögen, die wir dabei aber von einer gänzlich anderen Seite anpacken mussten. Daher war das einfach über die letzten knapp zwei Jahre eine wirklich fruchtbare musikalische Beziehung.
Standen die Songs denn alle, als ihr ins Studio gingt oder entstanden Stücke auch beim Improvisieren?
Nein, ich hatte alle Songs fertig als wir ins Studio gingen. Ich hab daraus Demos gemacht für die formalen Geschichten und die Akkord-Folgen usw.. Ich hatte auch schon ein paar der Textteile, das eine Wort oder die eine Zeile hier, und wusste mit welchem Sound ich arbeiten wollte. Aber eigentlich kamen die Songtexte erst nachdem wir die Arragements aufgenommen hatten. Das war eine schöne Text-Arbeit, denn so konnte ich auf das, was in den Instrumental-Aufnahmen passiert, gewissermaßen antworten in einer Art Zusammenführung.
Der Titel für dein Debüt "Familial" kam dir erst, als du dir das fertige Album angehört hast, weil du erst dann wusstest worum es darauf eigentlich geht. Wie war das mit "Weatherhouse"?
Genau gleich. Das ist eine weitere Parallele zwischen "Weatherhouse" und "Familial". Als ich mit Künstlern für das Artwork von "Familial" begann, war es wirklich interessant zu sehen, was sie daraus zogen. So hat damals auch das Artwork den Titel mitbestimmt.
Auf ganz ähnliche Weise lief das bei "Weatherhouse". Bei dieser Platte habe ich mit dem Künstler Ted Dewan zusammengearbeitet, der ein Freund von mir ist. Ich gab ihm einige der frühen Mixes des Albums und er fuhr sofort auf "It Will End In Tears" ab als ein Bild für "Weatherhouse". Also baute er diese Skulptur mit dieser Schrottplatz-Ästhetik für "Weatherhouse". Es war also teilweise von seinem Artwork abgeleitet, aber ich hatte auch das Gefühl, dass es ein Titel ist, der das Album nicht unbedingt erklärt, aber erzählt und alles zusammenfasst. All das unterschiedliche emotionale und musikalische Wetter auf der Platte. Es schien einfach eine passende Metapher zu sein für das ganze Ding.
"Es ist egoistisch, ein Solo-Album aufzunehmen"
Gibt es einen Song, der für dich eine ganz besondere Geschichte hat oder in irgendeiner Weise besonders heraussticht?
Für mich sind sie alle etwas sehr Besonderes. Ich hab da sehr viel Zeit rein gesteckt (lacht). Ich gaube, was ich versucht habe, ist etwas zusammenzustellen, das authentisch nach mir klingt. Sowohl was meine Stimme mit den Texten angeht, als auch meinen Musikgeschmack.
Ein Song, der besonders heraussticht ... ah, "Coming Up For Air", der reflektiert ziemlich genau meine mentale Einstellung als ich begann mit "Weatherhouse" nach der Radiohead-Tour. Einfach in das Jahr zu starten und zu wissen, dass ich mich darauf konzentrieren kann mein Album zu machen und zu Hause zu sein. Das war das Befinden, das ich versuchte in diesem Song einzufangen. Ich hoffe, das kommt rüber ...
Man hört auf der Platte das differenzierte Schlagzeugspiel und hat dennoch nie den Eindruck, dass sich dieses in den Vordergrund spielt. War das so beabsichtigt?
Ich denke, ich bin an die Drumparts so rangegangen, wie ich das bei jedem Song mache. Die Drumparts sind die Stütze dessen, was im Song passiert. Und wenn du genau hinhörst, was da passiert, findest du den passenden Schlagzeugteil. Auf "Familial" hatte ich nur Schlagzeug auf einem Song, weil ich bei den anderen Songs keines im Kopf hatte.
Dieses mal war Adem sehr gut darin mich zu ermutigen Drums zu spielen und bei vielen Takes war das Schlagzeug das erste, was wir aufgenommen haben. Also eine komplett andere Herangehensweise, was den Aufbau der Arrangements betrifft dieses mal. Außerdem habe ich das Gefühl, dass es schon allein egoistisch ist, ein Soloalbum zu machen, so viel steht fest, und dazu ist es egoistisch, dann noch mein Schlagzeugspiel darauf zu haben, was es insgesamt noch mehr zu einer kompletteren Stimme von mir macht.
Wir haben schon über deine beiden Alben gesprochen. Welche Entwicklung hast du seit dem durchlaufen und was hat sich verändert?
Wahrscheinlich, dass ich viel selbstbewusster geworden bin was das Anpacken von "Weatherhouse" anging. Bei "Familial" hab ich den Prozess nicht so kommen sehen. ich war anfangs gar nicht sicher, ob ich das Album fertig stellen würde. Aber ich hatte es in mir, das zu schaffen. Nachdem ich diesen Prozess ein mal erlebt hatte, fühlte ich mich von dieser Erfahrung bestärkt "Weatherhouse" anzugehen.
"Weatherhouse" ist etwas ausgedehnter und zielstrebiger bis zu einem bestimmten Punkt, das ist wohl der größte Unterschied zu "Familial".
"Das habe ich so in den Ferien gemacht"
Wusstest du denn sofort, dass du ein zweites Album aufnehmen wolltest als du ein paar Songs hattest? Wann war der Zeitpunkt gekommen zu sagen: Ich mach's?
Das war wahrscheinlich im November 2011. Als ich damals einige Shows spielte, hatte ich schon einen ganzen Korpus an neuen Songs. Und dann war der Punkt erreicht zu sagen, eigentlich habe ich genug um damit die Idee für eine neue Platte zu rechtfertigen. Das war direkt vor einer intensiven Radiohead-Phase, was mir die Extra-Zeit für die Ideen gab, sich setzen zu lassen und um die Songs erst mal ruhen zu lassen, bevor wir damit ins Studio gingen. Nach "Familial" hatte ich schon auch im Hinterkopf, dass ich gerne ein zweites Album aufnehmen würde, aber man muss eben warten bis es kommt. Das Verlangen danach muss darauf basieren, dass du genug Material hast, das in sich stimmig genug ist um damit zu arbeiten.
Du hast gerade von einer intensiven Radiohead-Phase gesprochen. Erst letzten Monat warst du mit der Band im Studio. Zeigst du deinen Band-Kollegen deine Musik, redet ihr darüber und interessiert dich, was sie davon halten?
Hm. Also bis es komplett fertig ist, rede ich nicht darüber. Sobald es fertig ist, gebe ich jedem eine Kopie und wenn sie das kommentieren wollen, dann können sie das machen. Aber eigentlich ist es eher so nach dem Motto: "Das hab ich so in den Ferien gemacht". Ich denke das gilt für uns alle: Wir haben Projekte außerhalb von der Band, weil wir glauben, dass was wir da machen, nicht im Kontext von Radiohead funktionieren würde. Wir schätzen alle die Projekte der anderen und wenn du mich fragst, ich finde großartig was sie alle machen.
Du gehst Anfang 2015 auf Tour mit deinem Solo-Material. Hat das für dich einen anderen Stellenwert? Inwiefern ist das anders für dich?
Ich denke der Hauptunterschied für mich ist die Position auf der Bühne (lacht). Das ist eine ganz andere Anforderung, wenn ich meine eigenen Songs spiele. Aber eigentlich liebe ich beides. Weil beide Projekte auch so unterschiedlich sind. Und beides zusammen ergibt das musikalische Bild dessen, was ich persönlich mache.
Du hast mal gemeint, du warst dir anfangs gar nicht sicher, ob du singen kannst. Ist es nach all dem eine Erleichterung zu sehen, dass alles klappt, was du dir vorgenommen hast und dass es die Leute erreicht?
Ja. Das war gut. Ich meine, das dauerte ne Weile bis ich herausgefunden hatte, wie es funktioniert, da ich all das erst mal lernen musste. Für "Familial" waren kleine intimere Settings am besten, mit einer schön natürlichen Akustik. Da hat es wirklich Spaß gemacht. Und als ich ein mal auch den Mumm für Live-Auftritte zusammengekratzt hatte, war es schön zu sehen, dass es Leute auch mitnahm.
Zum Schluss muss ich doch noch nachfragen: Kannst du schon irgend etwas verraten, was die Sessions mit Radiohead in Oxford angeht? Du meintest ja, das Beste von Radiohead würde noch kommen?!
Es ist noch sehr früh. Aber es ist fantastisch. Wir alle genießen es sehr wieder zusammen Musik zu machen, mit Lebhaftigkeit. Obwohl es ein sehr ruhiges Herangehen ist. Dabei kommt Musik heraus, mit der wir alle sehr zufrieden sind. Das ist alles, was ich im Moment sagen kann.
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