20. April 2015

"Marie braucht viel Drama"

Interview geführt von

Jubiläums-Tour, Greatest Hits-Compilation, neues Studioalbum: Das Jahr 2015 hält für Roxette-Fans jede Menge Highlights bereit. Per Gessle spricht über die Pläne des Duos und schwelgt in Erinnerungen.

Per Gessle ist ein Familienmensch. Statt sich auf Partys oder Preisverleihungen zu vergnügen, verbringt der Roxette-Chef lieber Zeit mit seiner Frau, seinem 17-jährigen Sohn oder seiner Band-Kollegin Marie Fredriksson. Mit Letzterer beschäftigte sich der Schwede in den vergangenen Monaten wieder besonders intensiv: Das 30-jährige Bandjubiläum soll schließlich bleibende Eindrücke hinterlassen.

So schnürte das Duo ein dickes Welttournee-Paket, schloss die Arbeit an einer Greatest Hits-Sammlung ab und schrieb diverse Songs für ein neues Studioalbum. Es ist also viel los im Hause Roxette. Grund genug, sich mit Herrn Gessle zum Vieraugengespräch zu verabreden.

Hi, Per. Was treibst du gerade?

Per Gessle: Ich sitze in meinem Studio und arbeite an Demo-Mitschnitten für unser neues Studioalbum, das im Herbst erscheinen soll. Momentan konzentriere ich mich auf die erste Single. Wir hoffen, dass wir den Song noch vor den anstehenden Europa-Konzerten veröffentlichen können.

Sollte das nicht klappen, können sich eure Fans immer noch mit dem dieser Tage veröffentlichten Greatest Hits-Album "XXX" die Wartezeit verkürzen. Ihr habt bisher 55 Singles veröffentlicht. 30 davon haben es auf die Compilation geschafft. Nach welchen Kriterien habt ihr ausgewählt?

Wir wollten nur 30 Songs mit an Bord nehmen, da wir ja im kommenden Jahr unser 30-jähriges Bandjubiläum feiern. Also haben wir uns für die kommerziell erfolgreichsten Songs entschieden. Wir dachten bei diesem Album in erster Linie an unsere Fans, die uns nun schon seit drei Jahrzehnten die Treue halten. Sie haben nur das Beste verdient.

Apropos das Beste: Gibt es für dich einen Roxette-Song, den du über alle anderen stellen würdest?

Das ist schwierig. Aber wenn ich wirklich einen auswählen müsste, der meiner Meinung nach alles vereint, was die Band musikalisch ausmacht, dann würde ich wahrscheinlich "The Look" nehmen. Dieser Song würde wahrscheinlich auch heute noch durchstarten. Er hat einfach alles, was ein guter Pop-Song braucht.

Als du den Song geschrieben hast, hattest du aber ein anderes Gefühl, oder?

Ja, das ist schon ziemlich verrückt. Ich mochte ihn. Ich hatte damals aber nicht das Gefühl, dass er uns sonderlich viele Türen öffnen würde. "The Look" hatten wir auch nicht als Single auf dem Schirm. Die ersten beiden "Look Sharp"-Singles waren "Dressed For Success" und "Listen To Your Heart". Erst danach haben wir "The Look" ausgekoppelt. In Amerika sah man das aber alles ganz anders. Dort schlug "The Look" ein wie eine Bombe.

Der Song sollte eigentlich von Marie gesungen werden. Warum habt ihr euch damals umentschieden?

Marie kam einfach nicht mit diesem Bubblegum-Vibe klar. Ihre Version klang ziemlich schrecklich. (Lacht) Marie ist eine begnadete Sängerin, die große Melodien und viel Drama braucht, um alles aus sich herausholen zu können. "The Look" verlangte aber keine großen Emotionen. Es war ein simpel strukturierter Radio-Pop-Song, der gute Laune verbreiten sollte. Da passte meine Stimme irgendwie besser.

"Das war so unfassbar!"

Ihr hattet euch schon vor dem ersten Album darauf geeinigt, dass Marie den Hauptteil der Gesänge übernehmen soll. Du wolltest eher im Hintergrund bleiben. Wie war das dann nach dem unerwarteten Erfolg von "The Look"? Habt ihr euch danach noch einmal zusammengesetzt?

Es war schon eine komische Situation. Wir haben danach auch viel miteinander gesprochen. Letztlich haben wir uns aber entschieden, alles so zu lassen, wie wir es zu Beginn vereinbart hatten. Ich meine, die ersten beiden Singles, die Marie eingesungen hatte, wurden ja auch nicht in der Luft zerrissen. Ich bin mir auch sicher, dass wir heute nicht auf so eine erfolgreiche Karriere zurückblicken könnten, wenn wir damals das Grundkonzept verändert hätten. "The Look" ist und war irgendwie ein Song für sich.

Nach Amerika klopften dann auch Länder wie Brasilien und Mexiko an eure Pforten. Plötzlich standet ihr auf Stadion-Bühnen. Verrückt, oder?

Ja, absolut. Unsere erste Südamerika-Tour war der Wahnsinn. Ich kann mich noch an Momente erinnern, in denen Marie und ich uns vor 60.000 Leuten auf der Bühne anguckten und dabei nicht aufhören konnten, zu grinsen. Das war wie ein Traum. Zwei Schweden eroberten die Welt. Das war so unfassbar.

Wenn man sich Live-Videos von euch anschaut hat man das Gefühl, dass ihr euch auch Jahre später noch in Südamerika immer mit am wohlsten gefühlt habt. Vor allem du. Wenn ich da so an die eine oder andere tänzerische Show-Einlage von dir denke …

(Lacht) Oh je, da fällt mir sofort eine Show in Mexiko ein.

Das glaube ich dir. Du und deine Hose …

Ja, genau. (Lacht)

Wie fühlt man sich denn, wenn einem vor Tausenden Fans die Hose reißt?

Ein sehr unangenehmes Gefühl. Aber manchmal passieren solche Dinge halt. Das gehört einfach dazu. Man ist voller Adrenalin, tänzelt rum, und ehe man sich versieht, sitzt man auf dem Hosenboden, die Beine in den Himmel gestreckt und schaut in Dutzende lachende Gesichter. Momente für die Ewigkeit. (Lacht)

"Ich finde Daft Punk sehr interessant"

Derartige Oha-Momente gab es von euch immer nur auf der Bühne zu erleben.

Worauf willst du hinaus?

Wenn ich an Roxette denke, denke ich immer an zwei über drei Jahrzehnte miteinander arbeitende, sich stets ergänzende und perfekt harmonierende Musiker. Kein Gerangel, keine Streits, keine Skandale. Woran liegt das?

Oh, da hast du aber noch nicht hinter jeder Tür nachgeschaut. Marie und ich sind sehr verschiedene Menschen. Wir hatten schon oft Reibereien, vor allem in den Neunzigern. Wir sind wie Bruder und Schwester. Da kommt es zwangsläufig zu Unstimmigkeiten. Wenn wir uns in den Haaren lagen, ging es aber immer nur um die Musik. Und wenn wir uns gezankt haben, dann immer nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das hat in erster Linie mit Respekt zu tun. Ich kann Leute nicht verstehen, die ihren Zwist über die Presse austragen. Das ist doch furchtbar. Wenn ich mich mit jemandem streite, dann geht das niemanden etwas an. Es gibt einfach Dinge, die nicht an die Öffentlichkeit gehören.

Hättest du dir auch gewünscht, Maries schwere Krankheit geheim halten zu können?

Die ersten Tage nach der Hirntumor-Diagnose waren natürlich furchtbar. Ständig klingelte das Telefon. Die ganze Welt wollte Details wissen. Das war schon extrem belastend. Das Blatt hat sich aber ziemlich schnell gewendet. Nicht nur unsere Fans, sondern auch die Presse erwiesen sich schnell als großer Rückhalt. Schon nach kurzer Zeit merkten wir, dass es den Leuten nicht um eine reißerische Story ging. Vielmehr rückte man zusammen. Die Sorge um Marie war einfach zu groß. Auch bei der Presse. Alle hofften einfach nur, dass sie es schafft.

Das Ganze ist jetzt fast dreizehn Jahre her ...

(Unterbricht) Ja, eine lange Zeit. Aber es vergeht kein Tag, an dem nicht daran denke. Ich bin einfach nur dankbar, dass Marie immer noch ein Teil meines Lebens ist. Es war wirklich denkbar knapp, wenn man bedenkt, dass im Normalfall nur eine von zwanzig Personen diese Krankheit überlebt. Wenn sie früher manchmal nur zum Singen ins Studio kam, während ich dort fast den ganzen Tag verbrachte, ärgerte ich mich über sie. Heute juckt mich das überhaupt nicht mehr. Sobald ich ihr in die Augen sehe bin ich einfach nur happy. Wie sie das alles geschafft hat, grenzt an ein Wunder. Und ich bin ein Teil davon. Das macht mich glücklich.

Was macht dich noch glücklich?

Gute Musik. Und meine Familie, natürlich.

Gibt es Bands oder Künstler, die dich momentan vom Hocker reißen?

Ich finde die Musik von Daft Punk sehr interessant. Überhaupt interessiere ich mich mittlerweile mehr für Musik, die ich selber nicht machen könnte, als für Sounds, die schnell ins Ohr gehen. Ich habe beispielsweise keine Ahnung, wie die Jungs von Daft Punk arbeiten. Das ist Musik, die mich vor viele Rätsel stellt. Aber sie klingt spannend, frisch und anders. Das reizt mich. Sie inspiriert mich auch. Ich denke, dass sich einige Leute über den Sound des neuen Roxette-Albums wundern werden. Die Basis bleibt natürlich unverändert. Aber es wird auch Neues zu entdecken geben.

Sounds à la Daft Punk?

(Lacht) Ich will noch nicht zu viel verraten.

Du erwähntest vorhin deine Familie. Ist dein Sohn ein Roxette-Fan?

Ich würde ihn nicht als Fan bezeichnen. (lacht) Ich kann mich noch an unsere "Room Service"-Tour erinnern. Da war er vier Jahre alt. Während der Shows spielte er immer backstage mit unserem Kindermädchen. Allerdings nur so lange, bis die ersten Töne von "Real Sugar" zu hören waren. Dann rannte er immer mit seinen überdimensionalen Kopfhörern zum Bühnenrand und hüpfte und tanzte wild in der Gegend rum. Das war sein Lieblingslied. Nach dem Song ging er dann wieder nach hinten. Der Rest interessierte ihn nicht. Mittlerweile ist er 17. Er spielt auch ein bisschen Gitarre und ist natürlich stolz auf das, was sein Vater erreicht hat. Aber mehr auch nicht. Er wird wohl eher nicht in meine Fußstapfen treten. Ich denke, er wird später im Computerbereich arbeiten. Das macht ihm viel Spaß. Programmieren ist seine Welt.

Traurig?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin sogar froh darüber. Ein Musiker in der Familie reicht.

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