15. April 2020

"Es geht nicht nur um Sex, Drugs und Rock'n'Roll"

Interview geführt von

Die erste Auflösung von At The Drive-In im Jahr 2001 bedeutet für Jim Ward alles andere als den musikalischen Tod. Gemeinsam mit einem Teil seiner ehemaligen Mitstreiter hebt der Gitarrist die Emo-Core-Fraktion Sparta aus der Taufe. Nach drei Alben und einer gefühlt ewigen Pause kündigt die Band im Januar überraschend ein neues Album für April an.

Dem 2002er Debüt "The Wiretap Scars" folgt zwei Jahre später mit "Porcelain" die Etablierung als eigenständige Band und das Heraustreten aus dem fast übermächtigen Schatten von At The Drive-In. 2006 (in Europa aufgrund von Schwierigkeiten eine Plattenfirma zu finden erst 2007) erscheint schließlich das dritte Album "Threes". 2008 kündigt Jim Ward eine Bandpause an, um sich stärker auf sein Sideproject Sleepercar konzentrieren zu können. Sparta spielen nur noch vereinzelt Auftritte.

Im Januar 2020 dann eine kleine Sensation: Jim Ward kündigt mit "Trust The River" die erste Platte seit 14 Jahren an. Anstatt jedoch nahtlos an den alten Sound anzuknüpfen, geht Ward darauf völlig neue Wege. Grund genug, mit ihm ein Telefoninterview zu vereinbaren. Während wir ihn zuhause in El Paso anrufen, herrscht dort gerade ein ungewöhnlich starkes Regenunwetter. Optimale Voraussetzungen also für ein ausgedehntes Gespräch mit dem sympathischen und entspannten Musiker über die neue Platte, Chris Martin, das Leben, mentale Gesundheit und Donald Trump.

Erst einmal Glückwunsch zum neuen Album "Trust The River". Der Vorgänger "Threes" liegt bereits unglaubliche 14 Jahre zurück. Warum habt ihr so ungewöhnlich lange für das neue Album gebraucht?

Ich glaube die einfachste Antwort auf die Frage lautet: das Leben. Das Leben hat sich einfach irgendwie so entwickelt, dass es zu dieser langen Zeit kam. Irgendwie geriet ich aus dem Zyklus, verstehst du? Seit ich 17 bin, dreht sich in meinem Leben alles nur darum, eine Platte zu machen, damit zu touren, dann die nächste Platte zu machen und so weiter. Ungefähr nach der Hälfte der "Threes"-Tour hatte ich dann irgendwie keine Energie mehr und auch erst mal kein Verlangen, ein neues Album zu schreiben. Es ging mir nicht gut mit dem Gedanken einfach so weiterzumachen, und meinen Lebensunterhalt ausschließlich damit zu verdienen. Ruhm, Vermögen und all diese Dinge sind mir nicht wichtig. Wenn ich also an einer Sache keinen Spaß mehr habe, dann höre ich eben damit auf (lacht).

Es war also dringend Zeit für eine längere Auszeit, um dich neu auszurichten?

Dieser Lifestyle war mir einfach plötzlich nicht mehr wichtig. Ich fühlte mich komplett ausgebrannt. Es wäre auch nicht fair gewesen, den Leuten etwas Beschissenes abzuliefern. Außerdem wollte ich damals unbedingt mein Sleepercar-Debütalbum ["West Texas", 2008; Anm. d. Red.] machen, das musikalisch irgendwo zwischen Country und Americana pendelt. Ich musste auch wieder mehr zuhause sein und im eigenen Bett schlafen. Ich hatte einfach genug von allem. Wir spielten zwar hier da ein paar Gigs und veröffentlichten noch eine Handvoll Songs. Es war aber einfach nicht die richtige Zeit für eine neue Sparta-Platte. Ich fühlte mich mental auch nicht im richtigen Zustand dafür. Dann wachte ich 2017 eines Morgens auf, rief Matt [Miller, Bassist; Anm. d. Red.] an und erzählte ihm von meinem plötzlichen Verlangen, die Songs wieder live zu spielen. Matt ging es ähnlich, also spielten wir in diesem Jahr noch eine Show hier bei uns zuhause [Benefiz-Veranstaltung zugunsten der El Paso Community Foundation am 16.12.2017; Anm. d. Red.].

Von da an nahmen wir die Dinge so, wie sich eben entwickelten. 2018 spielten wir dann circa 30 kleinere Shows. Am Ende der Tour hatte ich ein bisschen Zeit für mich, um all die Songs, an denen ich immer wieder arbeitete zu sortieren. Ich buchte dann ein Studio und wir bezogen es mit meinem Kumpel, Geistverwandten und Produzent David Garza. Es war total verrückt, wir machten die Platte innerhalb von drei Tagen. So schnell habe ich nie zuvor gearbeitet. Tatsächlich waren wir so fix, dass wir das gesamte Album in der Zeit fertig hatten, die ich alleine für das Drum- und Bass-Recording einplante. Alles entstand aus dem Zufall heraus.

Was ja im Prinzip die spontanste und vielleicht direkteste Art und Weise ist, eine Platte zu machen.

Ja, es war echt eine verrückte Erfahrung. Total ungewöhnlich und verblüffend. Ich bin sehr dankbar dafür (lacht).

Wie verlief denn der Aufnahmeprozess und was genau war an dieser Erfahrung so ungewöhnlich für dich?

Zum Beispiel, dass ich vorab eine gewisse Zeit mit David in der Sonic Ranch [weltweit größtes Residenzstudio in Texas, unweit von El Paso; Anm. d. Red.] verbrachte, in der wir auch an anderen Sachen arbeiteten. Er ist oft in diesem Studio, um mit einer Vielzahl verschiedener Leuten Musik zu produzieren. Ich traf ihn dort bereits 2017 und wir schrieben einfach so zum Spaß ein paar Songs. Danach ging ich heim und meine Frau sagte zu mir, sie hätte mich nach der Studioarbeit selten so zufrieden gesehen. Als ich ihr dann von den Plänen über ein neues Sparta-Album erzählte, fragte sie mich, wieso wir diese Platte nicht einfach ebenfalls mit David machen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir darüber noch überhaupt keine Gedanken gemacht, da wir mit Sparta eigentlich immer nur reine Rock-Produzenten im Team hatten. Ich zeigte David daraufhin also 40 Sparta-Songs, an denen ich arbeitete. Wir suchten 15 davon aus, die wir dann später im Studio finalisierten.

Ein weiterer wichtiger Teil der Erfahrung war der geistige Freiraum, den ich hatte. Es fiel mir einfach alles unglaublich leicht. Ich hatte keinen Druck und keine Richtlinien. Du kannst 16 Stunden im Studio arbeiten oder nur vier. Es kommt eben, wie es kommt. Erst hörten wir uns die von mir aufgenommenen Demos an. Matt, Cully [Symington, Drums: Anm. d. Red.] und ich spielten die Songs innerhalb von zwei bis vier Takes ein. Es gab keine Click-Tracks oder dergleichen – nur drei Dudes, die Bock hatten.

Hört sich so an, als hätte die Arbeit im Workflow nicht besser laufen können.

Ja, alles passte. Klar veredelten wir die Aufnahmen danach noch etwas und fügten Kleinigkeiten hinzu. Auch Gabe [Gonzalez, Gitarre und Keyboard; Anm. d. Red.] spielte seine Parts nachträglich ein. Aber das ist voll okay. Ich sehe Sparta auch nicht mehr so sehr als Band, sondern eher als ein Kollektiv, als eine Gemeinschaft verschiedener Leute. Deswegen gibt es auch ein paar coole Gimmicks bei einigen Songs.

"Wir müssen offener mit Burnout und Depressionen umgehen."

Dann lass uns doch ein wenig über die Songs auf "Trust The River" sprechen. "Spirit Away" ist mit seiner düsteren, bittersüßen Atmosphäre wohl nicht zuletzt wegen des enthaltenen Duetts mit Abstand die größte Überraschung auf der Platte. Wie kam es zu diesem Song?

Eigentlich hatte ich von "Spirit Away" lange Zeit nur das Gitarrenriff. Es existiert schon seit ein paar Jahren. Das Besondere an dem Song ist, dass er ganz wesentlich von seiner Auflösung in den Refrain lebt. Die Grundstimmung der Strophen ist stark gespenstisch und dunkel. Wenn dann der erlösende C-Dur Akkord kommt, beginnt der Song plötzlich zu scheinen. Als ich es David vorspielte, zeigte er sich regelrecht bezaubert davon. Für mich ist das wie eine natürliche Reaktion auf dieses von Gegensätzen geprägte Ambiente. "Spirit Away" musste dunkel sein und ein Lügenmärchen enthalten. Ein Produkt der Phantasie und der Einbildung. Ich stellte mir einen abgefuckten Typ vor, der eine andere Person besitzen oder kontrollieren will und sie deswegen einsperrt. Mir war klar, dass ich für die gewünschte Wirkung eine Frauenstimme im Song brauchte.

Wir hatten zwar ein paar Sängerinnen im Gespräch. Letztlich aber schickte ich Nicole Fargo die Rohversion zu. Sie singt auch auf einigen Solo-Stücken von mir und ich vertraue ihr vollständig. Sie singt nicht nur unglaublich gut, sie schreibt auch hervorragend. Das war mir wichtig. Ich wollte, dass der weibliche Part aus der Perspektive einer Frau heraus entsteht und nicht aus meiner männlichen. Es soll ja eine Reaktion auf meinen Text erfolgen. Ich schickte Nicole also den Song mit meinen Vocals und bat sie, auf den Mann oder die Gesamtgeschichte anzusprechen. Drei Stunden später schickte sie mir einen ersten Take und der haute mich echt vom Hocker. Sie traf es zu 100 %. Sie verstand genau, dass es mir um ein Gegenüberstellen von Hellem und Dunklem geht. Ich habe noch nie so tief gesungen auf einer Platte. Vollkommen beabsichtigt. Ich wollte mich damit in einen anderen Bereich bewegen. Denn eigentlich bin ich ja eher dafür bekannt, wirklich hoch zu schreien. Irgendwie wollte ich mal das Gegenteil machen. Ich habe ganz bewusst Songs auf die Platte gepackt, die mich aus meiner Komfortzone drängen.

"Trust The River" ist für dich also eine Art über den Tellerrand zu schauen, um dich kreativ zu erden. Du als dein eigener bewegter Beweger sozusagen.

Ja, auf jeden Fall! Ich meine, die letzte Platte liegt 14 Jahre zurück. Es gibt für mich also überhaupt keinen Grund, weiterhin in dieser Box zu bleiben. Ich weiß nicht einmal mehr, was diese Box ist. Ich habe sie verloren (lacht). Es ist einfach viel passiert in der Zwischenzeit und ich könnte heute unmöglich genau die (betont) Platte aufnehmen, die ich vor 14 Jahren gemacht hätte. Ich persönlich schreibe ehrliche Platten, die direkt von mir kommen. Deswegen musste ich das Album so gestalten, wie ich das eben heute mache. Als Songschreiber bin ich nicht gut genug, um etwas anderes machen zu können. Ich kann nicht vortäuschen, jemand anderes zu sein. Ich kann nur ich selbst sein, das ist alles was ich habe. Nur dafür habe ich Energie.

Ist das der Grund, weswegen ihr den bereits 2012 veröffentlichten Song "Chemical Feel" nicht wie die ebenfalls schon erschienenen Tracks "Graveyard Luck" und "Cat Scream" auf die neue Platte gepackt habt?

Ja. "Chemical Feel" ist einfach schon zu alt. Die Nummer kommt quasi aus einer anderen Zeit und fühlte sich nicht mehr relevant an. Für mich war das so etwas wie das letzte Kapitel des alten Abschnitts der Band. Wie das Ende eines Buches. Das alles liegt bereits zu weit in der Vergangenheit, um es mit in die Gegenwart zu nehmen. Weißt du, was ich meine?

Klar, "Chemical Feel" unterscheidet sich schon deutlich von der herrschenden Grundstimmung auf "Trust The River". Welcher der neuen Songs diente dir dann letztlich als Ausgangspunkt dafür, das neue Album zu schreiben?

Ich glaube "Graveyard Luck" ist der älteste von mir geschriebene Track, den ich nicht (betont) aus dem Sinn verloren habe. "Graveyard Luck" ist für mich daher der Marker, die Brücke zwischen dem alten und dem neuen Sound von Sparta. Alles Weitere baut darauf auf. Obwohl "Believe" auch bereits 10 Jahre alt ist. Ursprünglich schrieb ich den Song für Sleepercar, wusste aber nie so recht, wie ich ihn zu Ende führen sollte. Als wir dann mit den Arbeiten zu "Trust The River" begannen, verschmolzen meine beiden musikalischen Welten irgendwie miteinander. Plötzlich fühlte sich "Believe" auch für Sparta relevant an. Dass ich damit diese neue Verbindung herstellen kann, ist für mich das Beste an der ganzen Sache.

Wo du gerade selbst diese neue Verbindung ansprichst. Der deutliche Folk-Einschlag à la Bruce Springsteen und The Gaslight Anthem in Kombination mit Elementen deiner alten Post-Hardcore- und Alternative Rock-Wurzeln kommt durchaus unerwartet. Ist das der Weg in deine musikalische Zukunft?

Ja. Ich habe das ganz bewusst so gemacht. Mein Dasein als Hauptsongwriter für Sparta gibt mir die Freiheit dazu. Ich will nicht mehr jeweils auf ein Projekt zugeschnittene Musik machen. Vorher übte ich immer den extremen Spagat zwischen Sparta und meinem akustischen Solo-Projekt. Ich pendelte also immer zwischen deftigem Rock, sanften Klängen und Country-Americana-Sound. Mittlerweile habe ich zu mir gefunden und kann alle diese Dinge miteinander verbinden. Früher habe ich immer mögliche Reaktionen der Fans in die Arbeit an den Projekten mit einfließen lassen und mich nicht wirklich stark von den jeweiligen Grundsounds entfernt. Wahrscheinlich habe ich mir damals selbst nicht genug vertraut. Deswegen auch diese grundverschiedenen Platten mit anderen Bandnamen und Musikern. Das fühlte sich auf diese Weise einfach sicherer an. Jetzt aber, in meinen Vierzigern, ist mir das alles egal, denn meine Familie ist mir wichtiger (lacht). Also konzentriere ich mich nur noch auf die Art von Musik, die ich wirklich machen will und auf meine Familie.

Das ständige Touren war nicht gut für meine psychische Gesundheit. Ich kann es nicht mehr und ich werde das in Zukunft auch nicht mehr in diesem Ausmaß betreiben. Wir müssen im Musikbereich noch offener mit Burnout und Depressionen umgehen. Viele von uns sind nicht einfach nur niedergeschlagene Songwriter, sondern leiden wirklich an Depressionen. Es ist wichtig, sich um seine Psyche zu sorgen. Es geht um mehr als nur Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Ich will zwar Musik machen, genauso aber will ich ein guter Ehemann, ein guter Sohn und ein guter Freund sein. Um das alles erfüllen zu können, muss ich auf mich aufpassen.

Das ist ja die existentielle Grundvoraussetzung dafür, als Mensch das Leben vollwertig in all seinen Facetten zu teilen und somit auszukosten.

Ja, exakt. Ich habe Bruce Springsteen über seine Depression sprechen hören. Einige wunderten sich darüber, wie man als Musiker seines Standes depressiv sein könne. Immerhin stehe er als verehrter Star auf der Bühne und viele möchten selbst gerne dieser Typ sein. Bruce sagte, er wäre selbst gerne dieser Typ. Die Leute würden aber nicht verstehen, dass er diese Rolle immer nur für zwei bis drei Stunden erfüllt. Was nach der Show alleine im Hotelzimmer im Kopf vorgeht, das kriegen die Leute ja gar nicht mit. All die Zweifel und die ganze Scheiße, das ist wirklich hart. Es ist gut, dass wir mittlerweile darüber reden können, vollwertige menschliche Wesen zu sein, anstatt nur Dinge in einem CD-Regal. Für uns als Band kamen diese Gedanken ins Spiel, als wir die Platte angingen. Wir sprachen echt viel über gute Schwingungen, positive Energie, Glück und Gesundheit. Die Arbeit an der Platte erledigte sich danach fast wie von selbst. Das passiert, wenn du gesund bist.

Willst du das auch mit dem Albumtitel "Trust The River" ausdrücken? Geh ich richtig in der Annahme, dass er einerseits eine Referenz an Bruce Springsteens "The River" ist und andererseits aber auch an Heraklits Prinzip des panta rhei, nach dem sich alles konstant fließend verändert und man mit dieser Einheit der Dinge mitgehen muss, um sein Leben erfüllt zu leben?

Ja, vollkommen richtig. Ich hatte eine Unterhaltung mit David über meine Karriere. Für mich war das wie ein Spaziergang durch meine Erlebnisse. Natürlich sprachen wir da auch über das Reisen und die ganzen Hochs und Tiefs mit ihren Enttäuschungen. Er meinte zu mir: 'Schau! Du musst einfach dem Fluss vertrauen'. Wir hatten es spezifisch über Musik, man kann das aber auch eins zu eins auf das Leben übertragen. Manchmal gelangst du an den langsamen, tiefen Teil des Flusses und kommst nicht so wirklich voran, manchmal bist du in einem schnellen Abschnitt oder verfängst dich in einem Baum. Du musst dem Fluss aber immer vertrauen. Da schließt sich der Bogen zur Platte. David sagte zu mir: 'Lass das Album einfach passieren, lass die Songs heraus, nimm sie auf und denk nicht zu viel darüber nach'. Er bestärkte mich darin, die Dinge einfach so laufen zu lassen, wie sie nun einmal laufen. Deswegen benannte ich die Platte von ihm abgesegnet auch nach seiner Ermunterung "Trust The River", die für das Album ausschlaggebend war.

Du hast ja den wesentlichen Anteil des Materials für "Trust The River" geschrieben. Wie stark war die Band in den Prozess involviert?

Matt schrieb die Musik zu "Empty Houses". Ich sagte ihm am Telefon, dass ich bereits ein paar Ideen für das Album gesammelt hätte. Daraufhin schickte er mir einige seiner Skizzen zu. Ich hörte sie mir an und "Empty Houses" stach unmittelbar heraus. Wir spielten den Song genau so ein, wie er ihn konzipierte. Ich änderte nicht eine einzige Note. Nur der Text stammt von mir. "Empty Houses" ist aber der einzige Track, dessen Musik auf Matts Konto geht. Ich hoffe, er bringt in der Zukunft ein paar Stücke mehr, denn ich mag seinen Stil. Wer immer auch innerhalb der Band Songs oder Ideen hat, kann sie einbringen. Ich selbst schreibe eh konstant an Neuem. Und der Text zu "Spirit Away" stammt ja zur Hälfte von Nicole.

"Dead End Signs" klingt, ähnlich wie zuvor "Spirit Away", mit seinen lieblich-beseelten Klavierläufen ebenfalls auffallend ungewöhnlich für ein Sparta-Album. Kannst du mir ein bisschen was darüber erzählen?

Ursprünglich konzipierten wir "Dead End Signs" als schnellen, stark verzerrten Gitarrensong. Ich spielte ihn David vor und er sagte nur: 'So kannst du das nicht machen, das musst du am Klavier spielen und zwar langsam'. Ich dachte mir nur: 'Was? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen'. Wir gingen dann zum Klavier, testeten seinen Vorschlag und es passte hervorragend. Ich hörte auf Davids Vorschlag, da ich ihm vertraue. Deswegen ist er mein Geistverwandter.

Ging die Implementierung des Mellotrons und des Fender Rhodes in "No One Can Be Nowhere" auch auf einen Vorschlag von ihm zurück?

Ja, das Mellotron kommt von David. Er spielte im Kontrollraum aus einer Laune heraus einfach nur so zum Spaß mit, während wir den Song gerade live spielten und aufnahmen. Wir benutzten in diesem Falle also keine Overdubs. Ich hörte es danach und fand es sofort unglaublich gut. Abgesehen vom Mellotron wollte ich aber sowieso ein Tasteninstrument in "No One Can Be Nowhere" haben. Ich trug den Song zum Zeitpunkt der Aufnahmen schon eine Weile mit mir herum und fand, er könne etwas frischen Atem gebrauchen. Also schickte ich ihn Chris Martin von Coldplay. Er rief mich dann recht schnell von seinem Studio aus zurück und meinte, er würde den Track gerne kürzen, da er mit siebeneinhalb Minuten so verdammt ausufernd sei. Wir sind schon lange miteinander befreundet und ich vertraue ihm. Deswegen sagte ich: 'Klar, mach damit, was immer du willst'. Chris schickte mir das Ergebnis auf 5 Minuten gekürzt und mit zusätzlichen Fender Rhodes-Spuren versehen zurück. Mit seinem Engagement gestaltete er den Song um so vieles besser. Wir haben ihm deswegen auch Credits für sein Arrangement und sein Tastenspiel gegeben. In der Presseinfo haben wir das absichtlich nicht erwähnt, denn ich wollte auf keinen Fall mit seinem Namen hausieren gehen. Dazu ist mir die Freundschaft ihm gegenüber viel zu wichtig.

"Trump ist das unbeliebteste menschliche Wesen überhaupt"

Verständlich. Auch dies eine echte Überraschung, mit der wohl niemand gerechnet hätte. Wie sich in Kommentaren zu den bereits veröffentlichten Singles zeigt, stoßen sich bisher viele Fans an dem ungewohnt neuen Sound, da er für sie nicht mehr nach Sparta klingt. Wie gehst du mit dieser Kritik um?

Ich lasse immer jedem seine Meinung. Es steht mir nicht zu, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Wenn die Singles jemandem nicht gefallen, okay. Die Fans verbinden ja unsere Platten mit Momenten in ihrem Leben. Ich kann das verstehen. Aber ich selbst bin seit 43 Jahren auf dieser Lebensreise. Ich lebe im Jetzt und mache Musik, die mein Leben im Jetzt reflektiert. Wenn jemand von den Fans diese Reise nicht mehr mitmachen will, dann kann ich das vollkommen verstehen. Das nehme ich keinem krumm. Letztlich ist es aber auch nicht wichtig. Würde die Platte wie ein Abguss der alten klingen, dann würden sich manche genau darüber beschweren. Ich kann meine Zeit nicht mit Gedanken darüber verbringen, was andere denken.

Für mich bedeutet diese Platte deswegen auch, die Flagge in den Sand zu stecken und zu sagen: 'Das ist der Punkt, an dem ich stehe. Das bin ich'. Man muss mir dabei nicht folgen, das ist völlig okay. Ich bin mir sicher, dass es Sparta-Fans gibt, die dieses Album nicht mögen werden. Aber die Platte ist ein Zeichen meines Ankommens. Darauf bin ich verdammt stolz und in diese Richtung möchte ich auch weitergehen.

Gesunde Einstellung, um künstlerisch offen in die Zukunft zu schauen. Wir müssen aber auch noch ein bisschen über Politik sprechen...

... oh ja, gerne (beiderseitiges Lachen).

Du bist bekannt dafür, offen gegen Donald Trump zu oppositionieren. Am 3. November finden in den USA Präsidentschaftswahlen statt. Als Bernie Sanders seine Kampagne diesen Februar in Texas im Vorfeld des Super Tuesday begann, hast du dort mit Sparta neben einer Mariachi-Band gespielt. Was bewog dich dazu?

Ich hielt das im Hinblick auf das öffentliche Bewusstsein für wichtig. Die Kundgebung fand am Samstag den 22. Februar statt. Die vorzeitige Stimmabgabe in Texas begann am Dienstag zuvor. An diesem Tag traf ich die Entscheidung, bei den offiziellen Vorwahlen im März für Bernie Sanders zu stimmen. Mittwochnachmittags erhielt ich einen Anruf von seinen Wahlkämpfern mit der Anfrage, ob wir nicht mit Sparta im Rahmen der Kundgebung spielen wollten. Da ich meine Entscheidung pro Sanders zu diesem Zeitpunkt bereits getroffen hatte, stimmte ich zu. Ich bin froh darüber, ihn öffentlich, privat und finanziell zu unterstützen. Ich hörte mir seine Reden an, ich glaube an ihn und an das, was er sagt. Aber, und das muss ich auch sagen, ich gehöre nicht zu den Leuten, die dann gar nicht wählen, sollte Bernie es nicht schaffen. Das wäre abgefuckt absurd. Sollte Biden gewinnen, dann werde ich ihn wählen. Ich wähle jeden, Trump aber auf keinen Fall. Ich werde Trump vehement bekämpfen.

Du setzt dich ja eh schon seit Jahren leidenschaftlich für die Demokraten ein. Hoffen wir im Sinne der Vernunft, dass du dieses Mal damit Erfolg hast.

Ja, ich sage das schon seit vier Jahren. Mein Megafon dafür war aber noch nie groß jetzt, da wir eine neue Platte rausbringen. Eigentlich sage ich schon seit George Bushs Präsidentschaft, dass ich diejenigen unterstütze, deren Entscheidungen ich im Sinne meines Landes für besser halte. Es ist momentan hart, Amerikaner zu sein. Es ist verdammt hart. Weißt du, ich lebe in einer Grenzstadt und wohne in einer Gemeinschaft, wegen der jemand gezielt zum Töten von nicht-Weißen in unsere Stadt kam. Das riss uns auseinander [Attentat von El Paso am 3. August 2019 mit 22 Toten. Trump hielt dort Monate zuvor eine Brandrede zugunsten seines Mauerbau-Projektes und warnte darin vor "gefährlichen Kriminellen" und Mordgefahr; Anm. d. Red.]. Ehrlich, Trump kam dann in meine Stadt und prahlte damit, wie viele Leute ihm doch folgen würden und wie cool er doch sei. Innerhalb unserer Gemeinschaft aber hat er niemandem Hilfe oder Unterstützung angeboten. Am Ende des Tages - auch wenn ich ihn nicht gewählt hätte - wäre er gekommen und hätte er meiner Gemeinschaft gegenüber ein paar tröstende Worte gespendet, dann hätte das zumindest etwas (betont) bedeutet. Aber sogar das (wieder betont) hat er versaut. Wie schwer kann es bitte sein, zu kommen und zu sagen: 'Es tut mir leid, dass das passiert ist'? Es ist so verdammt einfach.

Mein Problem gerade ist folgendes. Viele meiner Freunde sagen: 'Wenn Bernie es nicht schafft, dann ist das System manipuliert'. Lauter so bla bla bla bla bla. Die Lage ist aber im Moment um so vieles komplizierter als mit diesem Argument dargestellt. Es ist so viel wichtiger, dass wir zusammen kommen. Die Leute sollen bei den Vorwahlen stimmen für wen sie wollen. Ich habe Freunde, die wählen Biden. Das ist auch gut so. Das ändert nichts an unserer Freundschaft. Ich kann mir keine weiteren vier Jahre Trump vorstellen. Das wäre das Ende unseres Landes. Es ist absoluter Wahnsinn, wie schnell er dem Land übel mitgespielt hat.

Noch eine Legislaturperiode mit Trump an der Spitze halte ich tatsächlich für schwer vorstellbar...

... die ganze Welt. Wer will ihn? Ich versteh das nicht (lacht). Für mich ist Trump so etwas wie das unbeliebteste menschliche Wesen auf der ganzen Erde. Gemeinsam mit ungefähr 48 % der Amerikaner. Das kann ich auch nicht nachvollziehen. Aber sei es drum.

2018 hast du gemeinsam mit den mexikanischen Indie-Poppern The Chamanas und dem El Paso-stämmigen Gitarrist und Akkordeonist Kiko Rodriguez den Song "If You Build It, We Will Break It" als eine Antwort auf Trumps selbstgepriesene "große, schöne Mauer" aufgenommen. Gibt es Pläne bezüglich weiterer Protestsongs aus deiner Richtung für den Zeitraum vor November?

Ich habe da jetzt keine spezifischen Pläne. Es sprudelt aber hoch in mir. Wir werden recht schnell einen Kandidaten der demokratischen Partei haben. So sehr ich mir auch ein Dreiparteiensystem in den USA wünsche, im Moment ist das vollkommen unrealistisch. Ich bin Realist. Ein Optimist, aber eben auch ein Realist. Ich wache morgens auf und denke, es wird ein guter Tag. Nach der Tagesmitte aber erkenne ich, was wir alles ändern müssen, um den nächsten Tag besser zu machen. Für mich ist es ein Lebensstil, Optimismus mit realistischen Ansichten zu etablieren. Alle innerhalb des Sparta-Teams wissen, dass dieses Jahr ganz im Zeichen der Politik steht. Deswegen gestalten wir unseren Zeitplan ziemlich luftig. Wir brauchen Flexibilität, um tun zu können, was wir tun müssen. Ich weiß, dass wir in Texas bis zu einem gewissen Grad helfen können. In den nächsten acht Monaten werden wir sehr aktiv sein. Sehr aktiv.

Ich wünsche dir in jedem Fall viel Erfolg dabei. Als Musiker hast du da ja einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung – vor allem bei euch in den USA, wo Wahlkampf und Musik oft überlappen. Leider neigt sich unsere Zeit dem Ende zu und wir müssen zu den letzten Fragen kommen. Eure US-Tour beginnt ja schon im April. Finden diese Shows statt, oder wird es eine Verschiebung aufgrund des Coronavirus geben?

Momentan gibt es keine Verschiebungen. Wie alle werden wir die Situation aber so nehmen, wie sie auf uns zukommt. Wir haben uns für den Anfang mit dieser Platte dafür entschieden, jeweils mehrere Abende in kleinen Clubs zu spielen. Wir sind nicht auf die Kohle aus. Daher die Wahl von kleinen, schwitzigen Räumen. Ich liebe das. Wir geraten damit auch nicht unter die derzeitigen Quarantänebeschränkungen. In New York beispielsweise sind ja Örtlichkeiten ab einer Kapazität von mehr als 500 Personen geschlossen. Aktuell wären wir davon also nicht betroffen. Wenn sich die Lage aber gefährlich entwickelt, dann werden wir natürlich nicht spielen. Unsere Tour startet erst Ende April. Wir müssen einfach abwarten, was bis dahin passiert. Aber ich werde keine Flugtickets kaufen, das sag' ich dir. Wir halten jetzt den Atem an und hoffen, dass alle geschützt sind. Ich hoffe, dass meine Regierung mit der Situation klarkommt, denn ich glaube nicht, dass wir viel Spielraum haben.[Sparta haben ihre US-Tour mittlerweile aufgrund explosiv steigender Fallzahlen an Covid-19-Erkrankungen abgesagt. Das Interview fand bereits am 13. März statt; Anm. d. Red.].

Absolut. Hier in Deutschland befinden wir uns bereits flächendeckend mitten in einer riesigen Absagewelle für Veranstaltungen jeglicher Art. Hoffen wir alle das Beste! Zu guter Letzt: Ihr habt ewig nicht mehr hier bei uns gespielt. Werdet ihr mit "Trust The River" auch in Deutschland touren?

Ja, wir arbeiten daran. Wir versuchen, die Termine auf den Herbst zu legen. Nach 14 Jahren wieder zurück zu kommen ist, eine verrückte Sache. Deutschland ist mir immer schon sehr wichtig. Nicht nur wegen der Fans. Ich habe auch großartige Freunde bei euch. Deswegen habe ich in Deutschland auch mehr Zeit als in jedem anderen europäischen Land verbracht. Ich hoffe, es klappt zum Herbst.

Hoffen wir, dass der allgemeine Weltzustand es zulässt. Jim, danke für das ausführliche Interview.

Vielen Dank für deine Zeit und eure Treue. Das bedeutet mir nach der langen Zeit viel.

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