22. Oktober 2012
"Ich wünschte, ich könnte mich klonen"
Interview geführt von Kai ButterweckAcht Jahre nach dem letzten gemeinsamen Blues Explosion-Ritt, finden sich Judah Bauer, Russel Simins und Jon Spencer erstmals wieder zusammen, um mit dem Album "Meat And Bone" alte Geister zum Leben zu erwecken.Die Wiedervereinigung der drei Lo-Fi-Blues-Veteranen steht ganz im Zeichen der Huldigung alter Werte. Keine Features, keine Beats und keine Experimente mehr. Stattdessen konzentriert sich das Trio ganz auf die Wurzeln, sprich: dreckigen Blues aus der Garage. Wir sprachen mit Jon Spencer über große Gefühle, Zukunftsvisionen und Projekte auf der Ersatzbank.
Hi Jon, zwischen "Damage" und "Meat And Bone" liegen acht lange Jahre. Wie war es für dich nach so langer Zeit wieder mit Judah und Russel im Studio zu arbeiten?
Jon: Es war fantastisch. Ich glaube, dass wir alle noch nie so viel Freude und Spaß an der Produktion eines Albums hatten, wie dieses Mal. Diese Pause war unheimlich wichtig für die Stimmung innerhalb der Band. Irgendwie fühlt sich alles wieder ganz neu und frisch an.
Das klingt wie nach einer Band, die gerade ihr Debütalbum aufgenommen hat.
Jon: Genauso fühlt es sich auch an. Dieser unbändige Tatendrang und dieses Gefühl etwas loszutreten, hatte ich schon lange nicht mehr. Das ging uns eigentlich allen so. Ich meine, acht Jahre sind schon eine verdammt lange Zeit. Wir waren zwar alle nicht untätig in den letzten Jahren, aber wenn sich die Basis nach fast einem Jahrzehnt wieder zusammenfindet, dann ist das schon etwas anderes.
Ihr hattet während der Produktion eures letzten Albums eine Menge illustrer Gäste im Studio. Auf dem neuen Album hingegen habt ihr darauf komplett verzichtet. Warum?
Jon: Nun, wir haben bei "Damage" mit unheimlich tollen Künstlern und Produzenten gearbeitet. Egal ob Chuck D., Martina Topley Bird oder David Holmes: Sie haben allesamt einen tollen Job gemacht, und die Platte letztlich zu der werden lassen, die wir zu diesem Zeitpunkt aufnehmen wollten. Bei "Meat And Bone" war es etwas ganz anderes. Diesmal haben wir uns eher von unserer eigenen Vergangenheit inspirieren lassen.
Wir waren vor zwei Jahren viele Wochen mit der Veröffentlichung unserer Re-Issues beschäftigt. Diese Zeit hat uns sehr bewegt und uns mit all dem konfrontiert, was uns früher ausgemacht hat. Ich würde auch "Damage" heute noch als lupenreine Rock'n'Roll-Scheibe bezeichnen, aber diesmal wollten wir zurück zur Basis. Wir wollten uns nur auf das Fundament unseres Schaffens fokussieren. Gitarre, Bass, Gesang: fertig. Dazu den Sound einer miefigen Garage, mehr nicht (lacht). Es war einfach ein tolles Gefühl all diese Gefühle und Erinnerungen von damals wieder aufleben zu lassen.
"Wir sind ohne Masterplan ins Studio"
Also seid ihr mit einem bewussten Konzept ins Studio gegangen?Jon: Nein, eigentlich nicht – auch wenn es komisch klingen mag. Wir haben gar nicht darüber gesprochen. Es gab keine Vorgaben oder irgendein Ziel. Ich denke, dass sich diese Verbindung zu unserer Vergangenheit eher unterbewusst entwickelt hat. Das war, glaube ich, bei jedem von uns so. Wir sind nicht mit einem Masterplan ins Studio.
Das Bedürfnis etwas zu kreieren, was uns wieder zu unseren Anfängen zurückbringt, ohne aber den Zeitgeist aus den Augen zu verlieren, war bei uns allen vorhanden. Das merkte man schon bei den ersten Proben. Von da an hat sich der Rest einfach ergeben. Du kannst dich dann nicht mehr umpolen. Deswegen war es uns wichtig keine anderen Leute zu involvieren. Das hätte den Spirit völlig durcheinander gebracht. Wir wollten unser Ding machen.
Gab es denn traurige Gesichter, als ihr dahingehend Absagen erteilen musstet?
Jon: Oh, ich weiß gar nicht mehr, ob überhaupt jemand angefragt hat. Wir waren einfach zu sehr mit uns selber beschäftigt, als das wir uns auch noch mit dem Anrufbeantworter hätten befassen können (lacht).
Habt ihr schnell wieder zueinander gefunden? Oder gab es anfänglich Berührungsängste?
Jon: Nein, es ging eigentlich alles ziemlich flott. Wir hatten ja vorher bereits einige Shows gespielt und auch die Arbeit an den Re-Issues hat uns beim Umgang miteinander sehr geholfen. Außerdem war von Anfang an bei jedem dieser unbedingte Wille spürbar, etwas Aufregendes und Spannendes zu schaffen.
Die meiste Zeit haben wir mit Hilfe der Musik kommuniziert. Das hat das ganze Arbeiten natürlich immens vereinfacht. Es waren nicht viele Gespräche nötig, denn jeder hatte musikalisch gesehen dasselbe Verlangen. Wenn man sich so lange kennt wie wir, dann braucht es manchmal nur wenige Akkorde, damit jeder weiß, worum es geht.
"Nur das Hier und Jetzt fehlt"
Und dennoch hattet ihr das Gefühl, als würdet ihr zum ersten Mal eine Platte gemeinsam aufnehmen?Jon: Ja, absolut. Klingt das widersprüchlich?
Vielleicht nicht unbedingt widersprüchlich, aber doch zumindest ungewöhnlich.
Jon: Interessant. Warum?
Mir kommt eigentlich sonst immer zu Ohren, dass die Aufregung und die Spannung während des Einspielens eines Debüts immer deswegen so groß ist, weil unter anderem noch keiner so recht weiß, wie der jeweils andere funktioniert und daher mitunter viele Überraschungsmomente entstehen.
Jon: Ja, das stimmt schon. In punkto Überraschungen ist bei uns sicherlich nicht sonderlich viel passiert (lacht). Mit dem Debütgefühl meinte ich auch eher, dieses unterbewusste Kribbeln von Kopf bis Fuß. Es war weniger die Ungewissheit ob und wie es funktionieren wird, die diesen Vibe verursacht hat, sondern vielmehr diese unbeschreibliche Vorfreude auf etwas, das man jahrelang auch irgendwie vermisst hat.
Dass wir musikalisch schnell auf den Punkt kommen würden, war mir eigentlich schon lange klar. Dafür waren die Shows vorher und auch die Arbeit an den Re-Issues einfach zu intensiv und mit viel Herzblut verbunden. Aber als es dann wirklich losgehen sollte, kam dann auch noch dieses unvergleichliche Gefühl in uns hoch, dass ich vorher das letzte Mal während der Arbeiten an unserem Debüt hatte. Der ganze Prozess war irgendwie ähnlich mitreißend wie damals.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die ersten Abfolgen entstanden, und es mir heiß und kalt den Rücken runterlief. Das hatte ich schon lange nicht mehr. Ich bin eigentlich eher der Typ, der sich erst während der Liveshows in die eigenen Songs verliebt, aber diesmal haben mich viele Parts schon während der Recordings umgeblasen.
Ihr werdet die nächsten sechs Monate fast durchgehend auf Tour sein. Das klingt nach einem sehr intensiven zweiten Frühling ...
Jon: Oh, ja. Wir freuen uns schon tierisch auf die kommenden Aufgaben.
Demnach können sich die Fans wieder auf kontinuierliche Veröffentlichungen von euch freuen?
Jon: Dafür ist es noch etwas zu früh. Ich habe keine Ahnung, wie es nach der Tour weitergehen wird. Aber im Moment strotzen wir nur so vor Tatendrang. Das Klima in der Band ist super und alle sind gespannt, was uns demnächst da draußen erwartet. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich mich riesig freuen, wenn wir danach abermals ins Studio gehen würden.
Doch wer weiß? Wir konzentrieren uns jetzt erst mal auf die vor uns liegenden Wochen und Monate und versuchen, so viel Spaß wie möglich zu haben. Ich denke, das haben wir uns nach acht Jahren auch redlich verdient (lacht). Was danach passiert, werden wir sehen, wenn es so weit ist. Im Moment zählt nur das Hier und Jetzt.
Wie steht es um dein Nebenprojekt Heavy Trash?
Jon: Da ruhen die Bälle zurzeit. Es gibt nur einen Jon Spencer, auch wenn ich mir manchmal nichts sehnlicher wünschen würde, als mich klonen zu können, um all dem gerecht zu werden, was sich in meinem Kopf ansammelt (lacht).
Ich bin kein Mann für halbe Sachen. Wenn ich was anpacke, dann bin ich auch mit Leib und Seele dabei. Und wenn ich merke, dass ich etwas Wichtigem nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken kann, um Qualität gewährleisten zu können, dann leg ich Dinge lieber für eine Zeit auf Eis und kratze sie erst dann wieder frei, wenn ich mich voll und ganz darauf einlassen kann.
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