1. Januar 2025

Rod Usher über Punk, KI und eine Band, die nie stillsteht

Interview geführt von

Das Gute an einem Interview mit alten Freunden ist: Man muss ich nicht an irgendwelche Vorgaben halten, hat jede Menge Zeit und kann über Gott und die Welt plaudern. Das Gefährliche an einem Interview mit alten Freunden ist: Das eben Genannte. Denn so hat man auf einmal ne Stunde Aufnahmematerial und stellt im Nachhinein fest, dass einige Fragen irgendwie doch auf der Strecke geblieben sind.

Rod, seit "Haunted" sind auch schon wieder fünf Jahre ins Land gezogen und mit "Alienated" liegt endlich das neue Album vor. Wie geht’s dir, einen Monat vor der Veröffentlichung.

Eigentlich sehr gut. Es ist viel passiert und mit der anstehenden Veröffentlichung liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Viel positive Arbeit, aber die muss ja auch gemacht werden. Die Zeiten, in denen du dich als Band weitgehend nur um den künstlerischen Bereich gekümmert hast, sind leider vorbei. Labels machen zwar immer noch eine wichtige Arbeit, aber es bleibt mittlerweile extrem viel an der Band hängen. Dann haben wir morgen (das Interview fand Mitte September statt, d.Verf.) noch Videodreh für die "Single A Ghost From The 80s" und wie das halt so ist, fehlt im letzten Moment immer noch irgendwas oder es geht was schief, usw. Ich schlag jedenfalls drei Kreuze, wenn das Album draußen ist.

Bei dir steht aber auch privat demnächst eine nicht ganz unwichtiger Veränderung an.

Stimmt, ich werde Teil der Redaktionsleitung beim Sonic Seducer sein, einem Magazin, das ich sehr lange kenne und für das ich auch immer wieder mal geschrieben habe. Den Wechsel hab ich mir aber trotzdem sehr gut überlegt, denn ich musste dafür einen wirklich guten Job an den Nagel hängen. Aber das Herz will, was das Herz will, nicht wahr? Für mein Seelenheil ist es jedenfalls genau das richtige (lacht). Zumal der Job als Texter und Copywriter dank KI ein sehr klares Verfallsdatum hat. Aber da erzähle ich dir ja nichts Neues.

Nein, mit Sicherheit nicht. Gerade für Kreative ist das Thema KI ein sehr zweischneidiges Schwert. Man kann hervorragend damit arbeiten, wenn man die Prompts beherrscht. Aber es kann einen auch schnell überflüssig machen, da Content immer generischer und beliebiger wird.

Ja, aber das ist ja nicht nur bei Content in der Werbung oder Kommunikation der Fall. In der Musik und der Kunst hat es ja auch schon lange Einzug gehalten und was einem Spotify mittlerweile vorschlägt, ist ebenfalls oft nur KI. Aber ich will das Thema gar nicht verteufeln, schließlich steckt im Video zu "I Give You The Creeps" auch jede Menge KI. Das Video ist von unserem Gitarristen J. Ends komplett animiert und da steckt trotz KI noch jede Menge Arbeit drin. Er hat da acht Tage dran gesessen, bis das alles so gepasst hat, wie wir uns das vorgestellt haben. Wenn du nicht wirklich der Vollprofi bist, macht KI selten genau das, was du von ihr erwartest und auf einmal kommen ganz andere Bilder raus, als was du reingegeben hast. Das frisst Zeit und Nerven, kann ich dir sagen. Aber J. Ends war zufrieden, denn am Schluss meinte er: "So, jetzt kann ich das auch (lacht)."

So schnell hat man einen neuen, in dem Fall zusätzlichen, Job in der Band.

Allerdings, aber man spart auch einiges an Geld damit, wenn man den Auftrag nicht nach außen geben muss. Ich freu mich schon drauf, wenn wir mit der Nutzung von KI so weit sind, dass wir unsere ganzen Aufsager animieren können. Das Ding ist, wir müssen ja erst mal unser Make-Up auflegen, bevor jemand mit der Kamera draufhalten kann. Da wäre ich schon dankbar, wenn wir das in Zukunft vereinfachen könnten. Wenn wir von der Musik leben könnten und man sich entsprechend den ganzen Tag auch mit den Sachen NEBEN der Musik beschäftigen könnte, wäre das alles halb so wild. Tatsache ist ja leider, dass jeder von uns die Musik nur NEBEN dem eigentlich Job her macht. Aber kein Grund zum heulen. Schließlich sind wir immer noch da und haben auch ein starkes neues Album am Start.

Moderner Punkrock, direkter Sound

Ganz genau und das habt ihr dieses Mal mit Tim Schulte als Produzenten aufgenommen. Warum nicht mehr mit Waldemar Sorychta?

Einfach, weil es Zeit war, mal was anderes auszuprobieren. Waldemar hat immer einen tollen Job gemacht, aber jetzt wollten wir mit Tim mal was moderneres versuchen. Jetzt nicht im Sinne von poppig modern, sondern von Punkrock modern. Wenn man sich die heutigen Punkrock Bands anhört, klingen die mittlerweile ganz schön anders als früher, aber eben auch anders, als die typischen Metal Bands, die Waldemar in aller Regel produziert. Und das wollten wir eben ausprobieren und sind dann bei Tim gelandet. Unser Drummer Jag Boone ist quasi sein Nachbar, von daher war der Weg kein weiter. Ich persönlich bin vor allem mit der Arbeit von Tim sehr zufrieden, weil er - und auch unser zweiter Gitarrist Van Tom - aus meiner Gesangsleistung noch einiges rausgekitzelt haben. Wir sind auf dem Album gesanglich ein paar andere Wege gegangen, was sich vor allem an den tieferen Vocals bemerkbar macht.

Gut, dass du das Thema erwähnst. Ich musste kurz grinsen, als ich in eurer Pressemitteilung darüber las und parallel den Song "A Ghost From The 80s" hörte. Da ist ja eher das genaue Gegenteil der Fall.

War ja klar, dass du ausgerechnet die Nummer dann ins Feld führst (lacht). Aber auch hier singe ich in der Strophe eher im tiefen Bereich. Wobei ich zugeben muss, dass der Refrain von der Gesangshöhe auch hart an der Grenze liegt. Das ist natürlich auch dem Thema des Songs geschuldet, dass da fast schon ein Kopfgesang her muss. Aber allgemein ist es schon so, dass ich meine Stimme anders, eben tiefer einsetze. Tatsächlich haben mich im Laufe der Jahre immer mehr Menschen darauf angesprochen, dass meine Stimme in den tiefen Tonlagen ein besonderes Charisma hat und außerdem ist das Singen in den hohen Bereichen auf Dauer wahnsinnig anstrengend. Man wird ja auch nicht jünger (lacht). Mir hat der Support von Tim und der ganzen Band in dem Punkt aber auch wirklich geholfen und viel Selbstvertrauen gegeben.

Ihr habt euch für die Aufnahmen dieses Mal aber auch deutlich länger Zeit gelassen, da ihr nicht zusammen ins Studio seid.

Genau. Dieses Mal lief der Aufnahmeprozess so ab, dass wir sehr viel bei uns daheim aufgenommen haben und dann einfach die entsprechenden Spuren verschickt wurden. So sitzt du halt mal schnell ein Jahr an einem Album dran. Früher haben wir die Songs immer im Proberaum ausgearbeitet und sind dann gemeinsam ins Studio zum Aufnehmen. Da war das Album dann in nem knappen Monat fertig, hat aber auch entsprechende Kosten durch den Studioaufenthalt. Das war dieses Mal ganz anders. Ich mag den jetzigen Prozess aber aus mehreren Gründen. Zum einen haben wir die Songs so etwas kompakter gehalten. Wir lassen einen Song mittlerweile auch einfach wieder durchbraten, ohne 1.000 Tempiwechsel und was weiß ich alles. Da sind wir deutlich wieder back to the roots gegangen und haben uns einfach auf das Wesentliche konzentriert: gute Songs zu schreiben, die knallen.

Also das, was Bad Religion in ihren Anfangstagen bereits perfektioniert hatten.

Exakt! "No Control", 15 Songs in 26 Minuten. Alles gesagt, alles weggepustet. Das wird immer mein Lieblingsalbum von Bad Religion bleiben. Das schaffen viele Bands heutzutage scheinbar nicht mehr und das ist auch mein Kritikpunkt an Iron Maiden, die ich eigentlich wirklich liebe. Ich mag auch die ganzen letzten Alben von denen aber ich denken, viele der Acht-Minuten-Songs hätten als Vier-Minuten-Nummer besser funktioniert. Vor allem live ist das echt ärgerlich, wenn sie sechs neue Songs spielen und dann nur noch Zeit für drei Klassiker in den Zugaben ist. Klar, es ist deutlich einfacher, lange Songs zu schreiben. Die wirklich schwere Arbeit ist es, das dann auf die wesentlichen Sachen zu kürzen. Das kann zum Teil richtig weh tun. Gerade im Punkrock musst du auf den Punkt kommen und das war unser Ziel auf "Alienated".

Wenn ich mir "I Need Blood" anhöre, dann hat einer bei euch aber in letzter Zeit viel Annihilator gehört.

Der Song stammt von J. Ends und der ist beinharter Thrash Metal-Fan (lacht). Mit dem würdest du dich bestens verstehen. Aber das ist ja jetzt auch kein wirklich neues Element bei The Other, wir hatten schon immer mindestens einen Metal-Song auf unseren Alben. Was ich aber dann nicht verstehe, wenn uns die Leute deswegen direkt in die Metal-Ecke stecken. Alter, ich war 1990 auf meinem ersten Ramones-Konzert, mein Herz schlägt Punkrock! Beispielsweise hört man auf "Alienated" deutlich mehr geschrammelte Gitarren als auf den letzten Alben, wo wir die Akkorde oft haben ausklingen lassen. Wir machen einfach das, auf was wir Bock haben und aktuell ist das eben mehr Punkrock mit düsteren Vocals.

Kein Horropunk ohne Horror-Ikonen

Wie muss ich mir denn das Songwriting für "Alienated" vorstellen? Hat jeder für sich Ideen ausgebrütet und dann Songs hin und her geschickt?

Nein, nicht ganz. Die Initialideen gehen meist von mir aus, dass ich eine Gesangsmelodie habe und auch schon erste Textideen. Mit denen bin ich dann zu J. Ends nach Dortmund gefahren und dort haben wir an den Songs geschraubt, bis sie fertig waren. Das waren dann immer so Tagesschichten von 14:00 bis 03:00 morgens. Als Van Tom in die Band kam, wurde das als Triumvirat erweitert. Ich muss ehrlich sagen, dass ich selten so konzentriert an einem Album gearbeitet habe, wie an diesem. Man kann bereits mit kleinem Studioequipment unglaublich viel ausprobieren und das macht es sehr produktiv. Vor allem sind auf diese Art auch einige Songs entstanden, die es im Proberaum in der Form nie gegeben hätte, weil man eben nicht fünf Meinungen hat, sondern erst mal nur zwei oder drei. Dann kann man ausprobieren, hin und her schieben und so weiter. Im Proberaum wird das oftmals viel zu schnell zerredet und dann verworfen. Mir liegt die neue Arbeitsweise tatsächlich so sehr, dass ich nach der ganzen Promo-Arbeit für "Alienated" am liebsten direkt wieder mit dem Songwriting für neue Songs weitermachen würde (lacht).

Dieses Jahr steht aber nicht nur das neue Album und die ersten Live-Dates an. Ihr habt ja auch eine Song extra für eine Vincent Price-Dokumentation geschrieben.

Stimmt, das war schon eine sehr geile Sache. Eigentlich sollte der Song bereits vor einem Jahr rauskommen, das hat sich dann aber verzögert. Unser Freund Laurent aka 'The Vegan Satanist' hat eine Dokumentation gedreht, die ursprünglich Bonusmaterial für eine Vincent Price-Collection werden sollte. Das wurde dann aber immer mehr und es haben sich diverse Leute gemeldet, die auch gern was dazu beisteuern wollten und am Ende war es eine zweistündige Doku, in der Alice Cooper, Rob Zombie und sogar noch größere Namen im Gespräch waren. Victoria, die Tochter von Vincent Price ist sogar als Produzentin eingestiegen und auf einmal war das eine echt respektable Nummer. Als Laurent dann meinte: "So, und ihr macht jetzt den Titelsong", war das schon eine Ehre für mich. Er wollte ne klassische The Other-Nummer, die einfach nach vorne abgeht und das hat er dann bekommen. Vielleicht hat das sogar die Lust an der Einfachheit bei uns wieder geweckt, wenn ich es mir recht überlege. Offiziell wird der Song erst bei der Filmpremiere am 29.11. erscheinen, aber wir veröffentlichen ihn schon vorher als Single im Bundle mit dem neuen Album. Also wenn man das Album physisch, nicht digital kauft, im Bundle mit der Vinyl-Single, bekommt man den Song UND natürlich einen weiteren Song auf der B-Seite, den es ausschließlich auf dieser Vinyl-Single geben wird. Natürlich streng limitiert.

Das beißt sich natürlich ein bisschen mit der Veröffentlichung von "Alienated".

Hmja, das ist nicht ganz optimal, aber jetzt ist es halt so. Eigentlich wollten wir auch ein eigenes Video dazu drehen und entsprechend Promo machen, das müssen wir jetzt eben sehen, wie wir da vorgehen. Wir werden den Song auf jeden Fall bei Uraufführung der Dokumentation live spielen, allerdings unplugged. Mit etwas Glück läuft der Streifen dann auch auf unterschiedlichen Filmfesten, was unseren Titeltrack dann auch mal einem ganz anderen Publikum präsentiert. Das kann ja auch nicht schaden. Vielleicht sucht ja irgendein Filmemacher auch mal ne gute Horrorpunk Band für seinen Soundtrack.

Zu der Vincent Price-Single wurde ja bereits ein Cover gezeichnet, mit entsprechenden Figuren von euch.

Richtig, wir haben dem Illustrator Rich Smith gesagt, dass Vincent Price das Thema sein muss und wir eben in Scooby Doo-artigen Charakteren gestaltet sein sollen. Alles in allem haben wir schon richtig viel Geld in etwas investiert, das letztendlich nur eine Single sein wird, aber bei so einem Projekt muss das Cover einfach geil sein. Da kannst du keine halben Sachen machen. Für mich ist das unendlich geil in einer Band zu spielen, die auch als Comic-Figuren Potential hat.

Soll das heißen, es gibt demnächst auch Actionfiguren von The Other?

Sag niemals nie (lacht). Aber das muss dann schon so ne Actionfigur mit ein paar mehr Muskeln sein.

Lass mal zum Abschluss ein paar Tipps für gute Horrorfilme hören.

Ich fang mal mit Vampirfilm an. Da fand ich die Neuverfilmung von "Nosferatu" ganz groß! Den hab ich sowohl im Kino, als auch nochmal daheim gesehen. Zwar sieht der Bill Skarsgård als Hauptdarsteller nicht wie der klassische Graf Orlok sondern mehr wie Vlad Tepes aus aber alles in allem bin ich echt begeistert von dem Film. Ich steh tatsächlich eher auf klassische Gruselfilme und würde auch eine gute Neuverfilmung von sowas wie "Tarantula" sehr begrüßen. Von den neueren Sachen hat mich allerdings "Alien: Earth" echt positiv überrascht.
Vom Trailer zu "Wolf Man" war hingehen sowas von enttäuscht und auch die Kritiken, die ich gelesen habe, machen nicht unbedingt Lust darauf, den anzuschauen. Dafür freu ich mich auf den vierten Teil von "The Conjouring", den werd ich mir im Kino auf keinen Fall entgehen lassen.

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