laut.de-Biographie
The Ramones
1996 ist das Jahr der Trauer: die Ramones lösen sich auf. Die Band, eine Legende. Vier Typen, Jeans, Lederjacken, Topffrisur. Rock'n'Roll. Punk. Pop. Hits. Angesichts dessen ist die traurige Tatsache, dass die Vier niemals mit einem Song den großen Chartserfolg einfuhren, von dem einige Mitglieder heimlich träumten, beinahe tragisch.
Gut, "Sheena Is A Punk Rocker" knackte einst die Top 40 in England, aber damit lässt sich auf Dauer eben auch kein Eigenheim finanzieren. Wenngleich solch bürgerliche Vorstellungen den New Yorker Jungs sicher fremd war, zumindest als sie Anfang 1974 gemeinsam die Ramones gründen. Im Stadtteil Queens verbringen Jeffrey Hyman (Joey), John Cummings (Johnny) und Douglas Colvin (Dee Dee) ihre Jugend mit Kiffen, Rumlungern und jeder Menge Platten ( bevorzugt hören sie Stooges, New York Dolls, Beatles, und 60s Surfsound).
Ihr Hass gilt bald den angesagten Glamrock- und Prog Rock-Bands, die mit Acht-Minuten-Gitarrensoli und Eunuchengesang den Nerv der Zeit treffen. Das muss doch auch anders gehen.
Zusammen mit Tom Erdelyi (Tommy), der später als ihr Manager fungiert, setzen die drei Teenager die Idee einer Band um, die auf sämtliche Konventionen einen großen Haufen macht und stattdessen einfachste Zwei-Minuten-Songs zur Kunstform stilisiert.
Die Instrumentenverteilung ist nur anfangs ein Problem: Joey, der zunächst an den Drums sitzt, wechselt bald ans Mikro, dafür setzt sich Manager Tommy an die Schießbude. Johnny fungiert als Gitarrist, Dee Dee als Basser. "1-2-3-4": Während ihrer gesamten Karriere gehört das kurze Einzählen Dee Dees vor jedem Song essentiell zur Performance.
Nebenbei sehen es die Ramones nicht als ihre Bestimmung an, kryptische Weisheiten unters Volk zu streuen, sondern erzählen in ihren Liedern vom (zumeist dreckigen) Alltag, der sie im Moloch New York umgibt. Der Filmemacher Jim Jarmusch ("Dead Man") pries die lyrischen Verdienste der Band einmal folgendermaßen: "Keine Band vor den Ramones traute sich, Texte für eine Jugend zu schreiben, deren Alltag sich maßgeblich um White Castle Burger-Läden und B-Movies drehte."
Ihr rockiger Bubblegum-Pop findet im CBGB, Kultspielstätte späterer New Yorker Berühmtheiten (Talking Heads, Blondie, Television), schnell Anklang. Die Band überredet den Besitzer gleich zu Anfang, in dem Laden als Residents aufspielen zu dürfen, was ihm nach und nach ein größeres Publikum beschert.
In vielerlei Hinsicht ist die Geschichte der Ramones die große Geschichte von Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Im Interview-Roman und US Punk-Referenzwerk "Please Kill Me" von Legs McNeil und Gillian McCain ist einiges über die turbulente Anfangszeit der Band zu lesen. Zum Beispiel Anekdoten wie die von Dee Dee Ramone, der mit zarten 15 Lenzen im Central Park zu seinem ersten Dope kommt. Später sollte bei ihm auch Heroin ins Spiel kommen.
Nach zahlreichen, stürmischen Auftritten gelangen die Ramones Ende 1975 als erste New Yorker Punkband an einen Plattenvertrag. Das selbstbetitelte Debütalbum klettert kurz darauf bis auf Platz 111 der amerikanischen Charts, nicht gerade ein umwerfender Erfolg, aber der Grundstein ist gelegt.
Ende 1976 erscheint der Zweitling "Leave Home". Der Titel sollte in den folgenden zwanzig Jahren symptomatisch für die Ramones sein. Es gab und gibt wohl keine andere Band, die so oft und so regelmäßig auf Reisen geht, wie diese Jungs. Nach 22 Jahren Karriere blicken sie auf stolze 2262 Shows zurück.
1978, nach Veröffentlichung des dritten Albums "Rocket To Russia", verlässt Tommy die Band und macht den Weg frei für Marc Bee von Richard Hells Voivods, der sich flugs in Marky Ramone umbenennt und an den Drums Platz nimmt. Mit "Road To Ruin" schaffen es die Ramones 1978 erstmals, eine Albumlänge von dreißig Minuten zu übertreffen.
Die Besetzung mit Joey, Dee Dee, Johnny und Marky hält sich bis 1990. Kurz nach "Brain Drain" (inklusive "Pet Semetary") verlässt Dee Dee die Band, um als Dee Dee King eine Rap-Karriere zu starten, die jedoch heftig floppt. Ersatz ist Christopher John Ward aka CJ Ramone.
Bis 1996 sind die Vier noch aktiv, dann werfen sie nach insgesamt zweiundzwanzig Jahren Karriere das Handtuch. Dies tut ihrer Popularität jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil. Die Zahl der Leute, die die Ramones gerne einmal live bestaunen würden, steigt seither unablässig an. Mit der erfolgreichen Alternative Rock-Bewegung Anfang der 90er, die prominente Fürsprecher wie Chris Cornell, Eddie Vedder, aber auch Heavy Metal-Größen wie Motörhead-Lemmy von den New Yorkern schwärmen lässt, kommt allmählich auch der Begriff Kultband ins Spiel.
Auch die Neo-Punk-Bewegung mit Bands wie Green Day und Offspring verdankt den Ramones den richtigen Groove.
Doch noch ehe sich Reuniongerüchte verdichten können, erliegt Sänger Joey im April 2001 in einem New Yorker Krankenhaus 49-jährig einem Krebsleiden. Produzent Daniel Rey, mit dem Joey seit 1995 an Solomaterial arbeitete, bringt im Februar 2002 unter dem Titel "Don't Worry About Me" das Vermächtnis von Joey Ramone in die Plattenläden. Im Spätsommer 2004 stirbt mit Gitarrist Johnny bereits der dritte Original-Ramone. Der 1990 ausgestiegene Dee Dee wurde bereits Mitte 2002 nach einer Überdosis Heroin tot in seinem Haus in L.A. aufgefunden.
Derweil gibt es im neuen Jahrhundert eine wahre Flut an DVD-Veröffentlichungen. Zuerst wäre da 2004 der Film "Raw", im Großen und Ganzen zusammengestellt von Marky. Kurz darauf folgt mit "We're Outta Here" ein Live-Dokument. Im Jahr darauf zeichnet "End Of The Century" die Geschichte der Ramones nach und im Herbst 2007 veröffentlicht Warner die von Tommy zusammengestellte Compilation von Live-Mitschnitten "It's Alive".
Marky, der mit Joey noch dessen Soloalbum eingespielt hatte, sitzt von 2000 bis 2005 bei den Misfits hinterm Schlagzeug. Nebenher betreibt er seit 2001 die Band Marky Ramone & The Speedkings. Ansonsten reist er um den Erdball, um das Erbe an die Ramones wach zu halten.
CJ gründet nach dem Split von '96 Los Gusanos. Sie nehmen ein Album auf und trennen sich 1998 schon wieder. Mit The Warm Jets versucht er es erneut, die Band nennt sich jedoch bald in Bad Chopper um.
Tommy fängt in den späten Neunzigern an, sich mit Bluegrass zu beschäftigen. Zusammen mit der Songwriterin Claudia Tienan betreibt er das Duo Uncle Monk. Die beiden spielen Alternative Bluegrass, ihr selbst betiteltes Album erscheint 2007. Er sieht sich, ähnlich wie Marky, als Verwalter des Ramones-Erbes.
Joeys Bruder Mickey Leigh wurde nahezu das komplette musikalische Erbe des Sängers anvertraut; ein Schatz von unschätzbarem Wert, wie sich vier Jahre später herausstellen sollte: "Ich habe es nicht in erster Linie als meine Verantwortung gesehen, das zu tun, aber ich liebe seine Songs, seine Stimme, seinen Style - und ich wollte mehr von ihm hören", berichtet Mickey.
Mit langjährigen Weggefährten von Joey wie Joan Jett, Little Steven Van Zandt, Richie Ramone, Bun E. Carlos und Holly Beth Vincent begibt sich Mickey mit 15 unveröffentlichten Tracks seines Bruders ins Studio und sorgt im Mai 2012 für die Veröffentlichung von "... Ya Know?", dem zweiten posthumen Soloalbums des Ramones-Sängers: "Ich musste dafür sorgen, dass es zu dieser Veröffentlichung kommt. Es war ein Akt der Liebe", so Mickey.
Aus ähnlichen Motiven wandelt C.J. Ramone weiter auf musikalischen Spuren, und der ehemalige Bassist der New Yorker treibt seine Solo-Karriere konsequent voran. Nach einigen unglücklichen Band-Versuchen Anfang der 2000er, besinnt sich Christopher Joseph Ward und firmiert in der Folge einfach unter C.J. Ramone.
Mit "Reconquista" in 2012 und "Last Chance To Dance" in 2014 gelingen ihm Achtungserfolge. Im Früjahr 2017 erscheint "American Beauty".
Es scheint als stünden die Ramones in der Tradition der Ewig-Lebenden, die Geschichte geht weiter. Trotzdem alle offiziellen Gründungsmitglieder verstorben sind.
Um es in den Worten aus dem Ramones-Hit Let's Dance zu sagen: "Hey, baby, you thrill my soul. Hold me tight, don't you let me go."
1 Kommentar
Joey Ramone †15.04.2001 RIP