29. Oktober 2021

"Tauben sind komplett gefickt"

Interview geführt von

"Nur weil bei MySpace jemand online is', is' das noch lange keine Party", grölten The T.C.H.I.K. einst. Sie sind also schon länger im Geschäft. Mit "Gefühle" erschien gerade das vierte Studioalbum der Berliner Riot Grrrls.

Wer auch nur einmal kurz von The Toten Crackhuren Im Kofferraum gehört hat, verspürt sofort den Drang, auch mal mit ihnen zu reden. Die Mischung aus Electroclash, Pop, Punk und Schlager weckt sofort Interesse. Die Texte erst recht. Umso besser, dass mit "Gefühle" ein neues Album der gleichzeitig sweetesten wie obszönsten Girlgroup des Landes erscheint. Eine Woche vor Release nahmen sich Ilay und Lulu Fuckface ein bisschen Zeit, um mit uns über den Lockdown, Empowerment, Schlager und die Tauben-Community zu sprechen.

Hallo.

Ilay: Hallo.

Lulu: Hallo.

I: Moini.

L: Moini. Ich glaub wir sind die Einzigen, die heute kommen, weil Doreen Durchfall hat (lacht). Ich weiß nicht, ob sie jetzt mit uns telefonieren will.

I: Wär doch lustig vom Pott aus.

L: Hab ich ihr vorgeschlagen, aber ich glaube, sie fühlt das nicht so.

I: Man kann doch zwischendurch auf stumm schalten.

L: Sie hat aber alle Sachen, also wenn sie dazu kommen will, dann kann sie es machen. Sorry, aber wenn die komplette Band kommen soll, dann kommt eben immer was dazwischen.

Klar.

I: Und Kristin?

L: Kristin will ja nicht reden, die kommt sowieso nie.

Das ist für mich eigentlich sogar besser. Ich hab bisher immer nur Einzelinterviews geführt. Da hatte ich bei euch schon Angst, das fünfte Rad am Wagen zu sein.

L: Das ist auch immer anstrengend, wenn alle durcheinander quatschen.

Dann springen wir mal direkt rein: Euer neues Album heißt "Gefühle". Wie fühlt Ihr euch heute und natürlich mit dem neuen Album?

L: Ich müsste jetzt eigentlich sagen, dass ich voll aufgeregt bin und mich übel darauf freue. Aber ich hab zurzeit ultra die depressive Phase, deswegen ist das für mich eher anstrengend. Ich würde mich total gerne voll darauf freuen, und natürlich freue ich mich irgendwie auch, das Album ist ja schon mein Baby. Es ist eben zwiegespalten. Das gehört für mich irgendwie dazu, ich drehe vor jedem Release komplett durch. Jetzt ist es halt mal wieder so.

I: Also ich freue mich total und bin super aufgeregt. Ich fühl das auf jeden Fall. Gerade hab ich mich noch mit meinem Freund auf dem Balkon unterhalten, dass jetzt wieder diese Depri-Phase kommt. Es ist schon dunkel draußen, die Temperaturen sinken, da fühl ich mich auch depressiv verstimmt.

L: Das passt aber in Bezug auf das Album. Ich war in einer ähnlichen Stimmung, als ich das geschrieben habe. Lieder wie "Gosse" sind sehr empowernd, die hab ich für mich selbst geschrieben, um mich zu motivieren und aus dem Loch rauszukommen. Von daher passt die aktuelle Stimmung ganz gut.

Da wollte ich eh mal ein bisschen nachhaken: Wie läuft bei euch der Prozess, ein Album zu schreiben? Soweit ich weiß, schreibst du, Lulu, das Allermeiste?

L: Genau.

Wie ist das dann für die anderen, sich an diese Vision gewissermaßen dranzuhängen?

I: Prinzipiell schickt Lulu uns ihre Ideen, die sind dann schon sehr strukturiert. Dann bittet sie uns um Input, falls uns etwas einfällt. Also wir sollen uns immer mit einbringen.

L: Wir sind thematisch immer ungefähr auf einem Level, da wir ja auch miteinander befreundet sind und viel reden. Ich bringe dann halt das, was uns beschäftigt, in Liedform. Deswegen hab ich, glaube ich, nichts geschrieben, womit sie gar nichts anfangen können.

I: Ja.

L: Die sind emotional auch immer mit drin.

Die erste Vorabsingle hieß "Bewerte Mich". Da wollte ich mal direkt über das ewige Thema Tinder sprechen. War eine von euch mal auf Tinder, seid ihr vielleicht heute noch auf Tinder?

I: Also zumindest waren wir mal dort. Ich weiß nicht, wer aktuell noch da unterwegs ist, aber wir waren alle mal angemeldet.

L: Oder auch auf Bumble, OK Cupid, ...

I: Auf diesen ganzen Datingapps eben.

Ich hab's tatsächlich nur zu Tinder geschafft, der Rest war mir zu aufwendig.

L: Ist auch so. Naja, wenn du eh nicht so den Vergleich hast: Bei OK Cupid hast Du einen Fragebogen und wenn ich dann sehe, dass die Leute da so ne Texte reinschreiben ... Meistens erzählen die ja eh nur, wie sie gerne wären und nicht wie sie wirklich sind. Da steht ja nix Ehrliches drin. Nix mit Reizdarmsyndrom oder ständig schlechter Laune.

I: Eigentlich erzählen sie immer, wie geil sie alle sind. Und packen noch die schönsten Fotos dazu.

L: Deswegen finde ich Tinder irgendwie auch geiler, weil sich da keiner die Mühe macht, großartig was reinzuschreiben. Find ich eigentlich ganz nett.

I: Also ich fand Tinder nervig.

Seit ich kein Tinder mehr hab, hab ich viel mehr Freizeit.

L: Isso. Aber wenn es bald wieder traurig wird und du eh nur auf der Couch sitzt, ist Tinder doch ganz gut, um sich zu beschäftigen. Aber keine Ahnung, ich hab es auch schon lange nicht mehr benutzt. Allgemein war die Tinder-Zeit 'ne scheiß Zeit.

Ein guter Slogan für Tinder: "Allgemein war die Tinder-Zeit 'ne Scheiß Zeit."

L: Ich kann mich echt nicht dran erinnern, dass ich jemals aus Bock auf Tinder unterwegs war. Ich wollte halt nicht alleine sein und das ist ne scheiß Motivation.

I: Für mich war das Nervige, dass ich mich eben aus Zeitvertreib angemeldet hatte. Ich wollte aber auch nicht die oberflächliche Nutzerin sein. Jungs machen sich aber eh nicht so die Platte, da ein perfektes Bild von sich hochzuladen. Da sind dann häufig diese Bilder, wo sie von unten aufs Handy schauen und auf Auslöser drücken. Das sind dann die Profilbilder. Da denk ich mir dann: "Mega unvorteilhaft, aber vielleicht ist er ja ganz nett." Damit hab ich mich dann aber so viel beschäftigt, dass ich am Ende davon genervt war.

2019 habt ihr mit meiner Kollegin Jasmin Lütz im Interview zu "Bitchlifecrisis" über Instagram gesprochen. Dort ist das große Stichwort "Doomscrolling". Ihr hattet noch ein anderes Konzept: "Hatescrolling", also Leuten folgen, um einfach mal krass abzuhaten.

L: Ist schon 'ne Weile her, kann ich inzwischen nicht mehr so feiern. Ich hab mein Instagram total ausgemistet, weil ich diese ganzen Models und Schönmenschen nicht mehr sehen wollte. Das hat mich einfach gestresst. Jetzt will ich mir einfach wieder normale Leute angucken. Das ist das Geile an Instagram, du kannst dir aussuchen, wem du folgst. Du kannst Leuten folgen, durch die du dich empowert oder cool fühlst. Die dir eben was Gutes mitgeben.

Ich bin aber eben auch total der Trash-Suchti. So "Love Island", "Temptation Island", ich schau mir das alles an. Die Leute, die da mitmachen, werden danach ja alle Insta-Models und denen folge ich eben auch. Da merk ich dann auch immer, wer neue Lippen hat oder neue Zähne. Irgendwann sehen die alle gleich aus, nur ich sehe eben nicht so aus. Je länger ich das angucke, desto mehr glaube ich, dass ich das auch brauche. Deswegen muss ich alle paar Monate ausmisten, wem ich folge.

Das kenn ich auch. Auf Instagram rumhängen und alles ist ganz spaßig, bis es auf eine seltsame Art real wird.

L: Wir waren ja auch alle nicht mehr viel draußen in letzter Zeit, das fängt ja erst so langsam wieder an. Wenn Instagram dann alles ist, was du siehst, drehste durch. Das gibt es ja auch mit den "Real Housewives of Beverly Hills", oder wo die herkommen. Das hab ich auch geguckt und am Anfang gedacht, "Boah, sehen die krass aus." Aber irgendwann war ich halt drin und dann sah ich im Vergleich eben langweilig aus. Sowas stellt echt was mit deinem Kopf an, wenn du da so abtauchst.

Thema Drinbleiben: Wir wissen alle, warum wir so viel Zeit zu Hause verbringen. Wie habt ihr Corona so grob verbracht?

(Lulu lacht hämisch) Ja Ilay, erzähl doch mal, wie du Corona so verbracht hast.

I: Ja, ich hab Corona schwanger verbracht. Insofern war das für mich ganz cool. Durch Corona wurde ja erzwungenermaßen alles entschleunigt. Davor war ich immer ein ziemlicher gestresster Mensch. Ich hab auf allen Hochzeiten getanzt und wollte das auch, hatte da übelst Bock drauf. Dann gab es aber keine Veranstaltungen mehr, man konnte sich nicht mehr mit der Band treffen, es waren keine Bandproben mehr. Dadurch konnte ich glücklicherweise die Schwangerschaftszeit recht entspannt zu Hause verbringen, was mir zugutekam. Ich will gar nicht wissen, wie gestresst ich ohne Corona gewesen wäre.

L: Ich hab damals noch in einer kleinen 28-Quadratmeter-Wohnung gewohnt. Ich hab dann unter meinem Hochbett alles gemacht. Im Homeoffice voll gearbeitet, dann Kreativarbeit, Entspannung, alles auf diesen 28 Quadratmetern. Es war die Hölle. Ich fand's richtig scheiße. Deswegen war ich auch in dieser Depri-Phase. So sind dann auch die Texte teilweise entstanden, was auch wieder was Gutes hat.

I: Bei dir war es ja echt nur dieses eine Zimmer.

L: Dieses eine fucking Zimmer eben, das war so nervig. Jetzt hab ich 'ne etwas größere Wohnung, jetzt ist es geil. Also ich will keinen Lockdown, aber ich würde es auf jeden Fall besser hinkriegen.

"Tauben sind komplett gefickt von vorne bis hinten"

Was war denn das weirdeste Lockdown-Hobby, das ihr euch angeschafft habt.

L: Ich weiß jetzt nicht, ob das weird ist, das hatte ich auch vorher schon: Tauben füttern. Die ernähren sich ja größtenteils von Krümeln, die draußen beim Essen abfallen. Wir haben deshalb dazu aufgerufen, die Tauben zu füttern. In manchen Städten wurde das dann durch unsere Proteste erlaubt. Prinzipiell ist es nämlich verboten. Ich wurde dann irgendwann sehr aktiv in der Taubencommunity. Was hab ich sonst so weirdes gemacht? Ich hab halt viel Scheiße geguckt, aber das hat ja jeder. Und du hast halt ein Baby gemacht. Auch ein geiles Hobby.

I: (lacht) Genau, ich hab auf jeden Fall die ganze Zeit über ein Baby gemacht. Ultra weird war für mich persönlich, da die Schwangerschaft unerwartet kam, dass ich mich mit Babyzeug beschäftigt habe. Das war für mich einfach seltsam, wie man sich da auf einmal vom Mindset her komplett umstellen muss. Da kommt halt ein neuer Mensch. Dann die Wohnung kindersicher machen, was eben alles so dazugehört. Da war super seltsam.

Nochmal kurz zurück zum Taubenfüttern bitte: Ich bin wirklich kein Experte, aber ich dachte immer, dass man Tauben eben nicht füttern soll, weil die in Städten sonst komplett verfetten und Städte generell kein gutes Habitat für sie sind.

L: Naja, das Ding ist halt, dass Stadttauben nicht umsonst so heißen. Die leben in Städten. Das sind eigentlich verwilderte Haustiere. Ursprünglich wurden die vom Mensch domestiziert und dann im Stich gelassen. Die sind komplett von uns abhängig. Deshalb können die sich beispielsweise kein Futter mehr besorgen, indem sie Beeren von Bäumen essen wie klassische Wildtauben. Das einzige Habitat, das sie kennen, ist eben die menschliche Stadt. Nur dort können sie überleben. Ich hab übrigens nie eine Taube verfetten sehen, immer nur verhungern. Man sieht die ja immer nur so aufgeplustert wie ein Federball. Da kannst du dir dann sicher sein, dass die verhungert. Das ist im Endeffekt ein Schutzmechanismus, um etwas größer zu wirken.

I: Auch um Wärme zu speichern. Wenn der Körper an Masse verliert, fällt ja auch die Wärme-Isolation weg, die sie eben irgendwie ausgleichen müssen.

L: Genau. Würdest du mal 'ne Taube hochheben, würdest du merken, dass da nix mehr drunter ist. Also eigentlich verhungern die Tiere hier. Eine normale Taube könnte bis zu 30 Jahre alt werden, wenn ich sie zuhause halte. In der Stadt werden sie maximal drei. Das ist echt ein Riesenunterschied. Die Tiere sind einfach komplett gefickt von vorne bis hinten. Das ist so weird und traurig und gruselig, was der Mensch für einen Hass auf ein Tier entwickeln kann. Ein Tier, das er ja eigentlich benutzt hat und für seinen Nutzen zurecht gezüchtet hat. Aber jetzt stört es.

Ich wohne in Heidelberg und hier ist jeder Fenstersims mit Anti-Tauben-Gittern voll. Das ist echt ein schlimmer Anblick, wenn die sich trotzdem draufsetzen.

L: Wo sollen die denn sonst hin? Das ist einfach Scheiße. Die Leute denken: "Wenn ich sie vergräme, gehen sie weg." Aber das stimmt halt nicht. Die lösen sich nicht in Luft auf, nur weil ich da 'nen Stachel befestige. Das ist alles so richtig dumm. Tauben sind auch Stressbrüter. Das heißt, egal wie wenig Futter die haben, die werden immer weiter brüten. Der Mensch hat sie früher als billige Fleisch- und Eierlieferanten genutzt, weil sie eben nichts gebraucht haben, um zu liefern. Jetzt denken die Leute, die würden so viel brüten, weil wir sie füttern. Aber das stimmt nicht. Tauben brüten genauso viel, wenn wir sie nicht füttern. Nur liegen die Tiere dann tot herum.

Danke, davon hatte ich wirklich überhaupt keine Ahnung! So hochinteressant Tauben auch sind, aber wir müssen leider noch über andere Dinge sprechen, laut.de ist kein Taubenmagazin.

L: Boah, da drin wäre ich aber gerne.

Um noch ein bisschen im Themenkomplex Corona zu bleiben: Was hat das mit euch als Band gemacht, anderthalb Jahre nicht gemeinsam aufzutreten?

L: Es war sehr schwierig uns zu motivieren, wieder was zu machen. Wir hatten das total ausgeblendet. Proben konnten wir eh nicht. Wir sind halt gerne zusammen und proben. Alleine proben ist aber nix. Das kannste mal machen, aber das ist nicht das Gefühl, das du in einer Band haben willst. Deswegen war das teilweise schon komisch. Da hat dann auch jede von uns mit gefremdelt. Es war super krass, dann wieder ein Konzert zu spielen. Wir sind da so aufgeblüht. Da hab ich dann auch wieder geschätzt, was ich eigentlich so mache.

I: Der routinierte Alltag war auch weg. Davor kannte man das auch nicht anders. Da war man eben jedes zweite Wochenende weg und hat was mit Musik gemacht. Das fiel dann weg. Aber als es wieder losging, vor allem bei den paar Konzerten diesen Sommer, waren einige von 0 auf 100 komplett überfordert, sich zu organisieren und an einem Konzert teilzunehmen. Obwohl man sich ja danach gesehnt hat. Aber als es dann da war, war man überfordert.

L: Wir haben uns auch echt doll vermisst. Das war echt anstrengend. Dadurch dass wir Freunde sind, haben wir uns natürlich trotzdem gesehen. Aber nicht wie sonst. Wir sind ja eigentlich als Herde unterwegs.

Also die klassischen 2er Spaziergänge und dann werden die Spazierpartnerinnen gekreuzt?

L: Klar. Dann nochmal einschlagen und es geht weiter.

Dann kommen wir mal ein bisschen zum Album. Der erste Song dreht sich ja um das Scheitern. Was ist das Positive daran? Was hat es dem Gewinnen voraus?

L: Naja, was heißt hier voraus? Irgendwie muss man sich ja empowern. Man scheitert ja wesentlich öfter, als man gewinnt oder das große Los zieht. Dementsprechend ist es ja total doof, sich davon komplett umhauen zu lassen. Man muss es halt als Chance sehen und zum Lernen nutzen. Es gibt wahrscheinlich viele Leute, die ständig aufs Maul fliegen und irgendwann vielleicht nicht wieder aufstehen wollen. Wir haben ja irgendwo diesen Überlebensmechanismus in uns drinnen. Scheitern ist ja auch komplett unterschiedlich. Mancher fühlt sich ja komplett überfordert mit einer Sache, der andere eben nicht. Ich kann ja schon behaupten, dass ich gescheitert bin, weil ich den blöden Apfel schief aufgeschnitten habe. Zu lernen, wie man mit Scheitern umgeht, das ist das Krasse. Sich wieder zu motivieren, was Neues auszuprobieren.

I: Neue Wege zu finden.

L: Wieder kreativ zu werden. Dann eben ein anderes Ziel zu finden oder das eigentliche Ziel anders zu erreichen.

Gab es denn im Aufnahmeprozess einen Moment, wo ihr dachtet: Das Album ist gescheitert? b>

L: Ne, gar nicht. Beim Album gar nicht. Das Album ist ja eher der Prozess, das alles zu verarbeiten. Zwischendrin hatte ich das natürlich immer mal wieder. Das erste Mal, als uns das Majorlabel gedroppt hat. Wir hatten ja ganz am Anfang direkt einen Vertrag beim Major, das war echt krass. Das hat mir ein echt schlechtes Gefühl gegeben. Da musste ich mich dann fragen, ob ich überhaupt weitermachen soll. Zwischendrin in unserer Karriere gab es immer mal wieder Sachen, in den inzwischen 15 Jahren, wo wir dachten, wir hätten das verkackt. Aber irgendwie dann doch nicht. Solange wir lieben, was wir machen, ist das halt cool. Daran muss man sich nur mal öfter erinnern.

"Punk-Festivals sind mehr Schlager als Punk"

Ihr seid jetzt auch schon ein paar Jahre dabei. In den letzten Jahren ist diese Attitüde, die ihr immer schon hattet, von neuen Bands übernommen worden. Blond zum Beispiel, mit denen ihr ja auch einen Song aufgenommen habt, haben ähnliche Sensibilitäten. Wie fühlt sich das an, dass ihr auf eine Art und Weise arriviert seid im Musikgeschäft?

L: Ich weiß nicht, ob Blond jetzt so sind, weil wir so sind. Ich glaube einfach, dass dieses Selbstverständnis von Frauen, jungen Frauen vor allem, jetzt einfach gegeben ist. Dass man Sachen macht, auf die man Bock hat und sich nicht mehr schämt für das, was man sagt.

(Ilay stimmt kräftig zu) Ganz ehrlich, uns wird immer nachgesagt, wir hätten 'ne große Fresse und wären vulgär. Ich hab mir vor kurzem mal wieder "Mama Ich Blute" von 2013 angehört. Ich hab nicht verstanden, was die Leute gemeint haben. Da ist jetzt echt nichts Krasses drin. Ich glaub, das wurde einfach härter bewertet, weil wir Frauen sind. Da sind die Leute schon anders rangegangen. Die Wahrnehmung hat sich in dem Aspekt einfach geändert. Frauen, oder FLINTA-Personen, werden selbstbewusster.

I: Wir haben einfach keinen Bock mehr zu gefallen. Wir wollen primär uns selbst gefallen und das ist ok.

L: Vor allem können sie ihren Content jetzt selbst so veröffentlichen, wie sie möchten. Sie brauchen keine alten Säcke mehr, die bestimmen, ob sie das machen dürfen. Oder sie zensieren und sagen ob das cool ist. Sie können jetzt einfach ungefiltert machen. Das ist voll geil und das machen jetzt immer mehr Leute so. Das liegt nicht an uns als Vorbild, das ist einfach der - (beide zusammen) - Zeitgeist.

Das Album ist auch musikalisch nicht leicht festzunageln. Vor allem der Schlageranteil, gemeinhin die uncoolste Musikrichtung der Welt. Ihr hingegen macht offensiv Ballermann-Musik.

L: Ach, ich weiß gar nicht, ob das so ist. Ich find einfach Popmusik super und Schlager ist eben auch Popmusik. Schlager ist einfach mega erfolgreich. Wurde Schlager nicht aus den deutschen Charts verbannt, weil es so erfolgreich war, dass es einfach die Top 100 vollgemacht hätte? Deswegen gibt es jetzt Schlagercharts und die anderen Charts. Das ist doch krass. Außerdem haben die ne richtig hohe Frauenquote. Es gibt wahnsinnig viele Künstlerinnen, die Schlager machen. Ich feiere das einfach. Da sind so krasse Hits dabei.

Im Pre-Listening-Soundcloud ist auch einer der Tags "Ballermann", das ist ja noch mal ein Subgenre von Schlager. Würdet ihr im Bierkönig auftreten?

L: Also ich würde es machen. Nicht wegen der Leute, sondern um kostenlos in Urlaub zu gehen. Die Klientel dort würde ich wahrscheinlich eklig finden. Vielleicht auch nicht. Viele meiner Freunde gehen da just for fun hin. Aber insgesamt ist das dort halt männliches, besoffenes Publikum und das ist unangenehm.

I: Man müsste es machen, einfach aufgrund der Erfahrung und um es dann nochmal zu bewerten, ob es geil ist oder nicht.

L: Es würde halt nicht funktionieren. Wir könnten viermal "Ich Und Mein Pony" spielen, das ginge schon. Wir waren auch mal auf 'ner "Ballermann Hits" drauf und hatten eine Disco-Tour, das war genau diese Klientel. Das hat gar nicht funktioniert. Wir sollten da zehn Konzerte für die Sachsen-Disco in Ostdeutschland spielen und nach drei Konzerten haben die uns rausgeworfen. Das hat einfach gar nicht funktioniert. Dafür sind wir nicht zu assi, sondern zu emanzipiert. Eben eine andere Form von assi.

An "Gefühle" gefällt mir auch so gut, wie stolz das Album auf der Seite der "Low Class" steht. Was hat die der "High Class" voraus?

L: Eben das Scheitern. Hier fliegen Leute auf die Fresse und stehen wieder auf. Dadurch werden sie auch kreativ. Das würde ich einfach mal behaupten. Die müssen sich immer wieder neue Wege überlegen, das zu bekommen, was sie möchten. Ich weiß nicht, ob man das eine jetzt so über das andere stellen muss. Es gibt sicherlich auch wahnsinnig kreative Leute da oben. Aber ich als Künstlerin finde das einfach spannender. Welche Stories will ich erzählen? Wenn ich alles hab, dann erzähl ich halt, dass ich alles hab. Aber das machen schon so viele andere Leute. Ich find es einfach geil, dass bei mir hier im Ghetto ganz normale Leute sind.

Auf dem Album geht es ja ganz viel um den Fennpfuhl in Berlin-Lichtenberg, das ist so eine Hochhaussiedlung. Die ist einfach scheiße normal. Da wohnen ganz normale, geile Leute. Die sind nicht superhip, superschön, stylisch oder irgendwas. Die haben alle ihren ganz normalen Struggle, gehen alle ganz normal arbeiten, vielleicht mal in den Urlaub, wenn sie es sich leisten können. Die haben ganz normale Wünsche. Das finde ich so angenehm.

I: Ich denk auch, dass der Anspruch auf jeden Fall ein anderer ist. Wenn du in der "High Class" Musik machst, hab ich schon das Gefühl, dass sich der/die Künstler*in mehr Gedanken darüber machen, wie die Musik bei anderen Leuten ankommt. Dass das cool ist, den Zeitgeist widerspiegelt, was auch immer. Wir machen wie schon gesagt einfach, worauf wir Bock haben. Entweder kommt das gut an oder halt nicht.

L: Wir wollen uns auch selbst empowern.

Nochmal zum Thema Schlager: Linus Volkmann hat über euch geschrieben, Punkrock ist der neue Schlager.

L: Ganz ehrlich, das ist doch so. Wenn ich mir anschaue, welche komischen Männerbands sich Punkrock nennen und dann trotzdem so schlagereske Musik machen - das macht mich so traurig, dass die das nicht einsehen. Das sind immer irgendwelche Alkis, die sagen, sie sind Punkrock. Das ist so lesh. Wenn du auf ein Punkrock-Festival gehst, dann ist das mehr Schlager als Punk. Aber wo fängt Punk überhaupt an und wo hört er auf? Das ist immer ne persönliche Frage. Ich würde mich selbst als Punk bezeichnen, aber im Sinne der Attitüde, die ich fahre, bezüglich meiner Gedanken und Einstellungen. Aber musikalisch: Wenn Punk nur diese drei Akkorde sind, dann finde ich das auch lame.

I: Voll.

L: Da finde ich Schlager musikalischer.

Was sind denn eure Lieblings-Schlagerkünstler*innen? Was ist der eine große Hit, den ihr nicht aus dem Kopf bekommt?

L: Tatsächlich Helene Fischer. Das Lied heißt "Ich Will Immer Wieder Dieses Fieber Spüren", das find ich richtig geil. Oder Kristina Bach mit "Erst Ein Cappuccino, Dann ein Bisschen Vino". Ich weiß aber gar nicht, ob man Kristina Bach hier noch nennen darf, die ist auch ein bisschen weird, aber der Song ist halt ein krasser Superhit. (Anm. d. Red.: Dem verantwortlichen Redakteur sind, außer ein bisschen Steuerhinterziehung, keine Vergehen von Kristina Bach bekannt.)

Die Geschwister Hofmann find ich auch ganz lustig. Das sind zwei Schwestern, die immer so seltsame Tänze haben, was null zu dieser Musik passt und trotzdem echt schön ist. Alles Frauen, die ich da aufgezählt habe. Roland Kaiser finde ich aber auch ein bisschen super, trotz dieses peinlichen Liedes mit Maite Kelly: "Warum Hast Du Nicht Nein Gesagt?", das ist ganz, ganz schwierig. Hör Dir das mal an.

I: Warum?

L: Da geht es um einen One-Night-Stand und sie fragt ihn: "Warum Hast Du Nicht Nein Gesagt?" Das ist kein Lied aus den 70er Jahren, als die Texte generell noch ein bisschen panne waren. Das ist von heute. Deswegen kann man den Roland heutzutage nicht mehr uneingeschränkt super finden. Wolfgang Petry natürlich schon.

I: Das wollte ich gerade sagen. Ich bin ganz klassisch mit Wolfgang Petry groß geworden. Ich hab das schon als Kind gefeiert und kann die Texte immer noch mitgrölen. Diese Musik macht mich wirklich super glücklich. Ich staune da immer wieder über mich selbst.

L: Es gab wirklich auf jedem Dorffest bei mir am Rande von Berlin ein Wolfgang Petry-Double. Einmal im Jahr auf irgendeiner Festbühne. Das waren auch immer andere, einfach geil. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich nie sehr mit den Personen dahinter beschäftigt habe. Ich weiß nicht, wen ich da uneingeschränkt feiern kann und wer außer Kristina Bach richtig panne ist. Da müssten wir vorher vielleicht noch einen Personencheck machen.

Meine erste CD war "Andys Schlagerhits".

I: Andy Borg?

Nee, irgendein komischer Sampler mit Wolle Petry und Co.

I: Ahh, wie schön.

L: Das ist ja auch eine Kunst, sowas zu machen. Wenn ich mir jetzt die neue jugendliche Musik anhöre, geht da auch alles sehr in die Schlagerrichtung. Diese Mischung aus Trap, Electro und Schlager, alles ist super melodiös und ein bisschen cheesy. Ich denke da an "Immer Sommer" von Tropikel Ltd und futurebae: Das ist Schlager und gleichzeitig cool.

I: Das läuft bei uns im Tourbus rauf und runter. Wirklich schön.

Das wollte ich auch noch fragen. Was hört Ihr überhaupt im Tourbus?

L: Das Lied hab ich auf jeden Fall sehr oft angemacht und damit rumgenervt.

I: Wir hören auch den Echelmeyer.

L: Das ist unser Bassist, der ist auch Schlagerstar. Der macht Untergrund-Schlager, sehr politisch. Obwohl, stimmt gar nicht. Er ist aber auf jeden Fall ein sehr politischer Mensch. Was hören wir denn noch so?

I: Kommt ganz darauf an wer fährt.

L: Wenn Molch fährt, unser Beat-Produzent, dann müssen wir immer so langweilige Trap-Scheiße hören. Lange Zeit lief auch ganz viel Fler. Trauen wir uns jetzt auch nicht mehr.

I: Da saß ich auch immer hinten und fands kacke und hab meine eigene Musik gehört.

"Hipster Hass" von Fler hab ich mit 15 sehr geliebt. Das war so dämlich.

L: Mega. Eigentlich mag ich dieses Dämliche ja auch, aber Fler ist auch eine echt schwierige Person.

Ihr habt ja bestimmt alle eine starke Meinung zu Musik. Kommt es dann bei der Musikauswahl auch mal zu Konflikten?

L: Ne. Ich sitze ja meistens vorne und bestimme (lacht). Aber wir haben auch gemeinsame Playlists, wo jeder sein Zeug reinpackt. Oder man wünscht sich was, das passiert auch oft. Aber meistens bestimmt einfach der Fahrer oder die Fahrerin, womit er/sie wachbleiben kann. Eigentlich geht das gut, wir haben uns da noch nie gestritten.

I: Wenns nicht gefällt kann man auch seine eigene Mucke hören. Das ist vollkommen okay. Bevor da rumgepampt wird.

L: Früher war das anders. Da hatten wir krasse KIZ-Fans und Leute, die KIZ nicht so mochten. Da gab es Streit. Inzwischen ist der Riesen KIZ-Fan aber nicht mehr in der Band. Jetzt gibt es nur noch ab und zu KIZ.

Das ist doch ein schöner Schlusssatz. Vielen Dank für das schöne Interview.

L: Denk an die Tauben-Infos!

I: Vielleicht eine Info-Box mit Funfacts!

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