19. Juli 2022

"Wir waren alle im Survival-Mode"

Interview geführt von

Die neue Viagra Boys-Platte "Cave World" beschäftigt sich mit Verschwörungsmythen, Substanzen in kleinen Plastiktütchen und dem alltäglichen Wahnsinn, durch den ein "punk rock loser" eben durch muss.

Kommt in den besten Familien vor: Viagra Boys-Frontmann Sebastian Murphy ist kurzfristig verhindert, aber Saxophonist Oskar Carls springt für ihn ein. Leider ist er an diesem Tag etwas zerknittert, weshalb seine Antworten teilweise einsilbig ausfallen.

Ihr habt euer neues Album "Cave World" nochmal komplett neu aufgenommen, obwohl ihr schon fertige Aufnahmen hattet - wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ja, es war schon komplett fertig. Aber dann dachten wir uns: Warum versuchen wir nicht, das Projekt noch weiter zu pushen? Wir hörten das Material nochmal an und behielten nur die besten Songs. Dann sind wir ein weiteres Mal ins Studio gegangen, um neue Songs aufzunehmen, die zur Atmosphäre der anderen Nummern passen. Es ging darum, Songs zu finden, die gut zu dem restlichen Material passen. Sorry, ich bin ein bisschen verkatert heute (lacht).

Was passiert mit den Songs, die es nicht auf das Album geschafft haben – wollt ihr die noch als B-Sides rausbringen oder irgendwie anders verwenden?

Ja, voll. Wir haben richtig viel Material, das wir nicht auf "Cave World" gepackt haben. Was wir damit genau machen, wissen wir aber noch nicht. Vielleicht wird daraus noch eine EP, vielleicht veröffentlichen wir aber auch eine Sammlung mit anderen unreleasten Songs.

Bei euren Live-Shows klingen die Songs eigentlich nie so wie auf Platte. Wie wichtig sind euch Improvisation und Unvorhersehbarkeit bei euren Shows?

Das war für uns schon immer ein Weg, die Songs lebendig zu halten. Nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns selbst. Wir zwingen uns dazu, präsent zu sein und die Kommunikation untereinander aufrechtzuerhalten. An den besten Tagen fühlt sich das so an, als wenn sich die Musik in jede mögliche Richtung bewegen könnte.

Verstehe. Mehrere Mitglieder der Viagra Boys haben ja auch einen Jazz-Background, dich eingeschlossen.

Ja, ich komme eigentlich eher aus dem Free Jazz, aus der improvisierten Musik. Wir haben alle einen unterschiedlichen musikalischen Background. Das ist eine der besten Dinge an dieser Band: Jeder von uns bringt etwas anderes in den Mix mit ein. Wir wollen offen bleiben und diese Einflüsse auch komplett zulassen.

"Yung Lean inspiriert uns alle"

Viagra Boys haben sich 2015 gegründet, du bist zwei Jahre später dazu gestoßen. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Vor mir gab es bereits zwei Saxofonisten in der Band, glaube ich. Die beiden sind aus unterschiedlichen Gründen ausgestiegen. Seb [Sebastian Murphy, Anm. d. Red.] hat mich dann angerufen. Damals habe ich gerade das erste Mal überhaupt von der Band gehört. Seb fragte mich, ob ich mit ihnen zusammen in Tallinn, in Estland, spielen wolle und ich habe zugesagt. Und selbst bei unserer ersten gemeinsamen Show hat es sich schon so angefühlt, als würden wir schon Ewigkeiten zusammen spielen.

Warst du mit Seb schon befreundet, bevor du zur Band gekommen bist?

Nein, nicht wirklich. Wir sind zur selben Schule gegangen, als er aus den USA nach Schweden gezogen ist. Wir sind aber nie groß abgehangen. Wir haben heute darüber geredet. Er meinte: "Du warst dieser Kerl, der immer in der Ecke rumstand und Zigaretten geraucht hat!" und dann habe ich erwidert: "Nein, du warst dieser Typ!" (lacht)

Welche Rolle hat das Label YEAR0001 bei der Gründung von Viagra Boys gespielt?

Oskar Ekman, der das Label ja mitgegründet hat, ist fast von Anfang an unser Manager gewesen. Er ist auch der Manager von Yung Lean. Es ist sehr schön, mit ihm und YEAR0001 zu arbeiten und nicht mit einem riesigen Major-Label. Wir haben eine sehr enge Verbindung zu dem Label, weil sie auch nicht so viele Künstler unter Vertrag haben.

.. und trotzdem sind die Musiker bei YEAR0001 ja sehr verschieden. Du hast es gerade gesagt, Stichwort Yung Lean.

Ja, das finde ich auch toll. Yung Lean inspiriert uns alle. Wir haben so einen bestimmten Vibe, der bei beiden Projekten ähnlich ist. Es ist auf jeden Fall cool, auf dem gleichen Label zu sein wie er.

"Ich fühle mich nicht als Teil irgendeiner Szene"

Wie kann man sich die Musikszene in Schweden vorstellen? Gibt es einheitliche Bewegungen oder Städte, in denen bestimmte Genres besonders präsent sind?

Es ist schon so, dass in den einzelnen Städten verschiedene Genres unterschiedlich präsent sind. In Göteborg ist die Rock-Szene sehr stark, Malmö hat ein paar richtig gute Rapper. In Stockholm ist die Musikszene stärker verstreut. Ich weiß auch nicht. Ich fühle mich hier nicht als Teil von irgendeiner Szene.

"Cave World" dreht sich viel um Verschwörungstheorien, gleichzeitig ist Schweden ohne großen Einschränkungen durch die Pandemie gekommen. Wie hast du die letzten zwei Jahre erlebt?

Das war echt eine schräge Zeit. Mir fällt es sogar schwer, da so einzelne Ereignisse rauszugreifen, weil alles so ineinander verschwommen ist. Wir haben einfach versucht, das Beste draus zu machen. Am Anfang war ja auch gar nicht richtig klar, wie lange das alles dauern wird. Wir waren alle in so einer Art Survival-Mode. Gleichzeitig hatten wir auf einmal sehr viel Zeit, am neuen Album zu arbeiten. Ohne die Pandemie hätte es das Album in dieser Form nicht gegeben.

Ihr spielt in den nächsten Monaten jede Menge Konzerte. Habt ihr als Band irgendwelche Rituale, bevor ihr auf die Bühne geht?

Jeder hat so seine eigenen, persönlichen Sachen. Ich versuche, die kürzesten Shorts zu finden. Ich bin sehr glücklich über die Kunstleder-Hosen, die ich jetzt gefunden habe, aus China. Die sind schon echt verdammt kurz! (lacht)

Anmerkung: Viagra Boys feierten mit dem Song "Sports" ihren Durchbruch. Darin werden unter anderem "short shorts", also wirklich kurze Sporthosen, besungen.

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