21. Januar 2014

"Müssen Frauen dreckig sein?"

Interview geführt von

Seit über drei Jahren wartet die Warpaint-Fangemeinde nun schon auf ein neues Studio-Lebenszeichen ihrer Heldinnen. Gut Ding will eben Weile haben ...

Für ihr zweites Album haben sich die vier Mädels von Warpaint richtig viel Zeit genommen. Statt sich nämlich der geifernden Öffentlichkeit zu beugen und dem erfolgreichen Debütalbum ("The Fool") zeitnah einen Nachfolger zur Seite zu stellen, haben sich die Frusciante-Freundinnen erst einmal eine Verarbeitungs-Phase gegönnt. Dabei stieß die Band im Laufe der Zeit auf diverse Business-Hochkaräter wie beispielsweise die beiden Ausnahme-Produzenten Flood (PJ Harvey, Nick Cave) und Nigel Godrich (Radiohead) sowie den britischen Videokünstler Chris Cunningham (Aphex Twin, Björk, Portishead), die allesamt Feuer und Flamme waren, als es darum ging, am neuen Schaffen der Band mitzuwirken.

Nun steht also endlich das selbstbetitelte Zweitwerk in den Startlöchern. Doch bevor das Album Ende Januar 2014 aber den Weg in diverse internationale Liebhaber-Haushalte findet, werden die Damen erst einmal auf flächendeckende Promo-Reisen geschickt, um der Welt vom Entstehungsprozess des neuen "Babys" zu berichten. Wir nahmen uns Anfang November in Berlin Schlagzeugerin Stella Mozgawa und Sängerin Theresa Wayman zur Seite und ließen uns aufklären.

Hallo ihr zwei, euer neues Album ist schon seit einiger Zeit im Kasten. Die Veröffentlichung steht aber erst in drei Monaten an. Wird man da als Band während dieser Warteperiode nicht kirre im Kopf?

Theresa: Absolut. Für mich ist das die schwerste Zeit überhaupt. Es fühlt sich wirklich schlimm an. Wir wollen natürlich wissen, wie die Leute auf das neue Album reagieren. Wir wollen hören, ob es gefällt. Oder was dem einen oder anderen vielleicht nicht passt. Auf dieses Echo müssen wir aber leider noch lange warten. Das zermürbt ganz schön.

Stella: Das Gefühl ist wirklich schwer zu beschreiben.

Theresa: Ohnmacht.

Stella: Ja, das trifft es am besten. Aber du hast es doch wenigstens schon gehört, oder? (lacht)

Ja, habe ich.

Stella: Und?

Ich finde, dass das Album - im Vergleich zum Debüt - wesentlich organischer und kompakter klingt. Es kommt sehr nah an euren Live-Sound ran.

Theresa: Sehr schön. Genau das war auch unsere Absicht.

Ihr hattet also ein Sound-Konzept im Kopf?

Theresa: Naja, ein richtiges Konzept eigentlich nicht. Wir hatten nur einfach das Gefühl, dass das erste Album im Nachhinein nicht ganz so klingt, wie die Band sich heute fühlt. Das ist im Grunde ja auch völlig in Ordnung. Damals waren wir schließlich an einem ganz anderen Punkt. Im Laufe der Zeit haben wir aber gemerkt, dass wir uns vor allem live doch hier und da etwas kompakter präsentieren. Und genau diese Präsenz wollten wir auch auf dem neuen Album haben.

Stella: Im Grunde genommen ist doch jedes Album in erster Linie ein musikalisches Spiegelbild einer ganz bestimmten Zeit. Was wir aber diesmal wollten, war ein Fundament zu legen, das uns auch in Zukunft begleiten soll. So eine Art Grundgerüst, das man immer wieder mit neuen Anbauten verschönern kann.

"Wir stöbern eigentlich nur selten in fremden Territorien"

Habt ihr euch vielleicht deshalb auch für die No-Albumtitle-Variante entschieden?

Theresa: Ja, auch. Der eigentliche Grund war aber, dass wir diesmal alle zusammen am kompletten Entstehungsprozess des Albums mitbeteiligt waren. Für mich ist es das erste echte Band-Album. Es fühlt sich irgendwie wie ein weiteres Debütalbum an. Das ist ein tolles Gefühl.

Auch auf eurem neuen Album arbeitet ihr eher unterschwellig mit klassischen Harmonien. Das war auch beim Debütalbum der Fall. Die Melodien gehen oftmals nicht sofort ins Ohr, sondern brauchen eine gewisse Anlaufzeit. Ist das ein bewusster musikalischer Eckpunkt, der euch von anderen Bands unterscheiden soll?

Stella: Wir stöbern eigentlich nur selten in fremden Territorien. Wir schauen eher auf uns. Uns ist es einfach wichtig, eine gewisse Langlebigkeit zu erreichen. Das schafft man aber nur selten, wenn man allzu transparente Wege geht. Melodien sind uns natürlich auch sehr wichtig, keine Frage. Aber sie müssen halt auch besonders sein. Wir stehen nicht so sehr auf diese klassischen Akkordabfolgen und Gesangsharmonien, die man bereits nach dem zweiten Hören im Ohr hat; denn genauso schnell, wie sie im Ohr drin sind, sind sie meist auch wieder raus.

Theresa: Ich habe erst letztens mit einem Typen gesprochen, der mir sagte, dass er auch heute noch Neues auf unserem Debütalbum entdecke. Das ist natürlich ein tolles Kompliment. So sollte es auch sein. Ich finde nichts überflüssiger als ein Album, das ich bereits nach zwei Tagen in und auswendig kenne.

Nicht nur ihr wart am Entstehungsprozess des Albums beteiligt, sondern auch illustre Ikonen wie Flood und Nigel Godrich – Leute, die einen eigenen Kopf haben, wenn es um die Produktion eines Albums geht. Inwieweit haben sich eure Grundvorstellungen mit denen eurer Produzenten gedeckt?

Theresa: Das verlief eigentlich alles ganz reibungslos. Wir wussten, was wir wollten. Und das war in der Regel auch das, was alle anderen Beteiligten vorschwebte.

Euer Debüt sorgte für viel Aufsehen. Plötzlich wollten alle was von euch. Ihr seid aber nicht auf den Zug aufgesprungen und habt direkt nachgelegt, sondern euch für euer zweites Album ziemlich viel Zeit genommen. Habt ihr bewusst versucht, möglichst große Namen anzuheuern, um dem wachsenden öffentlichen Druck etwas entgegenzutreten?

Theresa: Nein, gar nicht. Ich weiß, was du meinst, und diese Denkweise liegt vermeintlich auch auf der Hand, aber so war es nicht. All die Entscheidungen, die getroffen wurden, waren Teil eines Prozesses, der in erster Linie nur mit uns als Band zu tun hatte. Wir wollten uns als Gruppe finden. Und dafür brauchten wir Zeit. Wir haben gemerkt, dass so etwas nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist, also haben wir uns dementsprechend Zeit genommen. Was sich dann in dieser Phase alles entwickelte, war letztlich nur das Ergebnis dieses internen Prozesses. Dazu gehörte auch der Kontakt mit all den Leuten, die mit an dieser Platte gearbeitet haben.

Stella: Wir sind auch nicht die Band, die sich irgendwo verkriecht und andere Leute machen lässt, nur weil irgendwo eine Drucksituation entsteht. Ich meine, Druck ist immer da, wenn du in diesem Business überleben willst. Das ist halt so. Wir haben da aber kein Problem mit. Außerdem haben wir das neue Album ja auch Co-produziert. So ganz fernab vom Geschehen waren wir dann doch nicht (grinst).

"Wenn man sich die ganzen Gagas, Perrys und Co so anschaut ..."

Neben den beiden erwähnten Produzenten habt ihr auch mit Chris Cunningham zusammengearbeitet (Björk, Portishead). Der hat nicht nur eine Dokumentation über euch gedreht, sondern auch noch das Coverartwork eures neuen Albums gestaltet – ein echter Hingucker, wenn ich das mal so sagen darf.

Stella: Ja, dieses Cover hat eine ungemeine Magie. Als ich den Entwurf das erste Mal zu Gesicht bekam, musste ich mich zehn Minuten konzentrieren, ehe ich jede von uns darauf entdecken konnte. (lacht).

Theresa: Ich finde auch, dass Chris hier über sich hinausgewachsen ist. Früher wurde viel mehr Wert auf eine ansprechende Verpackung gelegt. Heute – im Zeitalter von Downloads – machen sich nur noch wenige Bands die Mühe, etwas wirklich Kunstvolles zu präsentieren. Das ist sehr schade.

Früher war vieles anders. Ich erinnere mich beispielsweise an Zeiten, da machten Bands wie L7, Babes In Toyland oder Bikini Kill den Männern im Musikzirkus ganz schön Feuer unterm Hintern. Heute muss man schon lange googeln, wenn man halbwegs erfolgreiche Allgirls-Combos ausfindig machen will. Woran liegt das?

Stella: Ich finde schon, dass sich dahingehend momentan wieder viel bewegt. Es gibt einige vielversprechende Bands, von denen man in Zukunft sicher noch hören wird. Aber du hast natürlich Recht. Es gab in diesem Bereich lange Zeit nicht viel zu entdecken. Warum das so war? Keine Ahnung.

Meine Frau sagt, dass Frauen lieber singen, anstatt ein Instrument zu lernen.

Stella: (lacht). Ja, da ist vielleicht was dran.

Theresa: Wenn man sich die ganzen Gagas, Perrys und Co so anschaut, könnte man das wirklich denken. Ich meine, wir haben auch alle erst ganz klassisch mit dem Klavier und dem Gesang angefangen. Erst später kamen Gitarren und das Schlagzeug hinzu. Kann sein, dass man sich da als Frau etwas mehr überwinden muss. Das hat ja auch was von echtem Handwerk, verstehst du? Und körperliche Arbeit ist ja in vielen Köpfen heutzutage noch hauptsächlich Männersache (lacht).

Stella: Das wird sich aber wieder ändern. Vertrau mir.

Theresa: Ich habe L7 geliebt. Die waren richtig schön dreckig.

Stella: So dreckig wie wir?

Theresa: Noch dreckiger.

Viel dreckiger.

Stella: Müssen Frauen denn dreckig sein, um im Business zu bestehen?

Nein, nicht unbedingt. Bei euch funktioniert es ja auch ohne Schnodder und Rotz.

Stella: Dann bin ich ja beruhigt (lacht).

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