26. März 2003
Zwischen Welt-Tournee und Dickdarm-Spülung
Interview geführt von Florian SchadeDas Comeback der drei smarten Norweger Pål Waaktaar-Savoy, Magne Furuholmen und Morten Harket kann sich sehen lassen. Seit der Veröffentlichung von "Minor Earth Major Sky" im Jahr 2000 haben sie bereits ein weiteres neues Album, eine neue Promotion-Tour und den aktuellen Titelsong zur Formel 1-Rennserie nachgelegt. Pünktlich zur Veröffentlichung des neuen Doppel-Live-Albums stand Sänger Morten Harket LAUT Rede und Antwort.
Hallo Morten. Das nächste Interview, die nächste Promotion-Tour: ihr habt schon wieder ein Album am Start. Wolltet ihr ...
Morten unterbricht sofort:
Aaaber es ist ein neues Album und eine neue Promo-Tour! Es ist niemals das Gleiche, die Dinge drehen sich nicht im Kreis. Es ist eher wie eine Spirale. Insofern ist nichts anders als damals, als wir anfingen. Zunächst steht man da mit Nichts, dann bringt man etwas heraus, an das man glaubt, und darauf gründen sich dann seine Verdienste.
Wolltest du eigentlich zurückfinden in diesen Rhythmus aus Album, Promotion und Tour?
Es kommt darauf an, womit man arbeiten und Geld verdienen will. Ich würde all das mit A-ha machen, in meinem eigenen Namen oder von mir aus auch zusammen mit jemand anders. Ich bin nämlich noch nicht fertig. In mir steckt noch jede Menge Musik. Musik ist immer noch etwas, worauf ich sehr stark anspreche und woran ich glaube. Im Leben gibt es so viele Möglichkeiten, so viele Projekte, an denen ich gerne mitarbeiten möchte. Aber ich glaube, es ist richtig für mich, meine Zeit mit Musik zu verbringen.
Das haben dir bestimmt schon viele Menschen bestätigt.
Ja, es war ein warmer und herzlicher Empfang für uns zurück im Musikbusiness. Aber ich rede nicht gerne über Dinge, die in der Vergangenheit liegen. Das sind alte Sachen, die interessieren mich nicht mehr. Wir müssen unser Haus jedes Mal von neuem bauen und nicht auf das Fundament, das wir früher mal gelegt haben.
Das klappt ja bei A-ha ganz gut.
Ja, das klappt hervorragend. Die Resonanz war hervorragend.
Warst du beim neuen Album auch dabei, als es ums Mastering ging?
Ja, von Zeit zu Zeit.
Wenn man an A-ha denkt, sieht man eher Paul und Mags als die Produzenten und denkt weniger an dich.
Stimmt. Aber ich habe ja auch meine Erfahrungen gesammelt. Als ich mein Soloalbum "Wild Seed" aufnahm, war ich ja auch involviert. Irgendjemand muss sich eben finden, der sich dafür hergibt. Entweder man nimmt es selbst in die Hand oder man vertraut sich jemand an. Ich kenne diesen Prozess und er verlangt ungeheuer viel Aufmerksamkeit.
Ich habe euren Gig im Züricher Hallenstadion aufmerksam verfolgt. Als das Pressematerial zum neuen Album rauskam, war ich überrascht, dass ein Großteil des Albums dort aufgenommen wurde. Denn ehrlich gesagt, fand ich den Abend ein wenig langsam. Wusstet ihr, dass an diesem Abend aufgenommen wird? Habt ihr deshalb langsam gespielt?
Nein, wir haben jede Nacht aufgenommen. Und jeden Abend war es anders. Wegen der Akustik, der Halle, den Bedingungen. Es ist niemals gleich.
Warum Zürich? Was war so besonders?
Zürich war ein guter Gig. Es fühlte sich gut an. Aber der Grund, warum Zürich für das Album ausgesucht wurde, war die Reaktion des Publikums auf die Songs. Wenn wir spielen, merken wir nicht wirklich, was da unten abgeht. Aber hinterher - auf Tape - da hört man das sofort. Und da war Zürich einfach gut. Es hat also nichts mit dem Gig selber zu tun.
Ich frage, weil die Stücke sich einfach ein wenig langsam angehört haben.
Ja, ich erinnere mich. Du hast recht: Es kann schon sein, dass wir an diesem Abend nicht ganz so schnell waren. Aber dafür war die Akustik einfach gut und das Publikum war aufmerksam. Das Züricher Publikum ist ja sowieso ein eher ruhiges Publikum. Die hören nur zu. Die sind ganz anders als zum Beispiel das deutsche Publikum. Als wir uns nach dem Set mit den Leuten von der Schweizer Plattenfirma unterhielten, sagten die uns, dass es an dem Abend für Züricher Verhältnisse richtig lebendig war. Gelächter. Für uns auf der Bühne war das alles andere als lebendig. Aber sie waren eben sehr aufmerksam. Und das ist auch eine sehr intensive Art von Publikum. Man kann nicht ständig Party haben. Besinnlichkeit muss eben auch manchmal sein.
Wie war denn das Feeling auf der Tour im Allgemeinen? Hattet ihr einen Tour-Koller? Oder lief alles nach Plan?
Naja, Mags übte sich in medizinischen Studien. Er brachte fast die ganze Band dazu, eine Dickdarmspülung zu machen.
Wie bitte?
Ja, wirklich. Kein Scherz. Naja, man reinigt halt die ganze Darmflora. Man spült den Darm einmal gründlich durch. Und dann läuft alles durch transparente Plastikschläuche durch und man kann sehen, was da so alles rauskommt. Gelächter
So etwas macht ihr also, wenn ihr auf Tour seid!
Ich war es nicht! Es war Mags! Mags hat das gemacht! Zweimal, glaube ich. Und das Tollste war: Er hat die ganze Backing-Band, also den Drummer, den Bassisten und den Keyboarder dazu gebracht, es zu versuchen. Paul und ich waren also die Einzigen, die sich widersetzten. Und allen wurde es furchtbar schlecht davon. Unser Bassist musste einmal sogar auf der Bühne in eine Tüte kotzen - während er gespielt hat! Gelächter Und alle bekamen Durchfall, waren matt und müde. Aber sie haben es überlebt. Das war in Polen, wenn ich mich recht erinnere.
Lass uns über das Cover des Albums reden. Ich war etwas überrascht, eine kleine Robbe zu sehen. Gibt es da eine Geschichte dazu? Oder warum packt man eine Robbe auf ein Live-Album?
Nein. Da gibt es keine Geschichte dazu. Jeder muss seine eigene Geschichte dazu finden. Aber man kann schon sehr gut dazu assoziieren. Ich kann es zumindest. That's the Cover. Eat it. Gelächter Um ehrlich zu sein, ich liebe dieses Cover. Es ist ein sehr starkes Motiv. Und wir waren uns so schnell einig. Wir mochten es alle sehr gerne. Normalerweise brauchen wir viel länger, um uns zu einigen. Auch der Titel "How Can I Sleep..." hat mir sofort gefallen, und ich mag die Tatsache, dass es kein typisches Live-Cover ist. Es geht um viel mehr. Es sagt etwas über die Band aus. Da schwebt diese kleine Robbe in der Mitte - wie hingehängt - fast schwerelos wie ein Astronaut und schaut dem Fotografen direkt in die Linse.
Kennst du Per Maning (den Fotograf des Covers) persönlich?
Naja. Wahrscheinlich kenne ich ihn schon, aber ich habe es nicht so mit Namen. Ich treffe so viele Leute. Mags kümmert sich immer um diese Sachen. Er redet mit den Leuten und so. Ich würde das auch machen, aber ich will mich da nicht vorbei drängeln. Er liebt es, diese Dinge zu organisieren, hat ständig neue Ideen und macht Vorschläge. Paul und ich können da oft nur reagieren, obwohl wir uns natürlich auch einbringen.
Die neue Single "The Sun Always Shines On TV" ist der Titelsong zur Formel 1-Rennserie in Deutschland. War das die Idee der Plattenfirma oder der Wunsch der Band?
Ach, so etwas passiert einfach. Wir haben diese Möglichkeit beim Schopf gepackt, wie man jede Möglichkeit im Leben ergreifen sollte. Am Samstag werde ich zum Beispiel in Hamburg bei der Schiffstaufe eines Luxusliners singen. Dieses Prachtschiff wird von Bergen in Richtung Norden fahren. Das ist eine einzigartige Reiseroute. Landschaftlich sehr reizvoll und ein wenig norwegischer Nationalstolz. Diese Route bin ich noch nie gefahren, obwohl es mich immer gereizt hat. Jetzt fragt man mich plötzlich, ob ich Lust habe, da mitzufahren. Natürlich tue ich das. Sie taufen das Schiff übrigens in Hamburg, weil die meisten Passagiere Deutsche sind.
Es war also nicht in erster Linie wegen der Formel 1. Aber ich habe gelesen, dass du dich sehr für Autos interessierst. Stimmt das?
Ja. Ich liebe Autos. Aber es kommt mir nicht so sehr auf die Geschwindigkeit an. Eher auf das Ladevolumen. Gelächter Naja, ein Auto muss einfach all das können, worauf es mir ankommt. Und mir kommt es auf den Transport an. Die meisten Autos sind doch nur halb durchdacht. Die schauen vielleicht cool aus, aber man hat keinen Platz. Die meisten Jeeps, die ich kenne, sind so bescheuert. Die haben ihren Vierradantrieb, können aber keine Lasten aufnehmen.
Ich war früher viel per Anhalter unterwegs und die Jeep-Fahrer haben nie angehalten.
lacht Ja, stimmt. Aber versteh mich nicht falsch. Ich mag Design. Besonders industrielles Design. Form und
Funktion müssen Hand in Hand gehen. Deshalb fahre ich Mercedes. Schon immer. Das geht mir eigentlich schon länger gegen den Strich. Ich möchte mich verändern. Aber jedes Mal, wenn ich es versucht habe, stand doch wieder einer vor meiner Tür. Ich habe also ein echtes Problem. Gelächter
Was passiert eigentlich in den nächsten Monaten? Macht ihr Pause oder geht es gleich wieder Richtung Studio?
Jetzt und hier ist genau der richtige Zeitpunkt, dieses Album auf den Markt zu bringen. Es dokumentiert im Wesentlichen unser Comeback und die zwei tollen Touren, die wir gemacht haben. Wir sind also zum ersten Mal zufriedenstellend live repräsentiert. Das finde ich zunächst mal cool. Das Album ist gleichzeitig so eine Art Greatest-Hits-Platte in einer Weise, wie sie bei den Leuten nicht schon im Plattenschrank steht. Ich finde das originell. Und danach tauchen wir alle drei erst mal an verschiedenen Orten ab. Dort werden wir sicherlich an neuem Material arbeiten und uns dann irgendwann Ende des Jahres wieder treffen, um zu diskutieren, wie es weitergeht. Wir nehmen uns jetzt alle Zeit, die wir für uns selbst brauchen. Denn es waren drei hektische Jahre mit A-ha, und die Dinge müssen sich jetzt ein wenig setzen, bevor wir uns wieder neuen Sachen widmen.
Und was macht Anneli Drecker so lange? Viele sagen, sie sei bereits das vierte Mitglied von a-ha.
Nein. Anneli ist Anneli und gehört nicht zu A-ha. Sie ist eine starke Sängerin und wir haben eine gemeinsame
Geschichte. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass wir weiterhin zusammen arbeiten.
Mehr Duette?
Ja, klar, aber sie kann so viel mehr. Wir haben bislang nur ganz kleine Teile dessen gehört, was zusammen mit ihr möglich ist. Sie ist eine starke und interessante Sängerin. Auch ohne A-ha.
Könntest du dir vorstellen, Songs für Anneli zu schreiben?
Ja natürlich. Aber nicht nur für Anneli. Wenn ich Songs schreibe, gibt es immer wieder Stücke, die nicht zu A-ha und auch nicht zu mir als Solo-Künstler passen.
Du hast also immer noch Solopläne. Wird es auch eine Veröffentlichung von "Holyground" geben? Ich mag diesen Song.
"Holyground". Klar. Woher kennst du denn das?
Da war so ein Stream von einer norwegischen Fernsehsendung...
Ach so, ja, nur mit Gitarre. Ja, ich habe da so einige Songs in petto und ich nenne sie meine kleine Sammlung. Das ist ein Thema, über das ich mir jetzt Gedanken machen werde, und ich kann dir versprechen: "Holyground" wird veröffentlicht.
Cool. Habt ihr jemals an ein "Tribute to A-ha" gedacht? U2 covern "The Sun always shines On TV", Coldplay spielen "Hunting high and low"...
Nein, über so etwas habe ich noch nie nachgedacht. Aber das ist eine gute Idee. Ich weiß: Wir machen ein Doppel-Album draus und auf der zweiten CD nehmen wir dann im Gegenzug Lieder von all diesen Bands auf. Gelächter
Wo wir gerade von anderen Bands sprechen: Ihr hattet Remixes von Console und Millenia Nova auf der letzten Single. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Kennt ihr euch in der bayerischen Elektro-Szene gut aus?
lacht Nein. Das passiert einfach. Wir hatten viele Mixes rumfahren und die waren stilistisch alle völlig unterschiedlich. Total unterschiedliches Zeug. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die sich den Song sogar selbst ausgesucht, wir mussten da gar nicht groß fragen oder zusammenarbeiten. Das Ergebnis war allerdings sehr positiv. Da kamen überraschend gute Sachen dabei heraus.
Stimmt es eigentlich, dass du selbst kaum oder gar keine Musik hörst? Was ist denn grade in deinem CD-Spieler drin?
Staub. Gelächter
Enjoy The Silence.
Ja, genau.
Morten, wo siehst du dich selbst in fünf Jahren?
lacht In fünf Jahren? Keinen blassen Schimmer. Ich will ja nicht mal drüber nachdenken, wo ich vor fünf Jahren war.
Und in 10?
In etwa 50 Jahren - da hab ich eine Idee, wo ich sein könnte. Gelächter Das wird sicher interessant. Gelächter
Mags hatte neulich ein Interview im norwegischen Kunst- und Modemagazin "Hot Rod". Ist dir das bekannt?
Nein. Warum?
Er trägt Frauenkleider, eine blonde Perücke und benutzt Lippenstift. Man sieht ihn in einem BH vor dem Spiegel, wie er sich schminkt. Dazu kommentiert er: "Mein Leben als Medienhure". Fühlst du dich manchmal genauso?
Nein, das nun wirklich nicht. Ich habe mich nie verkauft. Ich mache es, weil die Menschen möchten, dass ich mich ihnen stelle. Sie fragen mich und ich sage: Okay, los geht's. Aber wenn man mich zwingt, bekommt man gar nichts von mir. Ich tue wirklich nur das, was ich vor mir selbst verantworten kann. Bei Mags ist das vielleicht ein wenig anders. Er sucht die Öffentlichkeit, denn er ist oftmals nur der Passagier. Die Medien haben sich schon immer stark auf mich konzentriert. Ich verstehe aber nicht, was zum Teufel er da in dieser Zeitschrift will. Er hätte seine Zeit ein wenig sinnvoller gestalten können. Naja, im Endeffekt kommt es darauf an, zu wissen was man tut. Wenn man - wie ich jetzt - die ganze Zeit nur über sich selbst reden soll, dann wird man langsam verrückt im Kopf. Ich will nicht ständig wiederkäuen, was ich gerade getan habe. Ich fühle mich im kreativen Prozess wohl. Da ist mein wahres Ich. Und nicht im ständigen Zergliedern des Getanen.
Aber du kannst dich auch mal einen längeren Zeitraum in eine Sache vertiefen. Ich denke da an dein Engagement im Ost-Timor-Konflikt. Erfüllt dich das auch? Bist du eine politische Person?
Oh ja, das bin ich. Aber ich muss an die Sache glauben. Wo du gerade fragst: Im Mai gehe ich zurück nach Ost-Timor. Ich hatte mich seit dem Friedensnobelpreis nicht mehr damit befasst. Ich hatte meine Verantwortung wahrgenommen und erfüllt. Ich hatte eine Aufgabe dort, die es rechtfertigt, meine Zeit dafür aufzubringen. Jetzt werde ich mich wieder mit Politikern treffen und austauschen. Ich bin gespannt was dort unten passiert ist. Und den Menschen werde ich erzählen, woran ich glaube und sie werden mir erzählen, woran sie glauben. Nur so funktioniert das.
Du hast doch auch einmal mit der pakistanischen Rockband Junoon gearbeitet. "Piya" hieß der Song.
"Piya" ist ein guter Song. Und Salman geht mit nach Ost-Timor. Zumindest ist das unser Plan.
Du merkst schon, worauf ich mit meinen politischen Fragen hinaus will. Wir stehen kurz vor einem Krieg im Irak. Willst du deine Meinung zu diesem Thema mit uns teilen?
Das ist schwierig, weil es ein komplexes Thema ist. Es ist eine Schande, dass wir dieses Problem nicht im UN-Sicherheitsrat lösen können. Das ist nicht gut für diese Welt. Aber leider stehen wir vor der Macht des Faktischen. Für mich gehört diese Angelegenheit vor die Vereinten Nationen und nicht in die Hände der USA. Wie du siehst, teile ich die Gedanken und Gefühle der meisten Menschen. Ich finde es aber genauso falsch, hier grob zu vereinfachen und den Schwarzen Peter ausschließlich nach Amerika zu schieben. Das ist genauso falsch. Aber um das alles durchzudiskutieren, bräuchte man reichlich Zeit und vor allem ein ordentliches, gut besetztes Gremium. Dann könnten wir Stunden diskutieren.
Gut, dann lass mich dir zum Schluss zur Geburt deiner zweiten Tochter vor knapp einem Monat gratulieren.
Vielen Dank. Danke.
Habt ihr euch schon auf einen Namen geeinigt oder soll das ein Geheimnis bleiben?
Es ist kein Geheimnis, dass wir uns auf einen Namen geeinigt haben. Gelächter Aber den Namen behalten wir lieber für uns.
Vielen Dank für das Gespräch.
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