28. September 2009

"Layne war noch der Netteste von uns"

Interview geführt von

Im kurzfristig vor der Veröffentlichung des Comeback-Albums "Black Gives Way To Blue" anberaumten Interview widerlegt Gitarrist Jerry Cantrell einige Vorurteile über den verstorbenen Layne Staley. Außerdem erzählt er, wie es zur Reunion kam und welche Rolle Neu-Sänger William DuVall dabei gespielt hat und .Nachdem der eigentlich Interviewzeitpunkt immer wieder vor und zurück gelegt wurde und ich mir schon gar nicht mehr so sicher bin, ob ich einen von der Band heute noch zu Gesicht bekomme, werde ich schließlich durch die labyrinthartigen Gänge eines Kölner Luxus-Hotels geleitet. Hinter der nur angelehnten Tür wartet Alice In Chains-Gitarrist Jerry Cantrell auf mich und gibt mir mit einer Kopfsocke und dunkler Sonnenbrille bewaffnet die Hand.

Auf einem Tisch steht eine Schale mit Obst, eine Flasche Wasser und ein Aschenbecher. Der Klampfer stopft sich also die erste Kippe in den Mund, und schon geht es los.

Jerry, um eure neue Scheibe wird ein ziemliches Geheimnis gemacht, und als ich mir das Teil vorhin im EMI-Büro anhören durfte, wurden mir noch keine Titel verraten. Wir können uns also nur über Song 1, Song 2 und ähnliches unterhalten.

Ja, das ist alles top secret (lacht), aber wie hat dir die Scheibe denn gefallen?

Großartig, das ist 100%ig Alice In Chains und ziemlich genau das, was ich erwartet und erhofft habe. Vor allem der Opener ist echt klasse.

Cool, freut mich das zu hören. Der Song heißt übrigens "All Secrets Known" und ist meiner Meinung nach nicht so ein typischer Opener. Der Grund, warum wir ihn trotzdem an den Anfang der Platte gestellt haben, ist einfach ein textlicher. Es kommt auf den lyrischen Kontext der einzelnen Songs an, und da hat sich die Nummer als Opener aufgedrängt. Auf dem ganzen Album geht es in gewisser Weise darum, wo wir als Band jetzt stehen und was wir durchgemacht haben. Mit einem bestimmen Song anzufangen und zu enden war ein Schüsselerlebnis für uns und das Album.

Der letzte Song ist der Titeltrack "Black Gives Way To Blue", so viel ließ sich bereits erkennen, und das Thema dürfte sich schon allein aus dem Titel erschließen. Wer hat denn die Texte geschrieben?

Das kommt ganz darauf an, von welchem Song zu sprichst. Der Text zum Opener stammt jedenfalls von mir.

Also habt ihr versucht, die Situation und die Zeit zwischen Laynes Tod 2002 und heute aufzuarbeiten?

Naja, mehr oder weniger. Für uns, und ich denke für jeden anderen auch, sind Platten so was wie eine Zeitkapsel. Und da wir ja schon eine ganze Zeit lang unterwegs sind und dabei ein paar sehr wichtige Freunde verloren haben, gab es wirklich jede Menge Dinge, über die man schreiben kann (lacht). Wir haben uns ja nicht nur als Band weiterentwickelt und mit William neu gefunden, sondern auch als Menschen und Freunde. Da hast du jede Menge Auswahl an Themen.

Es ging nie darum, Alice In Chains zu reformieren.

Was habt ihr denn zwischen der Zeit von 2002 und dem ersten Gig, den ihr 2005 wieder als Alice In Chains gespielt habt, getrieben?

Nun ja, ich habe etwa zu der Zeit, als Layne verstarb, meine Soloscheibe veröffentlicht und bin damit eine Zeit lang auf Tour gegangen. Wir mussten alle erst mal einige Probleme bewältigen, unter anderem eben auch Laynes Tod, und das jeder auf seine Weise. Die Situation war damals sehr seltsam, und ist es irgendwie auch heute noch. Ich meine, all das hier war zu keiner Zeit geplant, als wir uns das erste Mal wieder als Alice In Chains trafen. Ich dachte zu dem Zeitpunkt nicht mal im Traum dran, dass wir einen neuen Scheibe aufnehmen, einen neuen Sänger finden und ich hier mit dir in Deutschland ein Interview über all das führen würde.

Es ging uns allen damals schlicht und ergreifend darum, an einem Benefitz-Konzert für die Tsunami-Opfer von Ende 2004 teilzunehmen. So viele Menschen wollten helfen und wir wollten uns daran beteiligen. Es ging uns damals überhaupt nicht darum, als Alice In Chains wieder zusammen zu kommen. Wir wollten was zurückgeben, in welcher Form auch immer. Wir haben damals mit zahlreichen Musikern und Kumpels aus Seattle und Umgebung gespielt. Mehrere Leute am Mikro, wir wollten einfach nur helfen. Für uns war das keine Reunion, sondern eine Möglichkeit, mit ein paar Freunden was auf die Reihe zu bringen und den Tsunami-Opfern zu helfen. Dabei ist letztendlich ein ganzer Haufen Kohle rum gekommen, die wir komplett gespendet haben und das hat uns gut getan. Auch, weil wir natürlich seit langem erstmals wieder alte Alice In Chains-Nummern gespielt haben.

Hast du mit deiner Soloband keine Sachen von Alice In Chains gespielt?

Doch klar, aber da waren die anderen Jungs ja nicht dabei, nur Sean (Kinney, Drummer von Alice In Chains, d.Verf.) hin und wieder. Aber es ist schon ein anderes Gefühl, die Songs mit Mike UND Sean zu spielen. Wie dem auch sei, die ganze Sache fing eigentlich sehr bescheiden an und ohne Sicht auf irgendwas von dem, was hier und heute passiert. Ein Teil führte zum anderen und das Ganze entwickelte sich nach und nach. Wir haben hin und wieder ein paar Shows gespielt und Freunde von uns eingeladen, dabei zu singen. Ich hab irgendwann auch William eingeladen, der Teil der Tourband für mein Soloalbum war. Wir haben dann mehr und mehr Shows gespielt und jetzt sitzen wir zwei hier und reden über ein Album, von dem ich vor ein paar Jahren nie gedacht hätte, dass es das mal geben wird (lacht). Aber so ist das im Leben. Man macht einen Schritt nach dem anderen und geht dahin, wohin es einen treibt.

Es gab also nie Auditions, in denen ihr euch nach einem Sänger umgesehen habt?

Nein, eigentlich nicht. Warum auch, schließlich hatten wir ja nie den festen Plan, Alice In Chains wieder ins Leben zu rufen und ein weiteres Album aufzunehmen. Wir wollten einfach ein wenig Spaß haben und Musik zusammen machen.

Ihr habt zwischenzeitlich ja auch ein paar Shows mit Patrick Lachman (Ex-Dieselmachine) oder Phil Anselmo (Down/Ex-Pantera) gespielt. Kam mit keinem von denen die Idee auf, mit Alice In Chains weiter zu machen?

Nein, irgendwie nicht, denn es ging ja nie darum, die Band wieder ins Leben zu rufen. Diese Option tauchte erst mit William auf. Er war von Anfang an einfach er selbst und hat nie versucht, Layne irgendwie zu kopieren oder zu ersetzen, was auch gar nicht möglich wäre. William ist ein sehr umgänglicher und bescheidener Mensch. Als Sänger hat er definitiv das Zeug, die alten Sachen zu singen und rüber zu bringen, und was er bei den neuen Songs geleistet hat, ist großartig. Und so ganz nebenbei ist er auch noch ein sehr talentierter Gitarrist. Er musste natürlich von Anfang an damit klar kommen, bei einer Band zu singen, die einen sehr charakteristischen Sound hat und einen extrem charakteristischen Sänger hatte. Dass dabei immer wieder Vergleiche gezogen werden, ist klar. Aber genauso wenig wie Layne die Band allein ausgemacht hat, muss William das nun tun. Mike, Sean und ich sind genauso wichtig für Alice In Chains. Man hat es ja nun nicht mit einer vollkommen anderen Band zu tun. Letztendlich ist es aber für uns genauso überraschend jetzt hier zu sein wie für die meisten anderen Leute auch (lacht).

"Layne war von uns vier Typen noch der Netteste!"

Ich hätte wirklich nie gedacht, euch noch mal live auf einer Bühne zu sehen. Selbst zu diesem Interview hier bin ich vollkommen überraschend erst vor zwei Tagen eingeladen worden. Und selbst jetzt, da ich das Album erst ein einziges Mal gehört habe, ist schon eines klar: Williams Stimme ähnelt der von Layne doch ganz gewaltig.

Nun, er singt definitiv in einer ähnlichen Stimmlage und hat ein ähnlich außergewöhnliches Feeling in der Stimme wie Layne. Dennoch sind sie zwei vollkommen unterschiedliche Menschen und Charaktere. Die Sache ist halt auch die, dass ich meine Songs auf eine bestimmte Art und Weise schreibe. Daran hat sich nach wie vor nichts geändert und auch die Tatsache, dass ich von jeher für zwei Stimmen komponiert habe, drückt dem Material von vorne herein schon einen deutlichen Alice In Chains Stempel auf. Ich verstehe durchaus, dass die Leute Parallelen zwischen Laynes und Williams Gesang ausmachen, die sind auch definitiv vorhanden. Ich möchte aber hervorheben, dass William nie versucht hat, Layne zu kopieren, weder stimmlich noch als Mensch. Man sollte sich also nicht unbedingt darüber wundern, dass wir tatsächlich wie Alice In Chains klingen. What the fuck should we sound like, anyway? (lacht)

Dennoch ist mit "Last Of My Kind" ein Song auf dem Album, in dem sich Williams Stimme recht deutlich von Laynes unterscheidet.

Jep und dafür gibt es auch eine einfache Erklärung, denn der Text und auch die Gesangslinie stammen beide von William. In der Nummer hörst du ihn so, wie er seine Gesangslinien normalerweise fühlt und findet. Ich singe da ein paar Backing Vocals, aber das wars dann auch schon. Also wenn du jemandem die Schuld geben willst, dass wir weitgehend wie mit Layne klingen, dann gib sie mir (lacht).

Erzähl mir doch mal was von Willliams Background. Du hast ja schon berichtet, dass du ihn im Zusammenhang mit deiner Soloband kennen gelernt hast.

Ich kenne William jetzt schon etwa zehn Jahre. Wir sind uns in L.A. über den Weg gelaufen, als ich Jungs für meine Soloband gesucht habe, und er war einfach der richtige Mann. Er spielt fast schon sein Leben lang in irgendwelchen Bands. Er wuchs in Washington D.C. auf und verbrachte ziemlich viel Zeit in Atlanta, ehe er nach L.A. kam. Ich arbeitete zu der Zeit an meiner Scheibe und ging schließlich mit William und seiner eigentlichen Band auf Tour, nur dass sie eben für mich spielten. Wir lernten uns durch einen gemeinsamen Freund kennen und verstanden uns menschlich sofort, und wie sich später herausstellte, auch musikalisch. Was mir an den Jungs sofort gefallen hat, war diese unmissverständliche Einstellung gegenüber der Musik. Die hatten keinen Plan B, geschweige denn eine Absicherung, wenn es mit der Musik nicht klappt. Alles, oder nichts. Das fand ich klasse, denn ich bin genauso (lacht).

Ursprünglich sollten sie nur als Opener mit mir auf Tour gehen, doch ich hatte ernsthafte Probleme, Menschen und Musiker zu finden, mit denen ich zusammen spielen konnte und mit denen ich Spaß hatte. Also lief es letztendlich darauf hinaus, dass sie für mich als Opener auf die Bühne gingen und danach mit mir zusammen noch mal. Dabei haben William und ich uns sehr gut kennen gelernt und natürlich haben wir auf der Tour auch ein paar Alice In Chains-Nummern gespielt. Dabei habe ich festgestellt, wie stark William diese Songs bringt, und jetzt sind wir hier.

Was mich noch interessieren würde: Wie ist es denn jetzt mit William auf Tour zu sein? Im Vergleich zu Layne müsste er doch ein viel offenerer und lebensfroherer Mensch sein.

Was? Wie kommst du denn jetzt darauf? Ich glaube, ich muss hier mal was richtig stellen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen der Meinung sind, Layne wäre ein depressiver, verschlossener Mensch gewesen. Wer ihn kannte, wird das aber nicht bestätigen können und es ist wohl klar, dass gerade wir ihn in der Band besser kannten, als die meisten anderen Menschen. Wenn du mich fragst, war es gerade Layne, der auf Tour immer für gute Laune gesorgt hat und offen auf die Menschen zugegangen ist. Eigentlich war eher ich früher richtiggehend verschlossen und introvertiert - Layne war von uns vier Typen noch der Netteste (lacht).

Aber mit den Drogen ist das nun mal so ne Sache. Je mehr man davon nimmt, je tiefer man sich darin verstrickt, desto wichtiger werden sie und desto unwichtiger wird alles und jeder um dich herum. Das ging uns allen so, doch Layne hat leider kein Maß mehr gefunden und es letztendlich übertrieben. Wir hatten kaum mehr Kontakt zu ihm, weil wir ihn nicht erreicht konnten. Er meldete sich nicht mehr und auf einmal war er tot. Das war schrecklich, und die letzten Wochen und Monate war er bestimmt ein sehr verschlossener und depressiver Mensch. Doch das kam erst, als er sich so auf die Drogen konzentriert hat, dass es neben ihnen nichts anderes mehr gab. Ich habe Layne als freundlichen, offenen und lebensfrohen Menschen in Erinnerung, und wer etwas anderes behauptet, hat schlicht und ergreifend keine Ahnung!

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