13. April 2004

"Der T.A.T.U.-Produzent hat uns schon sehr verändert!"

Interview geführt von

Eigentlich sollte ich ohnehin Gitarrist Stevie Jackson, einen der Köpfe der Band (Mastermind Stuard Murdoch ist zwar der Hauptverantwortliche für sämtliches Geschehen in der Gruppe, doch auch Stevie und Violinistin/Sängerin Sarah Martin haben ein Wörtchen mitzureden) rund um die wundervoll verträumte Musik der zurückhaltenden Schotten befragen. Der ist jedoch verschollen. Wohin bloß, denn in unmittelbarer Nähe der Columbiahalle gibt es nur eine kleine Attraktion: Den Berliner Winzlings-Flughafen Tempelhof. Ich bezweifele, dass er sich dort aufhielt. Doch Richard ist ein angenehmer, auf britische Art sehr lustiger Gesprächspartner.

Ich glaube, das ist eure erste Tour durch Deutschland, lieg ich da richtig?

Wir waren schon mal hier, aber es stimmt, wir sind noch nie richtig durch Deutschland getourt.

Ihr wart mal beim Haldern Festival ...

Ja, stimmt, das war crazy. Wir wussten da gar nicht genau, wo wir jetzt genau hingehen, was das ist. Da haben wir glaube ich "99 Luftballons" von Nena gecovert.

Nee, das war Kraftwerk. Sehr komisch, das von euch zu hören.

Ja, das ist eigentlich unser Stück für Düsseldorf.

Spielt ihr denn öfter mal Kraftwerk, oder habt ihr das nur an diesem Abend gemacht?

Nein, wir spielen normalerweise nicht Kraftwerk. Wir wählen unsere Coverversionen nach geografischen Gesichtspunkten. Wir suchen Bands aus, die einen Bezug zur Stadt haben. Aber ich weiß gar nicht mehr, was wir gestern in Köln gespielt haben. Ich war ziemlich schnell draußen. Freut sich kringelig darüber. (in Berlin spielten sie an dem Abend David Bowie, Anm. d. Red.)

Hört sich an, als ob ihr auf der Bühne sehr spontan wärt!

Ja, das hängt ja immer von der Venue ab, die wiederum bestimmt, wie das Publikum drauf ist. Wenn die Leute zum Beispiel stehen, kannst du viel besser mit ihnen in Kontakt kommen, es gibt ein Zusammenspiel. Sie diktieren dir manchmal, wie's weiter geht, rufen Songvorschläge auf die Bühne ... (Beim Konzert am Abend wünschte sich jemand einen Oasis-Song, was Belle And Sebastian zu weit ging. "Lazy Line Painter Jane" hätten sie gesungen, wenn sich eine Frau mit kräftiger Stimme auf die Bühne getraut hätte. "Dirty Dream Number Two" sangen sie dann wirklich in Begleitung einer Dame aus dem Publikum).

Ich habe zum Beispiel gelesen, dass ihr in Japan mal während des Gigs auf der Bühne Golf gespielt habt, stimmt das?

Ja, das war vor ein paar Jahren. Wir haben uns eine Spielzeug-Golfausrüstung gekauft. Ich weiß nicht mehr, welchen Song wir gespielt haben, aber mitten drin begannen wir, Golfbälle ins Publikum zu schießen und so. Das war verrückt.

Vor ein paar Jahren seid ihr noch nicht mal richtig auf Tour gegangenen, ganz abgesehen von Interviews, die wirklich rar waren. Wieso hat sich das jetzt geändert?

Vor drei oder vier Jahren waren wir in der Hinsicht ein wenig schüchtern. Das Touren war damals sehr schwer für uns, weil wir keine richtige Tour-Produktion hatten. Ein Freund von uns ist Produktionsmanager. Er hat einen Plan für uns aufgestellt, eine Crew zusammengesucht. Es ist jetzt so viel einfacher für uns. Jetzt kümmert sich jemand darum, dass es läuft, und so funktioniert alles richtig. Mit dem Touren ist das ja auch so: Je mehr du das machst, desto mehr Spaß macht es. Wenn du nicht live spielst, bist du nicht wirklich eine Band. Nur so wirst du immer besser.

Denkst du jetzt, dass ihr was verpasst habt, nachdem ihr so lange nur selten live gespielt habt?

Nein, die Dinge sind passiert, wie sie passiert sind. Das war die Entwicklung der Band. So haben wir wahrscheinlich mehr gelernt. Viele Bands haben mit ihrem ersten Album schon einen riesen Erfolg. Bei uns war das eine langsame Steigerung. Ich ziehe es vor, wie es bei uns gelaufen ist: da so langsam reinzurutschen.

Habt ihr denn erwartet, dass euer altes Plattenlabel "Jeepster" schließen würde?

Ja, ich habe das schon kommen sehen. Sieh mal, der Mann, der das Label Gegründet hat - und auch ein Freund von uns ist - hat das komplett privat finanziert. Er hat eine Familie und glaubte nicht mehr daran, dass er mit dem Label noch Geld machen würde. Ich dachte mir schon, dass er irgendwann aufhören würde, es zu finanzieren. Uns so war's dann auch.

Ihr seid dann zu Rough Trade gegangen. Hat der Vertrag bei einem größeren Label für euch etwas verändert?

Naja, kurz bevor wir den Vertrag unterschieben haben, haben wir mit Geoff Travis, dem Geschäftsführer von Rough Trade, geredet. Er sagte uns, er denke, wir hätten mehr Potenzial und wir könnten das noch besser machen, mehr Platten verkaufen, auch in anderen Zielgruppen. Wir haben dann mit ihm über ein paar Sachen in der Art gequatscht: Was passieren würde, wenn wir bei Rough Trade unterschrieben, wie viele Platten wir rausbringen würden, und wo wir touren würden. Wir haben bei vielen Sachen übereingestimmt. Er ist ein Typ, der der Band sehr viel Mut zuspricht. Eigentlich finde ich, dass es genau so weiter läuft, wie bisher. Wir schauen nur ein wenig mehr nach vorne als früher.

Wie kam es denn dann zur Zusammenarbeit mit dem Produzenten Trevor Horn (u.a. T.A.T.U., ABC)?

Für das letzte Album haben wir uns das erste Mal nach einem Produzenten umgeschaut. Wir hatten eine Liste von ungefähr vier Produzenten, mit denen wir arbeiten wollten. Aber keiner hatte Zeit, als wir aufnehmen wollten.

Wer war denn auf eurer Liste?

Ian Broudie von den Lightning Seeds, der schon ein paar Liverpool-Bands gemacht hat, ich weiß nicht mehr, wer die anderen waren. That's bad! Trevor Horn fiel uns erst später ein. Er rief uns an und sagte: 'Ich bin daran interessiert, mit euch zu arbeiten.' Wir dachten 'Jemand macht einen Telefonstreich, das ist ein Witz'. Er kam dann vorbei und er ist echt ein super Typ, wir kamen gut mit ihm aus und haben daraufhin beschlossen, mit ihm zu arbeiten.

Wie sehr hat er euer Album beeinflusst? Ihr habt euch ja schon verändert!

Ja, er hat uns wahrscheinlich schon sehr verändert. Ich denke aber, es sind vor allem die Facetten, die mit ihm gekommen sind. Er besitzt vier oder fünf Studios in der ganzen Welt. Eins in LA, zwei oder drei im UK, oder sonst wo. Da sind alles unglaublich faszinierende Studios, und in jedem arbeiten fünf oder sechs Leute die ganze Zeit mit ihm. Wenn du in so einem Studio bist, statt alles in einem Raum aufzunehmen, und es gibt wieder fünf oder sechs Studios in einem solchen Gebäude. Dann arbeitet einer in einem Raum an den Vocals, in einem anderen Raum wird an etwas anderem gearbeitet. Das ist wie eine Fabrik, und alles geht viel schneller. Diese Einrichtungen halfen bei der Arbeit am Album. Es ist sehr komisch, denn auf eine Art nahm er am Album teil, auf eine andere Art wiederum nicht. Auf der technischen Seite schon, aber mit den eigentlichen Songs und Arrangements, der künstlerische Seite hatte er kaum was zu tun. Ich denke, er dachte, die Songs bräuchten kaum noch Bearbeitung. Also hat er sich in der Hinsicht zurückgehalten.

Ihr seid ja ziemlich viele Musiker bei Belle And Sebastian. Wie läuft bei euch das Songwriting ab?

Das kommt drauf an, wer den Song geschrieben hat. Wenn jemand zu Hause den Song schreibt, und der schon vom Anfang bis zum Ende durchkomponiert ist, mit allen Melodien und so, dann arbeiten wir noch mal zusammen daran. Andere haben wieder nur eine sehr kleine Idee, und dann hilft jeder, daran zu schreiben. Es kommt darauf an, in welchem Zustand der Song der Band vorgespielt wird.

Jeder eurer Songs ist ja wie eine kleine Geschichte, wo kommen die Ideen dafür her? Ich weiß jetzt nicht, ob du da so genau Bescheid weißt!?

Ich denke, hm, Stuard macht das meist, die meisten Songs sind ohnehin von ihm. Er ist derjenige, mehr als Stevie und Sarah, der diese Mini-Stories hat. Ich weiß nicht, das entsteht wahrscheinlich aus dem, was er täglich erlebt. Und dann basiert es auf seiner Vorstellungskraft. Ich denke er läuft rum, sieht etwas und *bsching* 'ah, crazy', und schon ist die Geschichte da. Muss über seine Vorstellung vom B+S-Frontmann lachen.

War es eigentlich eure Idee, den "Catastrophe Waitress Contest" zu veranstalten, bei dem die schusseligste Kellnerin auf der Bühne gekürt wurde, oder war es die der Plattenfirma?

Das war wahrscheinlich das Label. Aber ich finde, das ist eine gute Idee. Wir hatten so was Ähnliches schon in Barcelona. Man konnte auf unserer Homepage einen Trip zu unserem Gig da gewinnen und uns dann treffen. Aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wer das war. Das ist ja schlimm! Lacht über sich selbst.

Ihr hattet ja auch mal eine Zeit, in der ihr euch sehr ausgebrannt gefühlt habt und nicht wusstet, ob ihr weiter machen wolltet ...

Stuard kommt rein, ruft ein paar Mal 'Scheiße', freut sich drüber, dass er auf deutsch fluchen kann und verlässt den Raum wieder.

Das war gleich nach "Fold Your Hands, Child...". Nach der Aufnahme von einem Album muss das Timing richtig sein, und alles muss auf eine bestimmte Art ablaufen, um die Albumverkäufe anzukurbeln. So bald das Album draußen ist, musst du überall hin, um es zu promoten. Stuard fühlte sich nicht so super und ein paar andere auch nicht. Es hat auch sehr lange gedauert, dieses Album fertig zu kriegen. Everybody's hands were a bit scrambled. Also sind wir nicht mit dem Album auf Tour gegangen, als es Zeit dafür war. So lief es nicht so gut, wie es hätte gehen sollen. Und ich denke, das war die letzte ordentliche Veröffentlichung auf Jeepster. Das untermauerte wahrscheinlich auch deren Entscheidung, aufzuhören. Ich denke, wir haben aber nicht darüber nachgedacht, aufzugeben. Wohl aber darüber, die Art wie wir arbeiteten komplett zu ändern. Vielleicht überhaupt nicht mehr zu touren und eine reine Studioband zu werden.

Das ist komisch, weil die meisten Bands sagen: 'Wir machen vor allem Musik, um auf Tour gehen zu können!'

Jaaaa! Dieses 'Jaaaa!' kling richtig euphorisch. Aber für uns war das nie so. Naja, jetzt schon, jetzt mögen wir es. Es macht Spaß. Aber die ersten drei oder vier Jahre, die die Band existierte, haben wir vielleicht drei oder vier Shows im Jahr gespielt. Wir haben nie das Bedürfnis dafür gesehen. Wir haben uns eher als Studioband gefühlt. Großartige Platten aufzunehmen war wichtiger, als Shows zu spielen. Aber jetzt ist es einfach, zu touren und so macht es Spaß. Jetzt ist es von beidem ein bisschen.

Viele von euch haben ja auch Seitenprojekte. Wie klappt das?

Das war nie ein Problem. Das ist auch viel weniger geworden, weil wir jetzt so mit B+S beschäftigt sind. Ich war mal in vier Bands oder so, und alle waren irgendwie in vielen Bands. Aber das hat uns nie wirklich gestört, weil wir so viel Zeit hatten. Wir spielten drei oder vier Shows im Jahr, das gibt dir ein bisschen Zeit dazwischen. Die Aufnahme von den Platten hat ja auch immer nur ca. drei Monate gedauert. Und wenn du Musiker bist, möchtest du spielen. Wenn du nicht spielen kannst, wirst du frustriert. Das hat Belle And Sebastian nie berührt, aber jetzt sind wir viel zu beschäftigt, um das zu tun. Das wäre unmöglich.

Vor ein Paar Jahren wurdet ihr im Playboy zur besten Band gekürt ...

Das stimmt. Das ist wirklich lustig. Aber ich habe leider nie eine richtige Einladung von Hugh Heffner bekommen. lacht Ich habe jeden Tag in meiner Post danach gesucht. Aber sie kam nicht. Es war crazy. Wir haben eine e-Mail von unserem amerikanischen Label bekommen, die uns mitteilte, das wir im Playboy zur "Band Of The Year" gewählt wurden. Wir freuten uns, wussten aber eigentlich gar nicht, was das denn nun zu bedeuten hatte. Ich erwartete, eingeladen zu werden, aber es passierte nie. Ich wollte gerne mal auf so eine Playboy-Party mit den Playboy-Bunnies und dem ganzen Kram. Dass wir für die Party spielen. Und die Leute nippen dazu an ihrem Champagner.

... und dann mit einem Bunny in den großen Pool.

Ja, vielleicht das nächste Mal.

Ihr wart auch bei Top Of The Pops. Habt ihr euch da fehlplatziert gefühlt?

Nein, das war großartig. Das habe ich schon als Kind immer geguckt, das gibt es ja schon ewig im Fernsehen. Als Kind ist TOTP gucken das Highlight der Woche, das vergisst du nie. Es war gut, weil wir Playback gespielt haben, wir hatten also nicht den Druck, unsere Instrumente wirklich spielen zu müssen. Also haben wir uns vorher ziemlich betrunken. Das war super.

Ihr seid auf der Bühne aber nicht durchgedreht oder so?

Doch: ein Typ, mit dem wir immer im Studio arbeiten. Der hatte ein sehr spezielles Kostüm. Einen Gorilla-Anzug. Mitten im Song kam er darin auf die Bühne, begann mit uns zu kämpfen und so. Das war super. lacht

Danke für's Interview und eine schöne Show heute Abend.

Während wir uns die Jacken anziehen, quatschen wir noch ein wenig weiter. Über die englische Presse, die von der Band nicht sehr geschätzt wird. Und darüber, wer das auf den frühen Belle And Sebastian-Bildern eigentlich wirklich war. Aufgrund eben der starken Abneigung gegen den ausgeprägten Boulevardjournalismus der englischen Musikpresse ließen sie sich damals zwar vom NME interviewen, verweigerten jedoch dem Fotografen des Blattes das Recht, eigene Bilder zu schießen. Statt dessen behaupteten sie, selber welche zu machen und nachzureichen. In echt jedoch zerrten sie einige Freunde vor die Linse, fotografierten diese und deklarierten die dabei entstandenen Bilder als offizielle Bandfotos. So kam es, dass immer nur diese auftauchten und keine von der echten Band. Auch heute haben sie den NME noch nicht lieb gewonnen. Das sei doch einfach nur "Yellow Press", also Boulevard, die den Künstlern ihre Zitate im Mund umdrehe.

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