18. Oktober 2013

"Deutschrap kann nicht sterben"

Interview geführt von

Casper gilt seit seinem großen Erfolg mit "XOXO" als Seiltänzer zwischen den Genres. Ist Casper nun Rap? Oder doch Indie? Mit seinem dritten Album "Hinterland" entzieht er sich nun elegant dieser müßigen Diskussion und misst sich selbst nach der feinen Englischen Art einfach an der Masse seiner Hörer. Pop-Musik zu machen ist nämlich nichts, wofür man sich schämen müsste.

Vielmehr: ist es nicht merkwürdig, dass ganz Deutschland die "Salonfähigkeit" des Rap feiert, die Massen jedes zweite Deutschrap-Release auf Platz eins der Charts katapultieren und sich dennoch jeder davor scheut, es als das anzuerkennen, was es - für den Moment zumindest - ist? Populäre Musik nämlich. Rap hat sich in den letzten Jahren von einer Vielzahl an Fesseln und Konventionen befreit, schuf sich durch Musiker wie Casper als Kunstform eine eigene Identität. Aber der Eitelkeit, sich selbst bei hohen Verkaufszahlen noch immer um den Begriff "Pop" zu winden, konnte er sich noch nicht erwehren. Pop ist das, wo keiner in Deutschland hin will, sich aber doch alle wohl fühlen. Zudem kann man schon zum zweiten Mal Deutschlands Nummer eins sein, zwischen den Genres jonglieren und dennoch aus tiefstem Herzen den Rapper in sich leben. Casper eben.

Donnerstag Nachmittag nach Veröffentlichung von Caspers drittem Album "Hinterland" in München. Casper gibt heute Abend im Rahmen seiner Radiotour ein ganz intimes Konzert in den EgoFM-Studios. Vor den Türen tummeln sich schon die ersten Groupies. Zwei kleine Mädchen um die vierzehn quatschen jeden an, der die Studios betritt oder verlässt, fragen nach Casper und lassen ihm ausrichten, dass sie heute Abend auf dem parallel stattfindenden Prinz Pi-Konzert seien und er möge doch nach seinem Auftritt da bitte noch vorbeikommen. Karten für Caspers Show konnten nämlich nur EgoFm-Hörer gewinnen. Die Kollegen waren aber so nett, zumindest uns für ein Interview einzulassen. Die Vorbereitungen für die Show über den Dächern Münchens laufen bereits, während wir mit Casper in einem Nebenraum auf einer roten Couch sitzen und uns die Herbstsonne durch die großen Glasfronten auf den Pelz scheinen lassen. Casper ist blass und wirkt etwas müde und abgeschafft.

Nehme ich dir jetzt deine wohlverdiente Ruhe vor dem Sturm?

Casper schüttelt müde den Kopf: Ich habe NIE Ruhe!

Cool aber, dass wir uns mal sehen! Wir haben das letzte Mal vor zwei Jahren miteinander telefoniert ...

... das war an dem Tag, als das Album in die Charts gegangen ist!

Genau. Da hast du gerade während unserem Telefonat erfahren, dass "XOXO" auf Platz 1 ging. Tut mir auch immer noch leid, dass ich dich da so lange vom Feiern abgehalten habe.

Ach - alles super! Alles gut!

Wie würdest du für dich zusammenfassen, was seitdem alles passiert ist?

Viel zu viel! Es ist ganz viel passiert. Da können wir wahrscheinlich tagelang reden. Aber gefühlt ist das alles in so 'nem Fingerschnips ... ein Wirbelwind an Ereignissen! Die Platte ist auf eins, wir haben Preise gewonnen, dann haben wir getourt und dann noch mal getourt, noch mal Preise gewonnen und noch mal getourt ... Ah! Und dann noch mal Festivals, neue Platte gemacht ... einfach irre.

Mit "XOXO" hast du gut vorgelegt. Wie groß war und ist denn der Erfolgsdruck, mit deinem nun dritten Album "Hinterland" da gleichzuziehen oder sogar noch einen drauf zusetzten?

Ich glaube, der Erfolgsdruck und die Erwartungshaltung ist von außen ganz anders, als bei uns selbst. Wir haben uns natürlich auch hingesetzt und überlegt, wie wir mit der Situation umgehen wollen. Ich hab das aber so gesehen: "XOXO" ist ein abgeschlossenes Projekt. Das ist eine Platte, die gibt es und die ist sehr gut geworden, bedeutet einigen Leuten, glaube ich, auch was. Aber wenn ich da jetzt wirtschaftlichen oder künstlerischen Erfolgsdruck dran knüpfen würde, würde ich, glaube ich, wahnsinnig werden. Daher habe ich das für mich so definiert: hier war "XOXO" - Stop - Reset - noch mal von vorne - und dann haben wir die neue Platte gemacht. Ich glaube man darf das nicht als Schritt eins, Schritt zwei, Schritt drei sehen, sondern als Schritt 1 - Stop - Schritt 1 - Stop - Schritt 1 ... sonst wäre das wohl alles nicht möglich.

Du hast im Sommer einen Aufritt hinter dich gebracht, der dir schwer im Magen lag: nämlich den als Headliner auf dem Splash!. Und ja ich weiß: du hast das schon x-tausendmal durchgekaut ...

Lacht. Nein, du bist die Allererste!

Erzähl doch vielleicht trotzdem nochmal kurz wie das damals für dich war, als du als Headliner angekündigt wurdest und das ganze Splash! gebuht hat.

Ich glaube, die Reaktion der Leute und die Buhrufe hingen überhaupt nicht an meiner Person. Ich glaube vielmehr, das wurde alles etwas falsch aufgezogen. Den Leuten wurde gesagt: Ey, kuckt euch Mac Miller an, kuckt euch Wiz Khalifa an und dann kündigen wir den großen Headliner für nächstes Jahr an! Die Leute haben sich stundenlang heiß geredet nach dem Motto: Boah, das ist bestimmt Eminem! Ah, das ist Kanye West! Bestimmt kommt der Drake! Bestimmt dies! Bestimmt das! Dann war der Headliner am Sonntag vorbei und es kam die Ansage: Und jetzt kommt der große Headliner! Domdomdom ... (Casper imitiert den Trommelwirbel) Und dann kam auf der Leinwand mein Gesicht. Ich habe geredet, aber der Ton war aus! Vielleicht waren Leute dabei, die gesagt haben: Ach den Casper finden wir scheiße! Vielleicht haben aber die Leute auch gebuht, weil die Technik nicht funktioniert hat - ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war es ein extrem zermürbender Moment. Wenn man sieht, da stehen so achttausend Leute und es heißt: 'Alle haben gebuht', meint man ja meistens nur so zweitausend. Aber es haben wirklich ALLE gebuht. Lacht. Das war das lauteste Buhen, das ich je in meinem Leben gehört habe! Man muss dem Splash! wirklich hoch anrechnen, dass sie sich davon nicht haben beeindrucken lassen. Die haben keinen Rückzieher gemacht.

Aber ihr hattet doch mal kurz überlegt, einen zu machen, oder?

Wir nicht. ICH habe Sorgen beim Management angemeldet. Aber die haben gesagt: 'Auf gar keinen Fall, das ziehen wir jetzt durch! Und wenn es kacke wird, dann wird es epochal kacke. Wenn, dann sollen fünf Millionen Becher fliegen.' Die haben immer wieder gesagt, das wird super. Aber ich habe immer wieder gedacht: Oh Gott, ich war ja da! Ich habe die Reaktion der Leute ja gesehen. Aber: es war ein extrem großartiger Auftritt!

Ja - war toll. Ich hab's gesehen.

Warst du da?

Ja. Sogar die Jungs haben alle geheult.

Ich war noch nie in meinem Leben so nervös wie an diesem Tag! Wir hatten ja nur die Reaktion der Leute vom Jahr davor und dann steht man da drei Stunden vor der Show und hat keine Ahnung, womit man zu rechnen hat.

"Cro ist auch cooler Pop!"

Du hast dich trotz des riesen Erfolgs von "XOXO" zu einem bestimmten Zeitpunkt sowohl aus der Indie- wie auch der Rapszene ausgeschlossen gefühlt. Deinen Frieden hast du nach eigenen Worten nun damit gefunden, dich selbst einfach als "Popstar" zu definieren?

Ja, aber das ist ja auch so! Ich glaube auch nicht, dass die Leute wirklich genervt waren oder mich richtig "scheiße" fanden. Das wird von der Journalie auch etwas heißer geschrieben als es ist. Ich glaube einfach, dass ich eine krasse Überpräsenz hatte. Egal welche Zeitschrift du aufgeschlagen hast, egal welchen Sender du angemacht hast, egal mit wem du geredet hast: überall war das Thema. Wenn etwas so gehypt wird, dann bin ich auch irgendwann voll. Alle zwei Jahre gibt's ja so eine Band.

Aber du selbst hattest für dich doch den Eindruck, in beiden Szenen vom Publikum nicht mehr wirklich angenommen zu werden - zumindest kam das in einigen Interviews so rüber.

Ich glaube, das wurde ein bisschen falsch zitiert. Was ich meinte, war: ich brauche nicht total künstlich so 'ne "quirkiness" in meine Musik reinbringen, denn ich mache mittlerweile für eine große Masse Musik. Ich hätte an das neue Album mit der Intention rangehen können: wir machen jetzt eine Folkplatte mit Rapansätzen und dann machen wir da noch ein bisschen Neues und hier noch ein bisschen das ... Aber nee: warum denn? Wir brauchen doch nicht versuchen, Leuten zu gefallen, die es eh aus Prinzip kacke finden müssen. So war das gemeint. Wenn jemand den coolen Untergrundblog liest, den nur 30 Leute lesen und der immer den heißesten Scheiß schon vier Jahre vorher am Start hat - der wird das eh nicht hören. Der findet das schon kacke. Da braucht man nicht künstlich versuchen, irgendwelchen Leuten zu gefallen, die das eh nicht hören. Wir wollten nur noch uns selber gefallen. So war das gemeint.

Und siehst du dich nun selber inzwischen als "Popstar"?

Ich finde "Pop" ist in Deutschland ein ganz schlimm vorbelasteter Begriff.

Stimmt.

Sobald der Begriff "Pop" fällt, denkt jeder - knack - Schlager! Und das stimmt halt einfach nicht. Da gab's so ein Interview - ich weiß nicht mehr, wo ich das gesehen habe. Da hat sich so ein Mädchen mit Dan von Bastille unterhalten und meinte so: 'Hey, ihr seid ja 'ne coole Band. Ihr macht ja so Lo-Fi-Indie.' Und dann kuckt er sie so an und meint: 'Wir machen Pop. Wir sind 'ne Popband.' Da war sie ganz erschrocken und meinte: 'Neiiin! Sag doch sowas nicht!' Und er meinte nur: 'Doch! Wir sind 'ne Popband.' Das finde ich z.B. in England so großartig. Dort kann gute Musik auch einfach Pop sein. Bastille ist Pop, Frank Turner ist wahrscheinlich auch irgendwie Pop. Das ist einfach Popmusik und die haben das für sich begriffen. Ich finde auch, Cro ist cooler Pop! Und ganz viele andere Leute machen gute Popmusik. Ob das jetzt aus dem Rap kommt oder aus dem Indie: es ist einfach populäre Musik, die von mehr als zwölf Leuten gehört wird.

Meinst du denn, du hast deinen Platz auf dem Juice Cover trotzdem nach wie vor zu recht inne?

Ein sehr bestimmtes: Ja. Wenn ich jetzt wieder eine Rapplatte mache eh.

Ja, du machst gerade wieder eine Rapplatte. Aber auch eine Hardcoreplatte, oder?

Ja, aber das ist so eine Sache, die in einer Woche entstanden ist und schon fertig. Ein Kumpel hat ein paar Gitarren eingespielt und ein paar Drums und ich fand's voll geil, habe aber keine Zeit mehr, mit einer Band zu proben. Und da meinte er: 'Brauchst du doch nicht. Das ist ja fertig. Schreib einfach ein paar Texte drauf. Dann können wir das rausbringen und nie wird jemand erfahren, wer da dahinter war.' Es wird ab bald eine Hardcore-Platte kursieren, auf der weder mein Name steht, noch wird sie über meinen Namen beworben. Die ist einfach da.

Wird man aber wahrscheinlich hören, dass du das bist oder nicht?

Nee! Das klingt ganz tief und böse!

Gelächter.

Ich habe immer so eine Art, wenn ich eine Platte mache, dann denk ich: boah, wenn das jetzt fertig ist, dann mach ich drei Wochen nichts! Dann habe ich die Platte endlich abgegeben, sie wurde gemischt und gemastert und dann gingen sofort die Interviews los. Ich mache ja jetzt seit zweieinhalb Monaten nur Interviews den ganzen Tag. Und die Platte, die jetzt am Freitag rausgekommen ist, ist für mich ja schon fast ein halbes Jahr alt. Jetzt nach der Oktobertour könnte ich eigentlich mal kurz Urlaub machen, aber ich bin die ganze Zeit schon wieder am machen. Aber wann die Rapplatte kommt ... ? Ich möchte das auch noch nicht zu sehr anhypen. Das ist, was ich gerade mache, aber wann, wie, wo kann ich noch nicht sagen. Casper blitzelt in die Sonne. In München ist es immer so sonnig. Gestern in Magdeburg haben wir noch gefroren. Und morgen fahren wir dann nach Baden Baden.

Das schöne Baden Baden ...

Lacht. Aber das ist ja echt krass - dann habe ich mit dir telefoniert damals, als ...

... alle Leute bei dir schon vor der Tür standen und mit dir feiern wollten.

Das war krass. Die Leute standen ja schon alle im Raum und ich hab am Telefon noch versucht zu überlegen und die Fragen zu beantworten. Mein Handy ist dann ja auch so explodiert!

Ja, das hast du damals noch kommentiert - hast du das Interview mal gelesen?

Ja - ich hab das tatsächlich noch mal gelesen. Ich habe dann versucht, die Fragen noch weiter zu beantworten und mein Handy ging die ganze Zeit. Ich hatte zwischendurch dann auch mal so 57 ungelesene Nachrichten.

Hab dich ne ganze Weile vom Schnapstrinken abgehalten ...

Montag bin ich ja bei 1Live, wenn die Charts kommen. Es hört nicht auf!

Rechnest du denn wieder mit Platz eins?

Ich rechne da nicht mit und ich will da auch kein Unglück drüber bringen. Aber entgegen der gespaltenen Meinung, wie die Platte aufgenommen wird, läuft sie sehr, sehr gut. Ich bin sehr zufrieden und glücklich gerade.

"Leute wie Haftbefehl prägen die deutsche Sprache."

Was ist Hip Hop denn eigentlich für dich? Ein Lebensgefühl? Eine Haltung? Oder schlicht deine Kunstform, mit der du dich ausdrückst?

Hip Hop ist für mich ein sehr, sehr großer Teil meines Lebens. Auch wenn man das jetzt vielleicht nicht glaubt und Kids mich erst seit der "XOXO"-Platte kennen. Ich bin mit Hip Hop aufgewachsen, ich rede den ganzen Tag über Hip Hop und wenn ich mit meinen Freunden zusammensitze, dann hören wir Hip Hop und reden nur über Hip Hop und über andere Hip Hop-Leute. Mein gesamter Freundeskreis besteht eigentlich fast nur daraus. Das ist schon ein großer Teil meines Lebens, aber ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine Lebenseinstellung oder eine geistige Haltung für mich ist. Es ist einfach eine Kultur, in die ich mich sehr früh verliebt habe, von der ich mir aber immer gewünscht habe, dass es eine weitreichendere Kultur wäre - was sie jetzt auch endlich ist. Jetzt kann man mal was mit Elektro machen oder mit Rock oder hiermit und damit.

Hier in Deutschland giltst du ja zusammen mit Marteria als einer der Vorreiter dieser "progressiven" Form von Deutschrap.

Der zweiten Welle.

Der zweiten Welle, ja. Wie bewertest du denn die Welle, wie ernst nimmst du sie und wie groß siehst du selber deinen Anteil daran?

Naja - alle reden ja immer davon: wann platzt die Blase? Die muss doch irgendwann wieder platzen! Aber ich glaube, dass es nicht noch mal wie 2001/2002 werden kann. Meine erste Deutschrapplatte war die "Sport EP" von EinsZwo. Ich bin also quasi die zweite Generation. Aber dann gibt's ja noch eine Generation danach, deren erste Rapplatte dann vielleicht die Dynamite Deluxe war. Und dann gibt's danach noch mal eine Generation, deren erste Rapplatte war vielleicht Kollegah. Und dann gibt es noch mal eine Generation danach, deren erste Rapplatte war vielleicht die "XOXO" und dann noch eine danach, deren erste Rapplatte war vielleicht "Raop" von Cro. Das heißt, die Leute, die ganz am Anfang Musik gemacht haben und die ich gehört habe, besetzen inzwischen Jobs in der Medienbranche. Leute, mit denen ich selber angefangen habe, Musik zu machen, machen inzwischen keine Musik mehr, sondern arbeiten inzwischen als LMA oder Produktmanager oder sind Journalisten für Zeitungen - für die Süddeutsche oder auch für die Juice oder andere - oder machen was im Fernsehen als Redakteur. Mittlerweile besetzen die ganzen Leute, die früher Hip Hop gehört haben, ihre Plätze.

Die ganze Branche ist also infiziert.

Die Kultur hat inzwischen einfach so eine Tiefe, dass sie gar nicht mehr platzen kann. Mit gemeinsamen Kräften - ich würde sagen Marteria, Cro und ich - hat jeder von einer Ecke was mitgenommen. Cro hat vielleicht den Pop mehr mit reingezogen, ich vielleicht den Indie, Marten vielleicht mehr diese beatlastigen Leute. Aber alle, die das hören, sind jetzt von elf bis Anfang vierzig (das sind dann Leute, die Mitte zwanzig waren, als die Beginner Platte rauskam). Auch Leute wie Haftbefehl prägen inzwischen die deutsche Sprache ein Stück weit. "Chabos wissen, wer der Babo ist." - das sagen Leute, die mit Hip Hop nichts zu tun haben. Ich glaube einfach, dass Hip Hop mittlerweile so ein fester Teil ist, dass dieser Hype zwar vielleicht weniger wird und nicht mehr absolut jede Deutschrapveröffentlichung auf eins geht - vielleicht nächstes Jahr noch und übernächstes - aber ich glaube, dass es sich mittlerweile festgebissen hat. Ich finde eigentlich eher krass, wie die Punkkultur zurückgegangen ist! Aber vom Deutschrap glaube ich nicht, dass der noch mal so sterben kann. Es gab ja immer diesen Wechsel: harte Musik, dann kamen die Studenten und die Harten waren ganz unten, und dann kam Aggro Berlin und keiner wollte mehr weiche Musik hören, sondern nur hart, hart, hart und dann wurde es wieder weich weich weich. Aber jetzt ist dieser Hip Hop-Baum so weitläufig, dass sich da jeder ein bisschen was von rausziehen kann.

Jetzt noch mal zu "Hinterland": das gesamte Artwork ist durch die Szenerie der Taufe ja sehr spirituell aufgeladen. Welche Rolle spielt Religion für dich?

Ich bin nicht religiös. Eher andersrum: die Rolle, die Religion in meinem Leben spielt, ist die, dass sie absolut keine Rolle spielt.

Muss ja gar nicht religiös im kirchlichen Sinne sein. Keinerlei spirituelle Neigungen?

Ich glaube schon an gewisse übersinnliche Dinge, aber ich glaube nicht an einen unsichtbaren Mann über den Wolken, der alles sieht, was wir tun. Und wenn wir böse sind, dann überflutet er die Erde, rettet aber noch zwei Tiere von jeder Art. Aber er hat uns alle lieb! Und wenn wir lieb sind, fahren wir nach oben und wenn nicht, dann gibt es einen Ort, an dem Feuer ist und ein Ziegenmann mit einem Dreizack! Also das glaube ich alles irgendwie nicht. Ich glaube schon, dass es gewisse Dinge gibt, die größer sind als wir, ich möchte es nicht beziffern, aber ich glaube nicht an ein spezifisches Oben und Unten.

Das Cover sowie die Videos zu den ersten beiden Singles entstanden ja in Amerika, in Mississippi, der Heimat deines Vaters. Du selbst bist in Amerika aufgewachsen. Welche Rolle spielt dieses Land denn noch für dich? Kannst du dir vorstellen, dort auch irgendwann wieder zu leben?

Es spielt schon eine sehr große Rolle für mich, indem ich finde, dass sehr viel aus Amerika meine Heimat ist. Es zieht mich auch extrem dort hin. Ich bin ein, zwei, drei Mal im Jahr - je nachdem wie ich Zeit habe - dort und besuche meinen Vater. Ich bin auch gern in L.A., da ich da gute Freunde habe, aber ich weiß nicht, ob leben dort so der Ansatz ist. Es ist schon eine ausgeprägte "Friss oder stirb"-Mentalität dort. Ich würde schon gerne, aber das Drumrum, dieses fehlende soziale Netz usw. - das schreckt mich schon sehr ab. Ich glaube, da bin ich dann schon doch mehr Europäer als ich mir selber eingestehe.

Wohnst du eigentlich inzwischen wieder in Berlin? Für die Albumproduktion mit Markus Ganter und Konstantin Gropper bist du ja zwischenzeitlich nach Mannheim gezogen.

Ja, in meiner WG! Wieder in Berlin.

Vor deinem Erfolg mit "XOXO" hast du dich selbst immer als "struggelnden Künstler" bezeichnet. In unserem Telefonat hattest du das so definiert, dass du immer den Weg des größten Widerstandes wählst. Hast du diese Herangehensweise trotz Erfolg noch immer verinnerlicht? Oder hat sich hier etwas in dir verändert?

Ich glaube, das läuft unterbewusst bei mir. Ich habe mit "Hinterland" jetzt ja auch wieder den schwerst möglichen Weg gewählt. Ich hätte auch einfach die letzte Platte wiederholen, alle pleasen und den Erfolg maximieren können. Aber dann haben wir uns überlegt, doch was ganz anderes zu machen. Das finden jetzt die wieder kacke und die wieder gut und das Gerede ist auf jeden Fall wieder groß.

Und wie gerne würdest du eigentlich wirklich mal eine Stadt abbrennen?

Casper schweigt lange: ... ich überleg grad ... wieder Schweigen ... nee, eigentlich nich! Eigentlich ist es 'ne Metapher. Ich habe gerade überlegt, ob ich was Hochbrisantes auspacke, hab mich aber dagegen entschieden. Gelächter.

Verdammt! Schade.

Ja? Nächstes Mal! Versprochen!

Und wofür steht die Metapher für dich?

Neubeginn! Sich gegen Sicherheit entscheiden! Einfach leben! Abenteuer erleben! Rausgehen! Sich seine Träume erfüllen! Sich neue Ziele stecken! Sich nicht immer an so 'nem Alltagskram festhalten! Denn hätte ich alles gemacht, was mir alle gesagt haben, weil mein Traum angeblich nicht funktionieren würde, dann würde ich jetzt nicht hier mit dir sitzen. Dann wäre ich irgendwo Bürokaufmann - und das wollte ich nie.

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