5. März 2012
"Wir haben das Rentnerdasein schon ausprobiert"
Interview geführt von Christoph DornerEs ist noch Kuchen da. Am Vortag hat Maurice Summens Tochter Geburtstag gefeiert. Der Zauberer kam um 3, um 6 waren die Kinder durch dessen Taschenspielertricks und die Süßigkeiten von Mutters Gnaden dermaßen aufgekratzt, dass sie von ihren Eltern kaum mehr einzufangen waren, berichtet Summen vergnügt, ehe er sich in ein abgewetztes Ledersofa in der heruntergerockten Küche des Staatsakt-Büros im Prenzlauer Berg plumpsen lässt. "Die Türen kann es mit dieser Platte nur in Berlin geben", sagt er. Er meint das vierte Album mit dem Titel, über den noch zu reden sein wird: "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ"."Ich will in die große Stadt, ich hab die kleine satt / ich werd mal ne ganz große Nummer werden", hat der gebürtige Münsterländer Summen 2007 ganz euphoriebesoffen gesungen, dabei war "Indie Stadt" vom dritten Türen-Album "Popo" (das mit dem Aldi-Nord-Cover) aus Sicht der Band eine heillos verspätete Landflucht-Hymne.
Summen lebt mittlerweile seit zehn Jahren in Berlin, nahezu genauso lange gibt es Die Türen und Staatsakt. Nach dem Rhythmus der Großstadt ist das schon eine halbe Ewigkeit. Er ist mittlerweile fest ist seinem Kiez verwurzelt und pflegt ein geradezu dörfliches Verhältnis zu seinen Nachbarn, sagt Summen zurückgelehnt und wirkt zufrieden.
Kein Spott und auch keine bösen Worte über den Prenzlauer Berg, wie sie Christiane Rösinger, auch bei Staatsakt, in ihrer Lied gewordenen Hauptstadt-Tirade aus dem Jahr 2010 formuliert hat: "Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen, und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen, wenn der Service hinkt und nach Babykotze stinkt, ja dann sind wir wieder in Berlin". Bei Rösinger war ganz offensichtlich noch nie der Zauberer da.
Erst kürzlich ist - nur gut einen Kilometer vom Staatsakt-Büro entfernt - die Clubkultur in dem vermeintlich so beispiellos durchgentrifizierten Bezirk symbolisch zu Grabe getragen worden. Der bitterböse Slogan dazu: "Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, der letzte Klub abgerissen, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg die Kleinstadt geworden ist, aus der ihr mal geflohen seid". Für den Meta-Revoluzzer Summen wird es vor der eigenen Haustür, direkt drin im Klischee von der popkulturell befreiten Zone, nicht ärgerlich, sondern wohl erst richtig spannend.
Die Verdrängungsmechanismen der Stadt sind für Die Türen jedenfalls kein Grund zum großen Lamento, sondern scheinbar eher ein Anreiz für feine politische Subversion und doppelte bis dreifache Ironiebrechungen. Für den Videodreh zum Song "Rentner und Studenten", der sich auf dem Album als hippieske Rocksession auf elf Minuten zerdehnt, hat die Band eigens eine Demonstration "für mehr Freizeit" angemeldet. Mit unbeschriebenen Protestschildern, weißen Laken und Flugblättern und eben jener Dada-Parole "Rentner und Studenten" ist sie durch die Straßen gezogen. Klar, dass so viel leere Dialektik ein gut situiertes, informationshöhriges Neobürgertum an einem schönen Herbsttag bis aufs Blut reizen kann.
Dabei sei das weder Satire noch eine Verballhornung demokratischer Errungschaften, sondern eine ernsthafte politische Meinungsäußerung gewesen - darauf besteht Summen: "Wann hat man denn das letzte Mal in unserer Gesellschaft für weniger Arbeitszeit und mehr Freizeit demonstriert? In den 80er-Jahren".
Ginge es nach Summen, müsste nach einer Dekade der digitalen Beschleunigung und ständigen Selbstoptimierung gleichsam eine Rückbesinnung auf die rebellische Pose einer Band wie Ton Steine Scherben und das Slackertum der 90er-Jahre erfolgen: "Wo ist die Zeit für die totale Kontemplation geblieben? Die Zeit für Kultur, Zeit für ein Buch, das Treffen mit Freunden? Als wir Studenten waren, konnten wir das alles noch tun. Unser späteres Rentnerdasein haben wir wenigstens schon einmal ausprobiert".
"Wir wollten nie eine Kunstband sein"
Wenn Summen schon mal bei gemütlicher linker Zeitgeistkritik ankommt, ist der Würgegriff der digitalen Krake ein gutes Thema: "Vom Internet als anarchistischem Raum ist doch nichts mehr übrig geblieben. Gerade in Bezug auf Facebook müssten man auch mal aufpassen, dass diese Marke nicht immer weiter in unser Privatleben und den allgemeinen Sprachgebrauch eindringt. Dadurch steigt der soziale Druck zur Arbeit an sich selbst doch immer weiter".Auch über dieses Unbehagen hat Summen mit seinen Bandkollegen einen diametralen Rockschlager geschrieben, der seine Kraftwerk-Referenz und damit die unbedingte Technophilie des Jahres 1978 auf den Kopf stellt: "Nevermind die Mensch-Maschine, hier kommt die Suchmaschine / Sie kennt den Unterschied, der den Unterschied macht / Sie erfindet sich selbst / Don't Google Yourself".
Summen sinkt noch etwas tiefer in das Sofa ein und schiebt sein Resthaar auf dem Kopf herum. Humor hatten Die Türen ja immer. Dieser Tage beschäftige ihn wieder die Frage nach Möglichkeiten von Widerstand, sagt Summen. In "Dieses Lied", einer auf den ersten Blick pubertären wie funkigen Postpunk-Polemik, geht es ihm um eine Identitätsfindung durch eine möglichst universale Negation der Welt.
Eine Zeile wie "Dieses Lied braucht dich" richtet sich so auch gegen die soziale Mechanik des Facebook-Daumens. "Wir sind heute müde geworden, überhaupt noch gegen irgendetwas zu sein, um uns abzugrenzen", sagt Summen und erzählt etwas wehmütig aus seiner Punkrock-Jugend im Münsterland, in der man in nächtlichen Runden über die beste Gesellschaftsordnung gestritten hat. Heute seien all die Freunde von damals in einer geschäftigen Bürgerlichkeit angekommen. Die Revolution hat man still und heimlich abgesagt.
Summen geht es da nicht recht viel anders: Er betreibt mit Staatsakt ein hoch angesehenes Indie-Label, das den Pop dank der rabaukigen Zirkustruppe Bonaparte und den österreichischen Dandys Ja, Panik (deren Sänger Andreas Spechtl spielt nun auch bei den Türen Gitarre) zuletzt mit einer physischen und einer popgeschichtlichen Seite in die Zange genommen hatte. Für das Feuilleton der Berliner Zeitung schreibt er zudem recht erheiternde Beiträge über seine Treffen mit ergrauten Pop-Monolithen wie den Amigos, Dieter Thomas Heck oder Rosenstolz.
Der zuständige Redakteur habe einen regelrechten Sportsgeist darin entwickelt, ihn auf uncoole Massenphänomene anzusetzen, um möglichst viel Reibung bei den Zeitungslesern zu erzeugen, erzählt Summen. Dabei kann man auch bei den Türen Spuren von Unterhaltungsmusik mit Hang zu einfachen Lösungen heraushören. "Wir wollten nie eine Kunstband für Soziologie-Studenten mit Spex-Abo sein", auch das ist Summen wichtig.
Der Charme der Türen beruht weithin auf dem Spiel mit Mehrdeutigkeiten. "Wir sitzen alle in demselben schwarz-gelben Unterseeboot", singen Die Türen im vielleicht besten Song des Albums, meinen natürlich die Tiefseetaucher Merkel, Seehofer und Rösler und klingen dabei so ein bischen wie die gröhlenden Beatles. Und statt eines Mindestlohns will Summen lieber Mindestliebe. Politik (ohne politische Vereinnahmung) und Romantik, Punk und NDW – Die Türen wandeln auch auf ihrem vierten Album konsequent inkonsequent auf den Schlangenlinien von Autodidakten wie Andreas Dorau und Rocko Schamoni.
Ein Song wie "Pop ist tot" kann so auch kein trauriger Abgesang auf die Popkultur sein. Ihn habe verwundert, wie Pop im Feuilleton von Kritikern wie Diedrich Diederichsen in regelmäßigen Abständen zu Grabe getragen wird, sagt Summen. War nicht Lady Gaga zuletzt aus dem Nichts aufgetaucht – und schon war dieses Hintergrundrauschen des Pop plötzlich wieder da? Wer heute abseits all der digitalen Abziehbilder nach authentischen Inhalten und einer inneren Haltung suche, der findet sie im Hip Hop. Sagt Summen, der Rocker.
"Fuck You - Ach, nein, geht ja nicht"
So richtet sich das Stück vor allem auch gegen das endlose Gejammere innerhalb der Musikbranche: "Böse Menschen kaufen keine Lieder, sie laden nur danieder", singt Summen in einem Refrain, der doch eigentlich nur die Sprachregelung der Industrie nachäfft. Interessanterweise untergraben zeitgleich auch Deichkind mit ihrem Song "Illegale Fans" das bröckelnde Stigma vom bösen, bösen Downloader. Summen gefällt diese neue Zielgruppenansprache, weil auch hier Protest aufschimmert: "Am radikalsten ist heute wohl tatsächlich der illegale Fan, der unter dem Schutz der Eltern – auf die läuft ja der DSL-Vertrag – Urheberrechtsverletzungen begeht".Der Kuchen ist gegessen. Summen hat in einer Stunde in der Staatsakt-Küche im Prenzlauer Berg viel gesagt, eine Sache muss er aber noch erklären - das Alphabet als Albumtitel. Auch der ist natürlich wie schon die leeren Demonstrationsplakate eine kreative Anti-Pose. Gleichwohl haben Die Türen den Titel auch in ein gestalterisches Konzept eingebettet, das es in sich hat. Denn "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ" kommt als 'weißes Album' mit einem Stickerset im Inneren, das neben den 26 Buchstaben des Alphabets auch popkulturelle Icons von Velvet Underground über die Rolling Stones bis hin zu Facebook enthält.
Die Albumhülle wird so individualisierbar, das auf dem Tonträger sind dennoch unverkennbar Die Türen. Und auch für die anstehende Tour im Frühling hat sich die Band etwas ausgedacht. Die Clubbetreiber werden im Vorfeld mit einem Posterset mit jeweils einem Buchstaben des Alphabets beliefert. Die örtlichen Plakatierer können ihrer Kreativität beim Kleben der Konzerthinweise dann freien Lauf lassen. "Sie können zum Beispiel 'Fuck You' plakatieren", sagt Summen triumphal, ehe er den Fehler selbst bemerkt: "Ach, nein, geht ja nicht".
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