21. April 2005

"Die müssen warten bis ich sterbe"

Interview geführt von

Die Eels sind eine der ersten Bands, die auf dem Mitte der Neunziger neu gegründeten Label Dreamworks Records unterkommen. Ihr Debüt "Beautiful Freak" geht mehr als eine Million Mal über die Ladentische und begeistert Fans wie Kritiker gleichermaßen - sicherlich auch, weil die Art der Popmusik, wie sie die Eels machen, ziemlich einzigartig ist. Nun erscheint bereits das sechste Studioalbum; aus diesem Anlass sprach laut.de mit Mark Oliver Everett, kurz 'E' - dem Kopf der Band.

Als ich dein neues Album das erste Mal durchhörte, war ich ein wenig enttäuscht: Ich konnte keine Struktur erkennen. Die Songs schienen nicht zusammen zu passen. Ich frage mich, ob du ein Konzept bei der Zusammenstellung der Songs verfolgt hast?

E: Hast du es dir denn danach noch mal angehört?

Ja, und es wurde besser. Aber ich denke: Da sind gute Songs, aber die Reihenfolge macht für mich einfach keinen Sinn.

Für mich macht es sehr viel Sinn. Das ist etwas, an dem ich seit Jahren gearbeitet habe. Ich denke, dass die Dinge, die kreiert wurden, um zu bleiben, sich nicht sofort erschließen müssen. Da braucht es eine Weile. Bei Sachen, die ich gerne mag, war es bei mir auch oft so: Am Anfang haben sie mich schnell ermüdet. Also habe ich versucht, etwas zu machen, das ein wenig braucht, bis der Hörer drin ist. Aber wenn du mal reingekommen bist, hält es auch länger.

Hattest du denn ein Thema zur Reihenfolge der Stücke im Kopf? Denn: Schaut man auf die Lyrics, so kann man eine Geschichte vom Beginn eines Lebens bis zum Ende erkennen.

Ja, im Grunde versuche ich, das Leben zu reflektieren. All die verschiedenen Sachen, die man in einem Leben erfahren kann.

Das Album stellt ja eine Kollektion von Songs seit 1997 dar ...

Das meiste habe ich letztes Jahr aufgenommen. Fast alles. Nur kleine Teile habe ich schon in früheren Jahren geschrieben. Ich habe die ganze Zeit versucht, dieses "Blinking Lights"-Album zu machen. It kept changing. So wie es jetzt raus kommt, stammt nur noch ein kleiner Teil aus früheren Jahren.

Hattest du also alte Songs, die du über die Jahre verändert hast?

E wirkt nun sehr aufgeregt. Er mag es nicht, wenn man nicht sofort versteht, was er meint. Er hat wohl einfach Angst, missverstanden zu werden. Der älteste Song ist wohl "Blinking Lights". Der sollte eigentlich mal in einem Wim Wenders-Film gespielt werden, der dann doch nicht produziert wurde. Das brachte mich auf die Idee, ein "Blinking Lights"-Album zu machen. Es sollte eine einfache CD sein, auf dem alle Songs von Orchester begleitet werden. Ich habe es auch gemacht, aber nicht gemocht. Ich habe die Idee, was für ein Album das werden könnte, mit den Jahren immer wieder überdacht. Erst als ich beschloss, dass es ein Doppelalbum werden soll, machte es klick und ich konnte loslegen.

Warum ein Doppelalbum?

Ich bin keiner von den Typen, die denken, dass alles, was sie schreiben, großartig ist und raus kommen sollte. Ich denke, viele Leute bringen Doppelalben raus, weil sie so viele Songs geschrieben haben, also soll das auch rauskommen. Aber das, was man hier hören kann, ist nicht Mal die Hälfte von dem, was ich gemacht habe. Also ist das schon die kleinere Version. Ich hätte auch ein 4-CD-Album rausbringen können.

Ich war eigentlich immer gegen die Idee von Doppel-Alben. Aber ich habe gefühlt, dass das nur funktionieren kann, wenn ich das Ganze ausweite. Wenn ich dem ganze Raum zum Atmen gebe, ein paar instrumentelle Parts zwischen die Songs packe. Da hat es Klick gemacht. Es mussten zwei Teile sein.

Du siehst die zwei CDs aber nicht als zwei unterschiedliche Sachen, die im Gegensatz zueinander stehen, oder so?

Nein, nicht wirklich. Viele Leute bringen heute Doppel-Alben raus, wo dann eine CD die Rock-CD und eine die Akustik-CD ist. Bei mir ist alles ein Ding. Aber es ist nicht so gedacht, dass da zwei unterschiedliche Stile oder so zu finden sind.

Für dieses Album hast du dich wieder im Keller verkrochen. Den Output davor hast du ja mit Band aufgenommen. Was hat dich dazu bewogen, diesen Schritt zurück zu gehen?

Das letzte Album - "Shootenanny!" - war eine Reaktion darauf, wie schwer es war, dieses Album aufzunehmen. Ich habe mit einem Orchester an einigen dieser Songs gearbeitet. Es war so nervig und langweilig. Überhaupt kein Spaß. Ich habe mich so danach gesehnt, mir eine elektrische Gitarre umzuhängen und mit einer Band loszuspielen.

Ich habe das dann einfach abgeblasen und begann, "Shootenanny!" aufzunehmen. Es hat sich als clevere Sache herausgestellt. Ich habe einfach eine Pause gebraucht. Und als ich damit fertig war, die ganzen "Shootenanny!"-Konzerte zu spielen, habe ich mich danach gesehnt, wieder an "Blinking Lights" arbeiten zu können. Ich war wirklich erfrischt von dem, was ich eingeschoben hab. Ich empfehle jedem, der gerade Probleme mit der Arbeit an seinem Album hat, einfach ein anderes aufzunehmen. Wenn du dir diesen Luxus leisten kannst.

Nachdem du die "Shootenanny"-Sache durchgezogen hast, erschien dir das "Blinking Lights"-Projekt also nicht mehr langweilig?

Nein, ich hab mich wieder dran gesetzt and I was dying to do it. Ich habe geschaut, was ich bis zu dem Moment hatte und ich hatte eine Menge Ideen, was ich damit anstellen könnte. Es gab noch eine andere Sache, die sehr clever war. Wir haben die Aufnahmen so eingeteilt, dass wir 2004 immer zwei Wochen aufgenommen haben und dann wieder zwei Wochen Pause hatten. In der Zeit habe ich die Aufnahmen angehört, bearbeitet und ausgewählt. Und dann haben wir uns für zwei weitere Wochen zusammengesetzt und aufgenommen.

Zu dem Zeitpunkt war dann schon sehr klar, was wir noch brauchten. Ich konnte sagen: 'Ich habe diese vier Songs aus dem und dem Grund raus genommen, wir brauchen eher vier Songs, die so und so klingen'. Ich hatte dann etwas neues geschrieben, weil ich dachte, dieser oder jeder Aspekt des Lebens ist noch nicht stark genug repräsentiert. Das haben wir eine ganze Weile lang so gemacht. Normal nimmst du ja erst alles auf und überlegst dann später, was gut ist. Aber das war ein großartiger Weg, das Album zu machen. Ich wusste immer, was ich noch brauchte.

Du hast ja auch mit ziemlich berühmten Leuten zusammen gearbeitet. Wie ist es dazu gekommen?

Tom Waits, den ich nie getroffen hatte - ich habe ihn tatsächlich bis jetzt nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen, wir haben nur am Telefon miteinander geredet. Er schickte mir seine Aufnahmen via Mail. Er hatte "Shootenanny" für den Shortlist Music Prize - bei dem er Juror war - nominiert. Das war sehr aufregend für mich, denn ich mag Tom Waits natürlich. Allein herauszufinden, dass er die Eels mag, war sehr aufregend für mich. Letzten Endes fragte er jemanden nach meiner Telefonnummer. Und die Person, die sie ihm gegeben hatte, sagte anschließend: 'Ich hoffe, es ist Ok, dass ich Tom Waits deine Telefonnummer gegeben habe.' Ich sagte: 'Ja, wenn Bob Dylan, John Lennon oder Tom Waits meine Telefonnummer wollen, dann ist das Ok. Aber niemand anders.'

Wir haben dann telefoniert und er war wirklich nett. Und ich dachte, ich kann doch jetzt nicht auflegen - ich war da mitten in den Aufnahmen zu dieser Platte - ohne ihn zu fragen ... Ich dachte nach: Was wäre der beste Song, zu dem er was beisteuern könnte? Und es gab viele offensichtlichere Stücke. Aber ich dachte: Es wäre doch interessant, ihn in eine Situation zu bringen, in der er vorher noch nicht war. Ich werde ihn auf den Song bringen, der sich anhört, als stünde er gerade im Top Of The Pops von 1965 oder so. Also erklärte ich ihm den Song und ich sagte: 'Das ist eine Tanz-Nummer, wo jeder versucht, so verrückt wie möglich zu tanzen und am Ende auf der Erde landet'. Und er sagte: mit verstellt tiefer, rauer Stimme 'Ja, ich wollte schon immer mal auf einer Dance-Nummer auftauchen. Schick's rüber!'. Er nahm das auf einem 4-Track-Kassettendeck auf, das er in seinem Bad stehen hat. Er mag den Sound, der da entsteht.

Ich schickte ihm lauter Anweisungen mit und er ignorierte sie alle. Was er tat, war: Er nahm über meine Stimme - meinen Vocal Track - auf, was ihm sehr leid tat. Und er schickte das Tape zurück, auf dem er wie ein Baby heult, schreit und so weiter. Ich dachte: Oh Man, wie soll ich das denn hinkriegen? Wenn ich jetzt zurückschaue, denke ich: Mir hätte auffallen sollen, dass es das ist, was ich hätte erwarten sollen. Aber ich habe eben etwas anderes erwartet. Das war, als ich endgültig beschloss, dass sich das wirklich so anhören sollte, als sei er in der TV-Show. Als würde er die Mädchen zum Kreischen bringen, wenn er weint. Und du weißt nicht, ob sie aus Entzückung oder Angst kreischen. Das war eine großartige Erfahrung. Und er will mehr machen. Also vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung.

Du sagst immer wieder, du würdest am liebsten die ganze Zeit Platten aufnehmen und nie mehr Interviews geben ...

Ich würde am liebsten die ganze Zeit Platten machen und sie gar nicht rausbringen, das ist mein Traum.

Aber was würde dann mit den ganzen Platten passieren?

Ich mache das vielleicht sogar eines Tages. Ich überlege das ernsthaft, denn das ist, was ich wirklich gerne mache. Vielleicht katalogisiere ich die alle in meinem Keller und lass das jemanden sortieren, nachdem ich gestorben bin. Dann interessiert es mich ja nicht mehr. Lacht. Ich will bloß nicht mehr da sein, wenn die alle raus gebracht werden. Mit leiser, weinerlicher Stimme. Das macht keinen Spaß, weißt du?

Und wenn du sie nur im Internet, auf deiner Website veröffentlichst ...

Nein, das würde ich auch nicht tun! Ich will sie einfach nur aufnehmen. Das ist der gute Teil. Platten aufnehmen, das ist das Gute. Sie rauszubringen, zu wissen, dass Leute sie hören ... ich interessiere mich nicht für diesen Teil.

Warum? Du kannst den Leuten etwas geben ...

E wirkt aufgeregt, redet mir mit ungewöhnlicher Lautstärke rein. All das ist das Gegenteil des guten, kreativen Teils. Ich habe einfach das Bedürfnis, Dinge zu tun. Und das sind die Momente, in denen ich glücklich bin. Dieses Zeug, das ich hier mache, ist sehr unkreativ. Ich meine, ich versuche, bei all diesem Zeug, das man tun muss, wenn man eine Platte raus bringt, so kreativ wie möglich zu bleiben. Aber es ist wirklich einfach nur langweilig. Ich fühle mich dabei sehr verletzlich: Jeder hört und bewertet, was ich getan hab. Seine Stimme klingt wieder sehr versöhnlich: Weißt du, ich mag das alles nicht.

Aber denkst du denn nicht, dass es viele Leute da draußen geben würde, die sich über ein paar Songs auf deiner Website freuen würden? Die die Musik einfach nur mögen würden und sonst nichts?

Die müssen einfach ein paar Jahre warten ... bis ich sterbe. Lacht

Du hast mal gesagt, du hättest das Gefühl, man würde Musik in Europa viel mehr wertschätzen als in Amerika.

Es entsteht eine Pause. Anscheinend eine Frage, mit der E nicht gerechnet hat. In Amerika stirbt die Musik immer weiter. Sie gehört nicht mehr als fester Bestandteil ins Leben der Leute. T-Bone Burnett (Singer/Songwriter und Producer, Anm. d. Red.) sagte etwas, das die amerikanische Musikindustrie gut beschreibt: 'Sie haben herausgefunden, wie man Musik für Leute macht, die keine Musik mögen'. Und das ist, worauf die Musikindustrie in Amerika konzentriert: Viel Musik an Leute zu verkaufen, die sie eigentlich gar nicht mögen. Leute hingegen, die Musik wirklich mögen, werden von den Firmen nicht als Priorität gesehen.

Ich denke, das läuft hier genau so.

Wahrscheinlich ist es noch nicht ganz so schlimm.

Den ganzen "Popstars"-Scheiß gibt es in Europa allerdings auch.

Ja, das wird in Amerika gerade wirklich hart.

Irgendwie finde ich das komisch: Wir sitzen hier shon ein Weilchen zusammen und du wirkst kein bisschen schüchtern oder unsicher auf mich. In deinen Lyrics - und auch in dem, was du hier gesagt hast - entsteht allerdings das Bild von einer Person, die sehr schüchtern ist, sehr viele Selbstzweifel hegt ... Ist es eine Fassade, die du in Interviews aufsetzt?

Ja, das ist es. E lacht und ringt nach den richtigen Worten. Die Leute, die meine Songs hören, kennen mich als Person wahrscheinlich besser, als jemand der mich wirklich kennt. Was wahrscheinlich tragisch ist, aber ich bin einfach einer der Menschen, der einfach nur weiß, wie er über Songs eine Beziehung aufbaut. Sie machen sich nicht so gut in den alltäglichen Beziehungen.

Eine letzte Frage: Beim letzten Interview hast du mir von einem Film erzählt, den ihr über die Eels-Tour machen wolltet. Was ...

Oh ja, wir haben ihn nicht gemacht. Wie die meisten Filme wurde auch dieser nicht gedreht. Aber es gibt einen anderen, an dem wir bald arbeiten werden. Es könnte also - vielleicht - einen Eels-Film geben. Das Film-Business ist voll von gebrochenen Herzen. Es ist sogar noch schlimmer als das Musikgeschäft.

Das Interview führte Vicky Butscher

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