laut.de-Kritik
Mit den Dritten beißt man besser.
Review von Sven KabelitzÖsterreich boomt! Wanda, Bilderbuch, Ja, Panik und englischsprachige Acts wie Soap&Skin zeigen den Piefkes die lange Nase. Also warum nicht einmal wieder einen Blick in den Rückspiegel zurück auf die alten Helden werfen?
Nachdem einem in den Neunzigern dank "3 Weiße Tauben" oder "Bongo Boy" so manches Mal angst und bange um die Erste Allgemeine Verunsicherung werden konnte, haben sich Eberhartinger, Spitzer und Co. seit längerem wieder gefangen. Mit "Werwolf-Attacke! (Monsterball Ist Überall...)" setzten sie die positive Entwicklung von "Neue Helden Braucht Das Land" fort.
Selten war die E.A.V. so böse, so gallenbitter und so vielseitig. Geschickt bedienen sie die verschiedensten Stile zwischen Neuer Österreichischer Härte, Gitarren- und Elektro-Pop, manch einer Ballade und russischer Folklore, ohne sich zu sehr in Klischees zu verrennen.
Wenn Thomas Spitzer unsere Dämonen und Alltagssorgen in biestige Satire verpackt, bleibt einem das Lachen mehr als einmal im Halse stecken. Wer wie ein Sith die Welt nur in Extremen sieht, dürfte auch 2015 mit der Verunsicherung seine Probleme haben.
Kein Werwolf und kein Ungeheuer bleibt unerwähnt. Egal ob Salafist, rechter Bodensatz, Bankvampir oder Bürozombie, egal ob Le Pen, Putin, Europa oder Amerika, jeder bekommt sein Fett weg. Das Böse ist immer und überall.
Letztendlich gibt es in "Miss Fuckushima" gar ein Wiedersehen mit dem alten Schwerenöter Burli aus alten "Liebe, Tod & Teufel"-Zeiten. Der Schweinehund hat Amalia Hals über Kopf für Fukush-Irmi, "das Strahlegirl, das aus dem Meiler kam", verlassen. "Burli, Burli, Burli / Burli, des find i gar net siaß / Hat die Neiche a doppelt so vü Ohrli / Zwölf Tuttis und drei Hintern / Man verlässt nicht seine Frau / Wegen jedem kleinen Supergau / Burli, du oide Schwammerl-Sau."
Gleich im grimmigen Opener "Werwolf-Attacke!" mit seinen garstigen Rammstein-Gitarrenwänden stellen sich der Wolf, seine finsteren Gesellen und manch muffelnde Gestalt, deren modriger Geruch an Bachmann und Oertel erinnert, ins silbrige Mondlicht. "Wenn aus Mutter Erdes Unterschicht / Eine neue Zombie-Herde kriecht / Schräger als der Bildungsturm zu Pisa / Und hält ihr Duckface für Mona Lisa."
Im munteren Dixieland-Gewand beklagt "Theater Um Die Kunst" das Leid der Künstler in Zeiten des Internets. "Seit meine Villa mich verließ / Leb' ich auf schlankem Fuß / Und leid' wie jeder Musikus / Am Morbus born-to-lose." Mit dem schürenden Gitarren-Pop "Bankrott" geht die E.A.V. noch einen Schritt weiter und erklärt uns einfachheitshalber alle für pleite. "Der ganze Globus ist verschuldet / Und die Zukunft längst passé / Doch die Lüge wird geduldet / Denn die Wahrheit die tut weh / Uns're neuen Krankheitsbilder / Wie das ESM-Abzess / Retten nichts und wüten wilder / Noch als Aids und Beulenpest."
Halb Rosenstolz, halb Lacrimosa steckt die mehr als verzichtbare Ballade "La Loba" samt schmalzigem Saxofonsolos knieftief im Kitsch. An einem Ort zwischen Billy Joels "We Didn't Start The Fire" und Peter, Bjorn And Johns "Young Folks" treibt der Track "Pfeif Drauf" sein Unwesen und reimt beschwingt "Micky Maus" auf "Holocaust". Politik? Terror? Klimasturz? Alles egal, so lange man noch den Weg zum Kühlschrank findet. Leider geht das aufdringliche Pfeifen des Tracks schnell auf die Nerven.
Im mitreißendem Russen-Schlager "Babuschka" erreicht die E.A.V., ganz Dschinghis Khan, fast wieder die Ohrwurm-Klasse aus vergangenen Tagen. "Von Kasachstan bis zur Ukraine / Hat der Fortschritt kurze Beine / Vorhang auf, Demokratie / Schwule, Lesben auf die Knie." Mit "Lederhosen-Zombies", das sich gegen den um sich greifenden Trachtenwahn richtet, löste die Band in ihrer Heimat schon vor der Veröffentlichung der Platte einen kleinen Skandal aus, da hinter dem Text eine Abrechnung mit Andreas Gabalier und seinen Fans vermutet wurde. Dabei hat das Stück auch hier in Deutschland, wo mittlerweile jedes Dorf zwischen Konstanz und Itzehoe sein eigenes Münchener Oktoberfest feiert und sich Schwaben, Hessen und Hamburger in Lederhosen quetschen, seine Berechtigung. "Von der Ranzenschwarte bis zum Doppelkinn / Alles, was sie haben, steckt im Mieder drin / Reingequetscht ins Dirndl wird jeder Tuttelzwerg / Im Nu zu Madame Busenberg."
Für die eindringliche Gitarren-Ballade "Der Oide Wolf" übernimmt Spitzer Eberhartingers Platz am Mikro, leckt sich seine Wunden und jault sich durch Verlust und Vergänglichkeit. "Heut is er miad vom Jagen / Sei Revier is die Vergangenheit / Um jedes Morgen will er an Hacken schlog'n / Weil alles und jeder hat sei Zeit / Er sogt: 'I such ma a stilles Platzerl / Wo ka Bandscheib'n und ka G'wissen mi mehr zwickt / Leg mi nieder neben mei'm liebsten Schatzerl / Sie seit Jahren dort schon liegt.'"
Manch Arrangement auf "Werwolf-Attacke! (Monsterball Ist Überall...)" wirkt zwar angestaubt, doch von einem entspannten Alterswerk zeigt sich die Erste Allgemeine Verunsicherung weit entfernt. Zum Wortwitz und der Cleverness der frühen Tage gesellt sich nun die griesgrämige Bitternis alter Herrn, die dem mittlerweile fünfzehnten Album gut zu Gesicht steht. Mit den Dritten beißt man besser.
9 Kommentare mit 26 Antworten
Pulleralarm!
Das letzte was ich von denen gehört habe war das Album Neppomuks Rache. War sogar ganz lustig damals
Wahrscheinlich bin ich zu Deutschtümelig von meinem Witz her, hab das Vorurteil das Österreicher nicht witzig sein können. So auch hier.
Stimmt, bist du.
Eher ist es wohl umgekehrt.
Schau dir mal Josef Hader oder Stermann und Grissemann an! (Obwohl da ja auch ein Deutscher dabei ist)
was b13 sagt.
si tacuisses...
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Krass dass hier das noch so viele in ihrer Grundschulzeit gehört haben Ich hatte damals gerade mal einen Kumpel der das auf mein Anraten hin auch gefeiert hat. Die (leider sehr verkratzte) 'Nie Wieder Kunst' CD aus der Stadtbücherei war praktisch standardmäßig an mich verliehen.
Zwirch und Zwabel #beste
Auch interessant, dass es sich hier jeweils um unterschiedliche Alben handelt. Kenne nämlich wirklich nur "Neppomucks Rache" in Gänze und fand selbst das Cover damals grandios.
'Himbeerland' war wie schon in dem damaligen Thread berichtet, mein erstes gekauftes Album. Hat auch seine Momente!
Geld oder Leben Album#1
Hab mir gerade mal die Trackliste angeschaut, die meisten Texte kommen direkt wieder.
Ich glaube, damals hat mir die Fata Morgana am besten gefallen.
da ensteht doch wohl grad kein neuer hype ?
falls doch,"ich bin der märchenprinz" über alles.
gott, dachte ich hätte das alles längst verdrängt ...
Küss die Hand, Herr Kerkermeister
ich bin wieder da!
Der Dauergast in diesem Knast
aus Zelle Hundertzwoa...
'88 schleppte mein Vater die "Kann denn Schwachsinn Sünde sein?" - Kompi auf Vinyl an. Ich war 6-7. Auf den Schulhöfen der Grundschule und Mittelstufe war der Stuff nicht gerade mainstream.
Durch das zitieren von so Kram (und dem nicht nachvollziehen können des Witzes / Humors durch die Mitschüler) ergab sich doch recht schnell eine Art konstante Position des merkwürdigen und unberechenbaren Clowns/Wahnsinnigen innerhalb wechselnder Klassenverbände für mich.
Das Prinzip hat ein paar Jahrgänge später auch noch funktioniert.
Habe die armen, unschuldigen Klassenkameraden höchstens mit irgendwelchen Erwin-Pelzig-Nummern öfter genervt.
Äh..hehe...das war natürlich auch alles nur während der Grundschule.
"Heiße Nächte in Palermo" ist mein persönlicher Favorit. Dieser Wortwitz... große sprachliche Kunst
https://www.youtube.com/watch?v=uLPmPUSmtEg
Ich glaub da kommt ein Nasenbär...
Jetzt auch noch soulburn... wird langsam fast ein bisschen gruselig, diese Korrelation zwischen "als Kind EAV gehört haben" und "laut.user sein". Woher kommt das?
Das muss in den Genen stecken
Sind sich aber witzigerweise auch viele user hier am bekennen, deren Beiträge, Musikgeschmack und/oder Humor ich hier schon immer sehr geschätzt habe
...und eben hochamüsant, dass es bei allen ungefähr dasselbe Alter, aber ne andere Scheibe war.
Zur Erklärung bemühe ich aufgrund fortgeschrittener Stunde das klassische Anlage/Umwelt-Anteile-Modell. Es steckt auch, aber nicht ausschließlich, in den Genen
EAV schrieb anscheinend auf unser aller Tabula Rasa mit dickem, schwarzen Edding...
Ich denke auch Sodhahn wird hier bald sein musikalisches ComminOut haben und Garret wird die wahre Inspirationsquelle für seine geschliffenen Rhymes nicht mehr verleugnen können....
Es bleibt spannend wie CL-Finale 2005
Bei mir war's auch die "Nie wieder Kunst", mit der alles los ging. Die EAV war die erste Band, von der ich so richtig Fan war, weshalb sie auf meiner Musik-Sammler.de-Statistik mit 11 Einträgen auch immer noch auf Rang 3 stehen.
Ich glaube objektiv betrachtet ihre "beste" Platte ist aber die "Café Passé". Am meisten gehört dürfte ich hingegen die "Im Himmel ist die Hölle los" haben. Die sieht auch dementsprechend echt übel ramponiert aus.
Der übliche Tipp: EAV sollte man nicht nur auf den Banküberfall, den Märchenprinzen oder gar die weißen Tauben reduzieren. Die besten Songs sind _nicht_ als Single ausgekoppelt.
http://www.youtube.com/watch?v=_fgYiCD93QY…
An mir sind die immer ziemlich vorbeigezogen und haben mich nie interessiert, Vater hatte die auch nie angeschleppt, nur immer Stones, Beatles, Queen, Doors und Co - und ich selbst fing dann Mitte der Achtziger eher mit Ärzte und Hosen, etc. an.. und Rap natürlich.
Das war damals bei dir einfach noch eine ganz andere Generation
Wohl wahr..