8. Juni 2016
"Ich muss nicht in die 90er zurück"
Interview geführt von Dominik KalusSängerin Shirley Manson und Gitarrist Steve Marker erinnern sich an die 90er, sind dort aber nicht stehen geblieben: Sie sprechen über Segen und Fluch sozialer Netzwerke, die unvermeidlichen Streamingdienste und das möglicherweise bevorstehende Ende des Album-Zeitalters.
Die Trennungsgerüchte der Nullerjahre sind längst vergessen, mit "Strange Little Birds" erscheint jetzt das sechste Studioalbum der Band um Nirvana-Produzent Butch Vig und Sängerin Shirley Manson. Garbage sind gerade auf Europatour, ich treffe die schottische Sängerin und Gitarrist Steve Marker in den Katakomben des Olympiastadions, kurz vor ihrem Auftritt beim Rockavaria-Festival. Shirley strahlt heller als die Neonröhren an der Decke, Steve ist zurückhaltend, aber auch gut drauf. Zwischen den grauen Betonwänden nehmen wir auf einer schwarzen Ledercouch Platz.
Wieviele Stunden habt ihr letzte Nacht geschlafen?
Steve Marker: Boah, vielleicht zwei. Wir haben gestern bis Mitternacht in Frankfurt gespielt, um acht mussten wir dann schon wieder weiter. Bis ich eingeschlafen bin wars vier. Es ist ziemlich schwer, ins Bett zu kommen, wenn man direkt vorher eine Show gespielt hat.
Shirley Manson: Ja, das ist die größte Herausforderung für einen Musiker: Du bist eigentlich erschöpft, dann spielst du dein Konzert, und danach kannst du erstmal nicht schlafen.
Ist das das Schlimmste beim Touren? Was liebt ihr dabei am meisten? Was hasst ihr?
Steve Marker: Also am besten sind definitiv die Shows, deswegen tun wirs ja. Am Anfang haben wir uns noch über viele Dinge beschwert, wenig Schlaf, lange Busfahrten, schlechtes Essen. Aber weißt du, im Laufe der Zeit wurden wir eher dankbar dafür, das tun zu können, was wir tun. Musik machen und Konzerte spielen, das ist eigentlich eine ziemlich coole Sache. Also, im Prinzip beschweren wir uns nicht sonderlich.
Spielt ihr lieber ein Clubkonzert als Headliner oder, so wie heute, einen Open Air-Gig am Nachmittag?
Steve Marker: Ich glaube, dass die Dunkelheit und die Clubatmosphäre besser zu uns passen. Aber es ist natürlich cool, beides haben zu können.
Ihr habt euch 1993 gegründet, meinem Geburtsjahr.
Shirley Manson: Jesus! Das ist irre.
Ja. Was vermisst ihr am meisten, wenn ihr an die 90er zurückdenkt?
Shirley Manson: Um ehrlich zu sein, bin ich nicht besonders nostalgisch. Ich weiß zwar noch, dass die 90er ziemlich wunderbar waren, aber ich muss jetzt nicht dahin zurück. Ich bin ziemlich glücklich damit, wie die Dinge heute laufen, und fühle mich besser als damals.
Was hat sich seit damals am stärksten verändert, am Musikerdasein?
Steve Marker: Naja, Musik ist jetzt zu einer weiteren Sache geworden, die man gratis herumreicht.
Shirley Manson: Das klingt jetzt wie ein fürchterliches Klischee, aber um ehrlich zu sein: ich selbst. Als ich jünger war, war ich viel weniger gefestigt. Ich musste unbedingt die Schönste und Erfolgreichste sein, hatte auch seltsame Vorstellungen von Erfolg. Heute will ich einfach Künstler sein, und das passt.
"Social Media kann nervtötend sein"
Ihr betreibt erfolgreiche Facebook- und Instagram-Accounts mit vielen Followern. Seht ihr Social Media als Chance oder nervige Pflicht?
Steve Marker: Wow, das ist eine gute Frage. Ich lese schon gerne über unseren Twitter-Account, was da so abgeht. Aber privat nutze ich das nicht. Ich muss nicht jedes kleinste Detail über das Leben all meiner Bekannten wissen.
Shirley Manson: Ich denke, es ist beides. Es kann schon ziemlich nervtötend sein, zum Beispiel wenn dir vorm Schlafengehen einfällt, dass du ja noch was zum neuen Video posten musst. Aber im Allgemeinen ist Social Media schon ziemlich faszinierend, ein Portal zur Welt.
Steve Marker: Auf unsere Supportband [The Pearl Harts, Duo aus London – Anm. des Autors] sind wir übrigens über Twitter gekommen. Shirley hat sie entdeckt, nachdem die getweetet hatten, dass sie uns mögen würden ...
Shirley: Die Mädels sind der Wahnsinn!
"Gegen Spotify kannst du nicht ankämpfen"
Stichwort neues Album: Wie liefen die Aufnahmen?
Steve Marker: Die haben ziemlich Spaß gemacht! Es war ja nicht immer alles reibungslos bei uns, es gab in den Jahren davor bisschen Konflikt. Wir hatten damals zu viel Zeit zusammen in 'nem Raum wie diesen verbracht (lacht und zeigt im Raum umher). Wir haben jetzt herausgefunden, dass es für uns am besten läuft, wenn wir nach zwei Wochen Studio uns erstmal nicht sehen. In der Zeit können wir nachdenken, und nach zwei Wochen machen wir wieder weiter. So gehen wir uns nicht auf die Nerven.
Die erste Single "Empty" klingt ziemlich frisch und energetisch, aber später gibts auch einige düstere Momente auf der Platte ...
Shirley Manson: Witzig, dass wir gerade über Social Media geredet haben. Als wir angefangen haben, an dem Album zu arbeiten, wollte ich das genaue Gegenteil von dem darstellen, das die Leute auf Instagram und Co. präsentieren: Es ist nicht immer alles nur positiv und rosig. Das Leben kann eine Herausforderung sein, für jeden von uns. Als Mensch bist du genauso mal sauer und fucked up, wie du glücklich oder verliebt bist. Diese Tatsache soll unser Album vermitteln.
Ihr seid ja auch auf Spotify.
Steve Marker: Das ist der Lauf der Dinge, dagegen kannst du nicht ankämpfen. Spotify hat ja auch was Cooles, ich kann jetzt auf jeden erdenklichen Song mit dem Handy zugreifen. Die Künstler müssten halt besser bezahlt werden, so, wie es gerade läuft, ist es natürlich lachhaft. Aber vielleicht kommen wir da ja noch hin, das Ganze läuft ja erst ein paar Jahre.
Aber die Zeit des Albums ist vorbei?
Steve Marker: Hmm. Wir versuchen schon noch, ein bisschen Albumgefühl zu vermitteln. Wir geben uns Mühe mit dem Artwork und erschaffen ein möglichst zusammenhängendes Werk. Das werden manche Fans vielleicht ja anerkennen.
... während sie es sich auf Spotify reinziehen?
Ich denke, das geht, yeah.
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