6. November 2003
"Ich bin nicht Martin Gores Marionette"
Interview geführt von Michael SchuhDennoch erleben wir beim Gespräch mit Dave Gahan in den Katakomben der Frankfurter Jahrhunderthalle von Beginn an einen überraschend dünnhäutigen und leicht reizbaren Sänger. Sein Soloprogramm bestückt der Gute zwar mit einer ordentlichen Zahl an Depeche Mode-Songs, reden will er aber am liebsten ausschließlich über "Paper Monsters" und seine neuen Band-Kollegen. Diesen Gefallen tun wir ihm nicht, und so müssen Gore und Andy Fletcher, Gahans alte Kollegen, ziemlich einstecken. Im Anschluss ans Gespräch verlässt der Sänger grußlos den Raum.
Du bist dieses Jahr bereits das zweite Mal in Europa auf Tour und spielst in größeren Hallen. Ist dein Soloalbum "Paper Monsters" erfolgreicher als du es dir erhofft hast?
Das ist schwierig zu sagen. Ich wusste, dass das Album, gerade zusammen mit älteren Depeche-Sachen, live gut funktionieren würde, denn danach waren die Aufnahmen ausgerichtet. Aber von dieser positiven Resonanz war ich schon überrascht.
Es war also nicht geplant, ein zweites Mal auf Tour zu kommen?
Doch, Pläne hatten wir schon. Nur die Größe der Hallen konnten wir nicht abschätzen. Australien und Japan waren auch von Beginn an auf dem Schirm.
Du hast vor wenigen Tagen in London gespielt. Was hat denn dein Sohn, vielleicht dein größter Kritiker, zu deiner Show gesagt?
Mein Sohn? Jack? Im Hammersmith Odeon war er dabei, im Juli konnte er nicht. Ja, ihm hat es gefallen. Er mag auch das Album sehr. Von den Alben, an denen ich mitgearbeitet habe, ist "Paper Monsters" sein Lieblingsalbum. Zusammen mit "Violator".
Hast du auch noch Zeit gehabt, Freunde zu treffen?
Ja, klar. Möchtest du jetzt über mein Album sprechen oder über meine Freunde?
Im Sommer haben wir deine erste Solo-Show in Zürich gesehen. Wie sind deine Erinnerungen an diesen speziellen Abend?
Es war super, aber jetzt bin ich hier in Frankfurt und schaue nach vorne. Natürlich waren wir sehr nervös, da es die erste Nacht war und wir nicht wussten, wie man uns empfangen würde. (zu Fotograf Straub): Okay, es reicht jetzt mit den Bildern!
Es ist großartig, mit Freunden auf der Bühne zu stehen, die Spaß am Livespielen haben und die alles geben. Es geht nicht um die Frage, wo anschließend der Club mit der besten Party ist, sondern darum, den Fans das beste zu geben.
Nachdem ich dein Album gehört habe, kam ich zu dem Schluss, dass es für Martin Gore in Zukunft sehr schwierig sein würde, Songs von dir abzulehnen.
Das muss Martin beantworten, aber eines ist sicher: Ich bin nicht hier, um von Martin Gore beurteilt zu werden. Ich ... bin nicht seine Marionette. Es ist die Performance, die ich liebe, und jetzt arbeite ich mit Leuten zusammen, die auch Spaß an meinen Songs haben. Wenn Martin mir das geben kann, was ich ihm in den ganzen Jahren mit seinen Songs gegeben habe, dann können wir zusammen arbeiten. Sollte er diese Idee nicht gutheißen, wüsste ich nicht, warum wir weiter machen sollten.
Deine neuen Songs sind in Zusammenarbeit mit Knox Chandler entstanden. Meinst du, du könntest mit Martin in einer ähnlichen Weise zusammen arbeiten?
Es ist mir egal. Diese Fragen musst du ihm stellen. Es beeinträchtigt nicht meinen Weg, den ich jetzt beschreite und auf dem ich kontinuierlich an meinem Songwriting arbeite, um als Musiker zu wachsen. Das kann ich nun mal nicht mit Leuten umsetzen, die für meine Ideen nicht offen sind. Ich habe darauf also keine Antworten. Ich sah Martin kürzlich in Los Angeles, er kam zu meiner Show und fand es gut. Ich weiß nicht einmal, ob er momentan überhaupt daran interessiert ist, Musik zu machen. Ich habe jetzt eine Soloplatte draußen.
Könntest du denn die perfekte Arbeitsweise mit Martin und Andy beschreiben?
Nein Leute, passt mal auf: Es gibt keine Pläne, okay? Reicht das jetzt? Und Andy macht im Studio überhaupt nichts, das wissen selbst die Fans. Musikalisch hat er vielleicht seit "A Broken Frame" (1982) nichts mehr zu Depeche Mode beigetragen. Es waren Alan, Martin und ich, Alan hat die Band verlassen und jetzt sind es Martin und ich. Ich habe jetzt eine Soloplatte draußen, sie heißt "Paper Monsters", und ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis. Ob es jemals noch eine Depeche Mode-Platte geben wird, kann ich nicht sagen. Wenn Martin meine Ideen so annimmt, wie ich seine annehme, dann sehe ich eine Zukunft. Vielleicht mit Christian, vielleicht mit Peter Gordeno, vielleicht mit jemand anderem.
Es geht mir jedenfalls nicht darum, weiterzumachen, nur weil Depeche Mode ein so großer Name ist. Die Aussicht auf ein neues Album muss bei mir Begeisterung auslösen. Es muss bei allen Beteiligten ganz tief von Herzen kommen. Aber im Moment finde ich es ziemlich unverschämt, mir all diese Fragen zu stellen. Das interessiert mich alles nicht. Ich arbeite gerade mit einer coolen Band zusammen und wir sind auf der Bühne sehr druckvoll. Ich werde nächstes Jahr soviele Songs schreiben wie ich kann, mit Knox, Victor, Matthey oder Vince und ob diese Songs dann auf einer Depeche Mode-Platte enden oder einer Dave Gahan-Platte steht noch nicht fest.
Schreibst du denn auch Songs während du tourst?
Ja, ich schreibe die ganze Zeit.
Heute abend tritt die schwedische Rockband The Whyte Seeds im Vorprogramm auf. Verfolgst du in New York, Heimat der Strokes und der Yeah Yeah Yeahs, dieses 'neue' Rock-Ding?
Manche Bands sind gut und manche nicht. Es ist sehr viel Energie in dieser Musik und es ist Musik, die live performt werden sollte. Das mag ich zum Beispiel an den Whyte Seeds. Von allem was ich bisher gemacht habe, war die Performance immer der wichtigste Teil. Ich will Songs auf der Bühne zum Leben erwecken. Das ist meine Herausforderung.
Also gehst du auch mal auf Rock-Konzerte, wenn du zuhause bist?
Nicht nur auf Rock-Konzerte. Das letzte Konzert auf dem ich war fand im Beacon Theatre statt, es war Sigur Rós.
Wahrscheinlich warst du mit Knox dort?
Nein, mit meiner Frau.
Okay. Noch kurz zu Alan Wilder ...
Alan verließ Depeche Mode vor zehn Jahren. Du solltest langsam drüber weg sein.
Ich bin drüber weg.
Also was sollen dann die ganzen Fragen?
In diesem Fall geht es um die DVD-Veröffentlichung des "101"-Konzerts kommende Woche. Es gibt darauf eine Interview-Sektion ...
Ich sah Alan kürzlich, es geht ihm gut, er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern auf dem Land und macht Musik unter dem Namen Recoil. Er hat mein Konzert in London gesehen, davor habe ich etwa zwei Jahre nicht mit ihm gesprochen. Ich mache jetzt etwas anderes und habe sehr großen Spaß daran, und mir scheint, vielen Leuten geht es genauso. Ich genieße es, Depeche Mode-Songs mit meiner neuen Band auf der Bühne zu singen, und ich hoffe, eure Leser sehen das genauso.
Das Interview führte Michael Schuh.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Immer wieder schön als Beispiel zu lesen, wie ein Interview völlig daneben gehen kann.
Ich kann Daves Reaktion gut nachvollziehen. Aber natürlich ist es auch schwierig, zu einer recht uninteressanten Platte interessante Fragen zu stellen.
Ach, Gahan war schon immer ein furchtbares Arschloch. Am besten zeigte sich das in der sträflichst vergessenen österreichischen "Sendung Ohne Namen".
Muss. Näher an sich als wahrer Person als in dem "It's no good"-Video kommt er sich aber in der Inszenierung seiner Künstlerpersona vermutlich in diesem Leben nicht mehr.