10. August 2009
"Ich will nicht der Lars Ulrich sein"
Interview geführt von Anuschka SchmidHip Hop-Reggae-Funk-Mix-Chef Jan Delay steht mit seinem drittem Solo-Album "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" in den Startlöchern. Wir sprachen mit ihm unter anderem über eine prägende Begegnung in New York.Hektisches Treiben im ersten Stock des "Hotel Bayerischer Hof" in München, wo die Plattenfirma Universal Music gleich zwei Künstler durch Interview-Marathons jagt. In einem der Räume geht gerade eine Fotosession mit Hip Hopper Dizzee Rascal zuende. Dizzee kommt zur Tür raus, nickt kurz rüber und verschwindet wieder.
Im anderen Raum steht Jan Delay den Pressevertretern einzeln Rede und Antwort. Er gibt freundlich die Hand. Die für ihn typische Sonnenbrille hat er nicht auf, dafür aber eine Baseball-Cap. Gemeinsam setzt man sich aufs grüne Sofa, das ein wenig an die berühmte Couch erinnert, auf der Loriot immer seine Sendungen präsentierte. Da bleibt es nicht aus, dass Delay und die Interviewerin sofort den gleichen bescheuerten Geistesblitz haben und Zitate aus Sketch-Klassikern wie "Die Nudel" und "Das Filmmonster" auspacken. Beide lachen sich kurz kaputt, beruhigen sich aber auch schnell wieder. Das ist auf jeden Fall schon mal ein guter Anfang!
Der Titel Deines Albums ist stark wortverwandt mit dem Titel der Biografie der drogenabhängigen Christiane F. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" aus den 70ern. Ist die offensichtliche Ableitung "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" nur eine spontane Idee gewesen oder hat das Buch tatsächlich nachhaltigen Eindruck bei Dir hinterlassen?
Das Buch hat zwar einen starken Eindruck hinterlassen bei mir. Ich finde es ein geiles Buch und auch einen geilen Film. Und es ist vor allem etwas Deutsches, das internationales Format hat. Aber es hat nichts mit der Platte zu tun. Ich finde, dass es ein gutes Wortspiel ist. Auch wenn man das Buch und den Film gar nicht kennt und sich einfach nur "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" vor Augen führt, ist es trotzdem ein geiler Titel und er drückt das aus, was ich sagen will mit dieser Platte.
Es heißt, Du seist bei den Aufnahmen völlig anders vorgegangen als beim Vorgänger "Mercedes Dance". Was genau hast du anders gemacht?
Bei "Mercedes Dance" hatte ich mir vorgenommen, eine Funkplatte zu machen, wusste aber nicht wirklich, wie das geht. Also habe ich mich einfach blind reingestürzt und Beats vorproduziert, wie ich das beim HipHop immer mache. Dann habe ich diverse Musiker ins Studio eingeladen, und wir haben zusammen zu diesen Beats gejammt und das aufgenommen. Im Anschluss daran habe ich ewig am Rechner an dem Material rumgefrickelt und bin halb wahnsinnig geworden. Trotzdem ist es eine schöne Platte geworden.
Als wir die Lieder dann schließlich als Band live gespielt haben, kam plötzlich der Funk rein und es wurde immer besser. Irgendwann dachte ich, okay, jetzt weiß ich, wie so eine Funkplatte geht. Insofern ist "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" die Platte, die ich eigentlich mit "Mercedes Dance" machen wollte, aber die ich ohne "Mercedes Dance" nicht hätte machen können.
Und schließlich war die Zeit reif für "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" ...
Ja, wir haben uns gesagt, das Handwerkliche haben wir jetzt nach 200 Konzerten drauf. Also habe ich mich dieses Mal nicht erst mal alleine hingesetzt und Beats aufgenommen, sondern gleich in Sessions zusammen mit meiner Rhythmusgruppe, also Keyboards, Bass, Gitarre, Schlagzeug, zu schreiben begonnen. Dabei sind etwa 20 bis 30 Demos entstanden. Daraus habe ich dann die Songs fürs Album entwickelt. Im Anschluss haben wir alles arrangiert und sind ins teure Studio gegangen, wo wir alles auf alte Bandmaschinen mit teuren, alten, geilen Mikrofonen aufgenommen haben. So, wie man das früher gemacht hat. Dann haben wir das Ganze dann für uns in die Neuzeit geholt und überspielt in den Rechner, wo wir wieder schneiden und alles machen konnten, wie wir das gewohnt sind.
Wie lange hat dieser ganze Prozess gedauert?
Eineinhalb Jahre. Eigentlich habe ich gedacht, ich spare mit dieser neuen Variante Zeit und Nerven, aber das war ein Trugschluss (lacht). Im Endeffekt hat alles länger gedauert, aber es ist auch viel besser geworden, und nur so konnten wir erreichen, was wir uns als Ziel gesetzt hatten.
"DSDS? Ich schäme mich für diese Würdelosigkeit"
Wo bastelst Du an Deinen Songs herum, wenn Du für Dich Sachen ausprobierst? Hast Du so eine Art Home-Studio wie viele Musiker?Ich hab schon seit Ewigkeiten mit Tropf, meinem besten Freund und Mitproduzenten der Platte ein Studio. Mein Bereich ist da eher der kleine Verschlag, wo man vorproduzieren, schneiden und arrangieren kann. Und er hat einen richtig großen Raum, weil er ja auch Engineer ist. Da könnte man theoretisch auch Platten mischen ... zwar nicht ganz so wie in den großen Studios, aber das ist natürlich das Ziel irgendwann.
Die Texte spielen bei Dir immer eine große Rolle. Wie gehst Du beim Schreiben vor?
Das ist ganz, ganz harte Arbeit. Da muss ich mich wirklich in meiner Bude hinsetzen und konzentrieren, auch wenn das jetzt vielleicht bisschen blöd klingt. Natürlich bringt mir das Textschreiben Spaß. Aber es ist mir eben auch sehr wichtig. Schließlich habe ich mittlerweile einen Ruf zu verlieren (lacht). Oft sitze ich dann da und verwerfe alles immer wieder. Dann ist das Blatt vielleicht auch mal voll mit irgendeinem Scheiß, weil man so gedankenverloren rumgekritzelt hat. Aber im Endeffekt kann es passieren, dass zwei Tage lang nichts bei rumkommt. Dann habe ich da zwar schon ein paar Zeilen dastehen, einen Anfang, den ich richtig geil finde. Aber das muss ja auch in dem gewissen Flow weitergehen, auf diesem Level, in dieser Qualität und die Reime müssen cool sein und so weiter. Das muss alles stimmen und darum komme ich dann manchmal nicht weiter.
"Showgeschäft" beschäftigt sich mit den Eintagsfliegen in der Medienwelt. Verfolgst Du TV-Sendungen wie "DSDS" oder "Germany's Next Topmodel" im Fernsehen oder schaust Du in so eine Show höchstens mal kurz rein?
Ich habe gar keine Zeit, mir das alles anzugucken. Wenn ich das dann mal doch mal tue - und da landen wir sofort bei einem anderen Titel von meiner Platte, und zwar "Überdosis Fremdscham" - dann muss ich sofort weiterzappen, weil ich mich einfach schäme für diese ganze Würdelosigkeit. Es ist so, dass sich der Text natürlich mit diesen Sendungen auseinandersetzt. Aber meine Intention ist eher die, auf eine entertainende Art zu versuchen, den Leuten klar zu machen, dass das ein unsolider Beruf ist. 'Also Augen auf bei der Berufswahl, Leute! Wenn Ihr nicht wirklich das innere Feuer habt und vor allem das Talent, egal, ob das jetzt Musik, Schauspiel, Regie oder sonst was ist, dann lasst die Finger davon! Denn Ihr werdet aufs Maul fallen so wie Axel Schulz und Ihr werdet zum Gespött der Leute. Diejenigen, die da wirklich und schon lange auf dem roten Teppich sind, und denen Ihr nacheifert, die sind nur da, weil sie sich den Arsch aufreißen, und das schon seit Jahren. Für die ist das nicht nur Beruf sondern Berufung'. Aber letzten Endes ist es ein lustiger Song (lacht kurz auf).
Wie schaut denn dann zuhause Deine Musikecke aus? Stehen da noch die alten Vinylplatten herum oder ist alles bereits digitalisiert?
Ich habe zwar eine Riesen-Plattensammlung, aber die wird inzwischen selten angefasst. Ich habe einen Mischer und zwei Plattenspieler, die so umfunktioniert sind, dass sie einen Sync abgeben an den Laptop und so kann ich alle Songs genauso auflegen wie mit Platte. Die Stücke kommen aus dem Laptop, aus der iTunes-Mediathek. So legen ja heutzutage auch alle DJs auf - man muss nichts mehr schleppen. Es ist aber trotzdem noch so wie früher.
Holst Du Dir dann Musikstücke inzwischen nur per Download oder kaufst Du auch noch CDs?
Ich will unbedingt CDs haben, wenn ich etwas sehr gut finde. In meiner Küche habe ich super viele CDs. Aber heutzutage kommen nicht so oft Sachen heraus, bei denen ich das ganze Album haben will, da geht's nur um einzelne Songs. Deshalb lade ich auch viel herunter.
Damit die Songs von Deinem neuen Album nicht schon vor der offiziellen Veröffentlichung irgendwo im Internet landen, hast Du die Promo-CDs, die an die Medienvertreter verschickt wurden, manipuliert. Die Soundqualität ist bewusst schlechter gemacht worden und Du unterbrichst die Songs immer wieder mit Kommentaren wie "Das Internet ist schuld" ...
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich kann mich nicht hinstellen und sagen, 'Ihr seid alle Schweine, wenn Ihr Stücke illegal runterladet und nicht dafür bezahlt': letztendlich haben viele Leute nun mal kein Geld. Es ist einfach nur schade, dass der Wert von Musik komplett verschwunden ist und die Menschen kein Bewusstsein mehr dafür entwickeln. Für sie ist es nichts Geklautes, denn sie haben ja nichts zum Anfassen.
Eigentlich müsste die Musikindustrie, die das schon seit zehn Jahren verpennt hat, endlich mal eine Variante finden, wie trotzdem den Leuten schmackhaft gemacht werden kann für alles zu bezahlen. Es geht ja auch darum, dass wieder ein wenig Geld reinkommt, weil so, wie das im Moment ist, läuft das ganze Ding ungebremst mit 80 gegen 'ne Wand. Aber ich will hier auch gar nicht rumjammern. Vielleicht entwickelt sich ja irgendwann ein Bewusstsein dafür und es wird so wie in Estland oder Lettland, wo ein ganz anderes Wertebewusstsein herrscht.
Wie ist es in Estland oder Lettland?
Da war ich mal mit den Beginnern und dem Goethe-Institut, dort lädt überhaupt niemand illegal runter, weil man das total uncool findet. Das ist für die Kids dort wie ein Zwei-Streifen-Turnschuh. Ich will aber jetzt auch nicht der Lars Ulrich [von Metallica, die Red.] sein. So was finde ich superpeinlich: Der Multimillionär, der sich darüber beklagt ... So lange die Leute zu den Livekonzerten kommen, und man damit irgendwie Geld verdient, ist doch alles gut.
Apropos Urheberrecht: Bei der "Mercedes Dance"-Tour und dem dazu veröffentlichten Livealbum hast Du Samples des Funk-Klassikers "Word Up" von Cameo in den Song "Türlich, türlich" reingepackt. Hast Du jemals eine Reaktion von Cameo dazu bekommen?
Von Cameo? Ne. Aber mit dreizehn Jahren war ich mal in New York, und da wollte ich unbedingt so 'ne Hip Hop-Frisur haben, so ein Hi-top-Fade, bei dem die Haare lang nach oben gestellt waren und die Seiten am Kopf ausrasiert. Und dann bin ich mit meinem Vater Downtown gewesen, sah bei so einem Friseur die ganzen Fotos herumhängen von coolen Hip Hop-Frisuren und wollte unbedingt da rein, weil ich damals noch nie beim Friseur gewesen war. Plötzlich stand da Larry Blackmon, der Sänger von Cameo, mit einem derben Hi-top-Fade und ich, öh, öh, öh, (reißt die Augen auf) … guckte nur. Und das war meine einzige Begegnung mit Cameo. Aber das war wirklich eine Begegnung!
Noch keine Kommentare