9. Januar 2013

"Songs zu schreiben ist wie ein Gang aufs Klo"

Interview geführt von

Jessie Ware ist einer der neuen Sterne am schier grenzenlosen britischen Soul-Himmel. Dabei ist sie gewissermaßen eine alte Bekannte: Zwei Jahre lang sorgte sie als Gastsängerin bei SBTRKT in der Londoner Dubstep-Szene für samtweiche Melodien.Meist mit strengem Über-Dutt und glamourösem Nofretete-Teint unterwegs, weckt die stimmgewaltige Britin derzeit wohlige Erinnerungen bei all denen, die auch heute noch mindestens einmal pro Woche zu den Klängen von Sades "Smooth Operator" die Seele baumeln lassen.

2012 schnappte sich Jessie Ware den The Invisible-Gitarristen Dave Okumu und produzierte mit ihm zusammen ihr Solodebüt "Devotion". Wir sprachen mit der Sängerin über den enormen musikalischen Output aus Süd-London, ihr Debütalbum und Zukunftsvisionen.

Hi Jessie: Adele, Florence And The Machine, Lianne La Havas, SBTRKT und jetzt du: Seit zwei Jahren sprudelt der Süden Londons nur so über vor neuen Shootingstars. Was ist da los?

Jessie: (lacht) Oh, echt keine Ahnung. Aber du hast Recht, es ist schon erstaunlich, was in der letzten Zeit so alles aus Brixton und Umgebung kommt.

Keine geheime unterkellerte Talentschmiede?

Nein, nicht das ich wüsste. Ich glaube, es ist so eine Art musikalische Kettenreaktion. Sobald jemand aus dem näheren Umfeld etwas anleiert, fühlen sich viele andere motiviert und ermutigt, ähnliche Sachen anzustoßen.

Demnach kennt ihr euch alle nicht nur aus dem Fernsehen oder der Zeitung?

Oh, nein. Wir kennen uns eigentlich alle ziemlich gut untereinander.

Wie gut?

Nun ja, mit Florence bin ich beispielsweise zusammen zur Schule gegangen.

Also frei nach dem Motto: Was die Florence kann, das kann ich auch?

Nicht ganz. Ich fühle mich nicht einem Wettbewerb ausgesetzt. Jeder steht für sich und jeder macht sein eigenes Ding. Es geht um Inspiration. Wir inspirieren uns alle gegenseitig, auch wenn wir alle unterschiedliche Musik machen.

Ein gewisses Maß an Soul spielt aber bei euch allen eine Rolle, findest du nicht?

Ja, wobei aber jeder den Soul anders verarbeitet.

Wie sieht es dahingehend bei dir aus?

Ich liebe den Soul der alten Schule. Mich inspirieren Künstler wie Aretha Franklin oder Stevie Wonder.

Oder Sade?

Ja, natürlich. Sade ist wundervoll.

"Sade ist eine Göttin des Soul"

Es gibt kaum einen Artikel über dich, indem du nicht in einem Atemzug mit Sade genannt wirst. Auch wenn dich die Experten fast ausnahmslos in den Himmel loben, fühlst du dich dennoch etwas einseitig eingeordnet?

Zunächst einmal empfinde ich es als großes Kompliment, wenn man mich mit jemandem wie Sade vergleicht. Sie ist eine der Göttinnen des Souls. Andererseits denke ich, dass es auf meinem Album auch noch andere Dinge zu entdecken gibt. Deswegen bin ich über jedes Interview, in dem ich darauf aufmerksam machen kann, dankbar. (lacht)

Sade spielt sicherlich eine große Rolle in meinem Bewusstsein als Künstlerin, aber ich liebe auch klassischen amerikanischen R'n'B, Hip Hop oder Drum'n'Bass. All diese verschiedenen Elemente wollte ich in das Album einfließen lassen. Es war mir ungemein wichtig, dass die Platte facettenreich und vielschichtig klingt. Dafür habe ich wirklich hart mit meinem Produzenten Dave Okumu gearbeitet, und ich glaube, dass wir alles rausgeholt haben, was möglich war.

Ich habe gelesen, dass dich Dave nicht immer mit Samthandschuhen angefasst haben soll. War dem so?

Dave hat mir gezeigt, was alles möglich ist. Er ist ein wundervoller Mensch und ein begnadeter Produzent. Als wir uns das erste Mal trafen, war ich noch etwas schüchtern und unsicher. Mein Manager hatte den Kontakt hergestellt. Ich stand also vor ihm und sah dieses warme Lächeln und das Funkeln in seinen Augen. Er nahm mich einfach in den Arm und drückte mich. Er merkte sofort, dass ich ziemlich nervös war und flüsterte mir ins Ohr, dass ich mir keine Sorgen machen brauche, denn gute Songs zu schreiben sei vergleichbar mit dem Gang aufs Klo, man müsse die Dinge einfach nur laufen lassen (lacht).

Wow!

Ja, absolut. Aber er hatte Recht. Man muss sich einfach öffnen und Dinge ausprobieren. Auch Julio Bashmore und Kid Harpoon, die ebenfalls an der Produktion des Albums beteiligt waren, haben mir dabei geholfen, die Scheuklappen abzulegen. Ich bin diesen Leuten zutiefst dankbar. Ich stehe total auf emotionale Musik. Ich höre dahingehend wirklich fast alles. Aber es fiel mir ziemlich schwer, all diese verschiedenen Gefühle in die eigene Musik mit einzubringen.

Dave Julio und Kid haben mir gezeigt, wie es funktionieren kann. Ich meine, wenn mir jemand vorher gesagt hätte, dass es möglich ist, Whitney Houston, Sade, Feist und Disney in einen Topf zu werfen, ohne dass dabei Chaos entsteht, dem hätte ich wohl einen Vogel gezeigt (lacht). Aber es hat geklappt. Das ist ein tolles Gefühl. Dieser Lernprozess war sehr wichtig für mich. Ohne die drei Jungs würde das Album sicherlich ziemlich eintönig klingen. Man muss sich nur Songs wie "Wildest Moments", "110%" oder "Running" anhören. Dort gibt es zwar eine konstante Gefühlsebene, aber grundverschiedene Basics.

War das auch der Grund, warum gerade diese drei Songs als Singles veröffentlicht wurden?

Ja, ich wollte unbedingt, dass die Leute so schnell wie möglich einen repräsentativen Gesamteindruck vom Album bekommen.

"Ich fühle mich als Sängerin, nicht als Künstlerin"

Für mich ist der Titeltrack ein Höhepunkt des Albums. Ein Song, der meiner Ansicht nach unterschwellig Erinnerungen an deine musikalische Vergangenheit weckt. Ist der Song so etwas wie eine versteckte Hommage an die Zeiten, in denen du noch mit Leuten wie SBTRKT unterwegs warst?

Ich denke, es gibt viele solcher Momente auf dem Album. Diese Zeit war sehr prägend für mich. Ich war damals viel in Londoner Clubs unterwegs und habe versucht alles an Musik aufzusaugen, was geboten wurde. Diese verschrobenen Beats und die undefinierbaren Strukturen der Sounds haben mich total fasziniert.

Dreht man die Uhr allerdings noch weiter zurück, kommt man an einen Punkt in deinem Leben an, indem ziemlich wenig auf eine steile Musikkarriere hindeutete.

(lacht) Ja, ich wollte eigentlich Journalistin werden.

Warum blieb es bei dem Wunschtraum?

Nun, ich habe mich schon immer für Literatur und Geschriebenes im Allgemeinen interessiert. Außerdem arbeitet mein Vater als Reporter bei der BBC. Das alles führte dann dazu, dass ich mich an der Uni für englische Literatur eingeschrieben habe. Aber irgendwie fehlte mir etwas, keine Ahnung. Es entwickelte sich irgendwie keine richtige Leidenschaft in mir, um das Ganze so richtig voranzutreiben. Ich habe zwar noch einige kleinere Sachen im Online-Bereich veröffentlicht, aber das war es dann auch schon.

Hast du zu der Zeit schon gesungen?

Im kleinen Rahmen, ja. So richtig los ging es eigentlich erst, als mich irgendwann Jack Peñate ins Studio einlud.

Ein alter Schulfreund von dir, richtig?

Ja, Jack und ich kennen uns schon ziemlich lange. Zuerst haben wir nur ein bisschen im Studio herumexperimentiert, bis er mich auf Tournee einlud. Das war dann der Knackpunkt für mich. Über Jack entstand dann der Kontakt zu SBTRKT. Spätestens da wurde mir klar, was mir Musik und das Singen wirklich bedeutet. Jetzt sitze ich hier und rede mit dir über mein eigenes Album. Das ist schon ziemlich heftig. Ich bin auf jeden Fall total auf den Geschmack gekommen (lacht). Jeden Tag habe ich neue Ideen, Visionen und Wünsche.

Und zwar?

Ich würde in Zukunft gerne spannende Kollaborationen in Angriff nehmen. Mit Frank Ocean zu arbeiten wäre beispielsweise fantastisch. Ich würde auch gerne einmal mit Burt Bacharach etwas schreiben. Kanye West könnte ich mir gut als Produzenten vorstellen. Es gibt so viele aufregende Optionen. Mal schauen, was die Zukunft bringt.

Nun bist du mittendrin im Business. Vom großen Glitzer und Glamour deiner Branchen-Kolleginnen Adele oder Florence Welch scheinst du aber wenig zu halten. Stattdessen trittst du schon mal gerne im sportlichen Top und mit Bundfaltenrock auf. Wie kommt's?

Oh, ich liebe es, wenn ich Florence und Adele auf der Bühne sehe. Dieses Pompöse und Glamouröse passt wunderbar zu den beiden. Und es ist ja nicht so, dass ich mich dem völlig verweigere. Ein gewisses Maß an Inszenierung steht mir, denke ich, auch ganz gut zu Gesicht, wie man anhand meiner Videos "Running" und "110%" sehen kann. Aber ich war ehrlich gesagt auch ein bisschen geschockt, als ich mich da so divenhaft durchs Video schlendern sah. Ich bin da irgendwie anders gestrickt, eher zurückhaltend und einfach. Ich fühle mich als Sängerin, nicht als Künstlerin. Vielleicht kommt das ja noch.

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