29. September 2014

"In unseren Songs steckt viel Angst"

Interview geführt von

Irreführende Portraitfotos, absolute Verknappung der Infos, Musikvideos mit Tänzern an Stelle der eigentlichen Musiker: Hinter dem UK-Hype Jungle vermuteten viele einen Masterplan des viralen Marketings - und manch einer gar ein Nebenprojekt von Hot Chip. Dabei habe man sich einfach nur auf die Musik konzentrieren wollen und danach ein wenig mit der visuellen Umsetzung gespielt, betonen die beiden Protagonisten Josh und Tom nicht müde werdend.

Mittlerweile scheint in Sachen Außendarstellung ohnehin Normaliltät eingekehrt. Das Geheimnis um die Identitäten ist gelüftet, die jungen Londoner zeigen sich auf herkömmlichen Pressefotos - und das Allerwichtigste: Ihr titelloses Debütalbum klingt durchweg großartig. Wie es dazu kam? Wir sahen Jungle auf dem MS Dockville in Hamburg und haben bei der Gelegenheit mal nachgefragt.

Konntet ihr bereits das Festival-Gelände bestaunen?

Tom: Yeah.

Josh: Ja, wir lieben dieses Industrielle. All die Schiffscontainer, das ist cool. Wir sind ein bisschen herumgelaufen und haben die Bühne angeschaut. Die ist ziemlich groß. Wir sind begeistert.

Was wäre denn eurer Einschätzung nach die perfekte Location für ein Jungle-Konzert?

Josh: Wahrscheinlich ein Strand.

So steht es auch im Pressetext. Wie viele Konzerte habt ihr mittlerweile in Deutschland gespielt?

Josh: Das wird das dritte sein.

Tom: Oder das vierte?

Josh: Berghain, Melt!, ... also das dritte. Es ist ein reizendes Land. Die Show auf dem Melt! war großartig.

Wie viele Leute werden nachher auf der Bühne stehen?

Josh: Wir sind zu siebt. Das dürfte für einige eine Überraschung sein. Wir freuen uns.

Und ihr zwei singt?

Josh: Teilweise, ja. Aber wir haben auch noch zwei weitere Sänger dabei.

Wer von euch beiden hatte eigentlich die Idee, zu Beginn eure Identität und die Gesichter zu verbergen?

Josh: Das war eigentlich gar nicht die Idee. Wir hatten nie vor, uns zu verstecken. Wir haben nie irgendwelche Infos verschleiert – wir haben sie eben nie rausgegeben. Wir wollen euch lieber Musik geben. Alles was du als Künstler sagst und sagen willst, fließt in deine Musik ein. Ich finde es seltsam, abseits davon irgendwelche Dinge preiszugeben. Man steckt all seine Emotionen in die Musik. Und auf diesem Weg sollen uns die Leute kennen lernen.

Tom: Die meisten Künstler legen sich heutzutage Twitter-, Facebook- und Soundcloud-Accounts zu, bevor sie überhaupt Songs haben. Wir wollten einfach erst mal schreiben. Wir haben anfangs nicht über Social Media nachgedacht. Irgendwann haben wir die Songs hochgeladen und alles ging schneller als gedacht. Da hatten wir noch nicht mal ein Foto. Uns gefiel dann einfach die Idee, dass der Hauptfokus auf den Videos und den Tänzern liegt. Und plötzlich haben alle gesagt: Oh, die sind ja mysteriös.

Habt ihr nie darüber nachgedacht, als Konsequenz jegliche Interviews zu verweigern?

Tom: Nein. Wenn die Leute mit uns sprechen wollen, ist das cool. Das machen wir gerne. Wir sind ja keine Idioten, keine bösen Menschen.

Josh: Wir wollen es mit den Leuten teilen.

Tom: Wenn du mit uns darüber reden willst, machen wir das natürlich. Wir sind ja freundliche Typen. Warum nicht?

Man kann schließlich auch über die Musik an sich sprechen.

Tom: Exakt!

Josh: Eben. Es ist cool, über deine Kunst sprechen zu dürfen.

Tom: Wir sind nur ein bisschen weniger besessen von diesen ganzen wichtigen Dingen in der Musikindustrie: Leadsänger, Pressefotos, Videos, der ganze Scheiß. Das hat mit der Musik nichts zu tun.

Wie bereits erwähnt, spricht euer Pressetext davon, dass ihr den Hörer an einen idyllischen Strand entführen wollt. Geht ihr manchmal auf Reisen, um Inspiration zu sammeln?

Josh: Ich war ursprünglich noch nie außerhalb von Großbritannien. Daher ist das jetzt alles sehr verrückt. Du träumst von all diesen Orten, vor allem von Amerika. Ja, in UK träumt man von Amerika. Davon, wie es aussieht und wie es klingt. Ein Großteil der Inspiration schöpften wir also aus unserer Fantasie. Wir hatten nur Ideen, wie es aussehen und klingen könnte. Aber ja, jetzt waren wir endlich am Venice Beach in Kalifornien. Das war ein wunderschöner Moment.

Habt ihr dort ein Konzert gespielt?

Josh: Genau, im März.

Der Pressetext spricht außerdem von der Flucht aus dem alltäglichen Leben. Ist das eure Motivation?

Tom: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, Musik bedeutet für jeden eine Flucht. Egal, ob du hier auf ein Festival kommst oder ob du deine Kopfhörer aufsetzt. Musik, Filme und Kunst sind eben meist hyperreal. Sie bestehen nur aus der Vorstellungskraft einzelner Menschen. Daher flüchtet quasi jeder in die Musik.

"Jazz-Kickdrum? Ich werfe lieber einen Fußball auf den Boden"

Viele Hörer assoziieren euren Sound mit dem 1970er-Jahre-Funk. Wie seid ihr zu diesem Sound gekommen? Durch eure Eltern?

Josh: Ich finde, was wir jetzt produzieren, ist ein Ergebnis aus allem, was wir je gehört haben. Wir sind jetzt in einem Stadium, in dem wir uns sehr wohlfühlen. Wir wollen nicht einem bestimmten Musikstil gerecht werden. Wenn du über die Jahre all die Platten hörst, geht es nicht um ein spezielles Genre, sondern um gute Songs. System Of A Down haben beispielsweise einige großartige Songs. Curtis Mayfield aber auch. Meiner Meinung nach ist es ein großer Mix aus allem.

Habt ihr dennoch bestimmte Idole?

Tom: Klar, jeder hat Idole. Idole stiften Inspiration. Egal, ob das Künstler sind oder nicht. Van Gogh könnte ein Idol sein, Mozart auch. Auch Charles Darwin könnte ein Idol sein. Es muss einfach nur jemand sein, der vor dir eine bestimmte Situation ganz neu beleuchtet hat.

Welches sind denn eure Idole?

Josh: Wir haben so viele.

Tom: Charles Darwin.

Josh: Ich höre viel Debussy.

Tom: Chance The Rapper.

Josh: Chance The Rapper! Amazing!

Tom: Frank Lampard. (lacht)

Wayne Rooney?

Josh: Oh, noooo!

Tom: Nein. (lacht)

Habt ihr bei der Songproduktion feste Rollen?

Tom: Es variiert von Song zu Song.

Josh: Es kommt auf die Inspiration an. Man fängt nicht immer am selben Punkt an. Mal spielen wir einen coolen Drumbeat ein, mal finden wir einen tollen Synthie-Sound. Manchmal beginnt es auch mit einem Songtitel, zum Beispiel bei "Lemonade Lake". Wir haben diesen Songtitel vor Ewigkeiten aufgeschrieben, von da an lag er im Studio auf einem Blatt Papier herum.

Wie geht es dann weiter? Eher mit Jammen oder eher mit Nachdenken?

Josh: It's a mix.

Tom: Es ist ein versponnener Prozess. Es ist egal, wie du mit einem Song voran kommst. Hauptsache du kommst irgendwann an. Manche Songs nehme ich erst mal mit dem iPhone auf. Der Prozess ist jedes Mal unterschiedlich. Manchmal arbeitest du für sechs Monate an einem Track, manchmal nur einen Tag. Man muss einfach seinem Geschmack vertrauen und sich davon leiten lassen.

Benutzt ihr analoge Syntesizer?

Tom: Ja, einen Prophet 08.

Josh: Dave Smith-Stuff.

Tom: Einen Moog Prodigy.

Josh: Eine Bandmaschine. Eine alte Hammond-Orgel.

Tom: Ein Neve-Mischpult.

Josh: Und Drum-Machines von Boss.

Keinerlei echte Drums?

Josh: Am liebsten nehmen wir selber Drumsounds auf – mit Dingen, die nichts mit Drums zu tun haben. Man muss ja nicht immer irgendeine Jazz-Kickdrum nehmen. Da nehme ich lieber einen Fußball und werfe ihn auf den Boden.

Tom: Es ist immer ein Sampling-Prozess. Aber der Ausdruck geht dabei nicht verloren, weil wir auch gesamplete Hi-Hats wieder mit Pads einspielen.

Hat es denn tatsächlich ein Fußball aufs Album geschafft?

Josh: Ja, ich glaube als Kickdrum von "Son Of A Gun".

"Wir sitzen jeden Tag zusammen im Studio"

Schreibt ihr auch die Lyrics gemeinsam?

Josh: Ja, es ist immer eine Konversation. Wir sitzen jeden Tag zusammen im Studio.

Tom: Einer hat eine Melodie auf Lager. Deren Klang bietet die Lyrics oft schon an, die Zeilen werden dann offensichtlich.

Euer Album hat ja durchaus einen positiven Vibe – vor allem musikalisch. Was fällt denn schwerer: ein trauriger Song wie "Julia" oder die glücklicheren Stücke?

Josh: Ich finde, die Songs haben alle zwei verschiedene Bedeutungen. Viele Lieder sind aus unserer Sicht sehr paranoid. Da steckt viel Angst drin. Man wächst in einer Gesellschaft auf, die immer von dir erwartet, dass du jemand bist. Und dass du erfolgreich bist.

Tom: Die Musik ist meistens vor allem die Maske. Und die Lyrics eher das Innere. Die Musik hat diesen Swagger: Ich setzte meine Maske auf, gehe raus und bin, wer ich sein will. Aber selbst bei "The Heat" heißt es: "I'm doin' all that I can." Ich versuche es. Es gibt immer zwei Dimensionen.

Oftmals fühlt es sich wie ein Film an. Gerade bei "The Heat" fühlt man sich schnell in eine alte Crime-Serie versetzt. Schaut ihr euch so was an?

Josh: Nicht wirklich. Wir versuchen eher, sie uns vorzustellen. Jeder Track auf dem Album ist ein eigener Film, jeder hat sein eigenes Setting. Bei "The Heat" ist es diese Crime-Scene am Strand. Bei "Accelerate" fährst du hingegen mit dem Motorrad durch die Neonlichter Japans. Du hast einen Crash, kannst aber wieder aufstehen. Diese Unbesiegbarkeit ... ein Videogame-Szenario. Es gibt immer ein bestimmtes Setting, von dem die Musik ausgeht.

Habt ihr die Platte eigentlich komplett im Homestudio aufgenommen?

Tom: Teils teils. Die erste Hälfte haben wir Zuhause gemacht und sind dann ins XL Studio umgezogen. Das war cool.

Und auf den meisten Tracks hört man tatsächlich nur euch zwei?

Tom: Genau. Nur bei "Julia" hat unser Bongospieler ein paar Extra-Percussions und Drums eingespielt.

Und wie lange habt ihr an der Platte gearbeitet?

Tom: Der erste Song war "Son Of A Gun" im Januar 2013.

Josh: Da hatten wir ja noch Jobs. Das war nicht Fulltime, sondern nur an Abenden und Wochenenden.

Tom: Danach haben wir erst mal für die Konzerte geprobt. Der Prozess war also ziemlich geteilt. Es ist cool, das aufzubrechen. Denn dann kannst du auch mal wieder zu deinen Songs zurückkehren. Ich finde es sehr schwierig, ein Album zu schreiben, ohne das Haus zu verlassen. Du musst zwischendurch auch mal wieder unter Leuten sein.

Wann habt ihr dann eure Jobs gekündigt?

Josh: Im Dezember.

Tom: Bei mir war es etwas früher.

Josh: Das ist echt eine große Ehre, ein großes Privileg. Vor allem im aktuellen Klima und Konsumverhalten von Musik.

Habt ihr mit mehreren Labels gesprochen.

Tom: Ja, einige Labels hatten Interesse. Wir wollten aber nicht wirklich zum Major gehen, wegen der starken Bindung.

Josh: Außerdem ist XL Recordings der Traum für einen Künstler: Ein Label, dass dich respektiert und versteht.

Die Band Jungle ist die Konsequenz einer sehr langen Freundschaft. Seid ihr immer noch Freunde? Trefft ihr euch mal unabhängig von Jungle auf einen Kaffee?

Josh: (lacht) Manchmal. Aber es fühlt sich seltsam an.

Tom: Wir leben ja mehr oder weniger zusammen. Zum Kaffeetrinken muss man sich dagegen nicht mal kennen. Aber ja, wir haben heute morgen nach dem Aufstehen gemeinsam Kaffee getrunken. (lacht)

Und wie sehen die Zukunftspläne aus?

Tom: Mehr Songs, mehr Remixe, mehr Kollaborationen, eine größere Liveshow. So bald du mal einen Namen hast, eröffnet dir das ganz neue Möglichkeiten. Am Anfang der Karriere hast du dich ja noch nicht profiliert. Keiner kennt dich. Wenn ich dir vor vier Jahren erzählt hätte, dass Jamie XX mal einen Remix für Adele machen könnte, hättest du gesagt: Diese Chance wird er nie kriegen. Aber dann hat er mit The XX eben tolle Arbeit gemacht.

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