24. August 2005

"Blur wären stolz, hätten sie unsere Songs geschrieben"

Interview geführt von

gäDer 7. Juli 2005 war nicht gerade der beste Tag für ein Interview mit einer britischen Band. Als ich im Hotel ankam, hatte ich den ganzen Tag noch keine Nachrichten gesehen und damit auch nicht die geringste Ahnung, was in der englischen Hauptstadt vor sich gegangen war. Die BBC-Ausdrucke, die vor der deutschen Labeldame und dem englischen Manager der Band lagen, sprachen jedoch eine eigene Sprache: Vor ein paar Stunden waren in der Londoner U-Bahn und in einem Bus Bomben hoch gegangen. Die Kaiser Chiefs hätten schon mit Familie und Freunden gesprochen. Keiner ihrer Verwandten und Bekannten sei von dem Unglück betroffen. Trotzdem wirkt die Band angespannt und unkonzentriert.

Ist es wirklich Ok in solch einer Situation ein Interview zu führen? Die Jungs ziehen ihren Promo-Plan durch. Auch das U2-Konzert, bei dem sie am Abend als Vorband spielen, soll nicht abgesagt werden.

Hi, ich hoffe, es geht euch den Umständen entsprechend gut!

Keyboarder Peanut und Bassist Simon bestätigen mir, dass sie keine der Verletzten kennen und deshalb fürs erste beruhigt sind. Wir könnten das Interview ganz normal führen.

Ihr spielt heute als Vorband von U2 - seid ihr schon aufgeregt?

Peanut: Eigentlich sind Live-Gigs ein Leichtes für uns, denn wir wissen, dass die Leute uns mögen. Heute Abend wird das allerdings anders. Vor den U2 Fans ist es ein härterer Job, die Leute auf unsere Seite zu bringen. Wir sind nervös und aufgeregt. Ins Olympiastadion haben wir es bisher auch noch nicht geschafft.

Simon: Ich glaube das ist ein gewaltiges Stadion. Und dann treffen wir auch noch U2.

Wart ihr je U2-Fans?

P: Ich habe nie CDs von ihnen besessen, aber ich kenne natürlich alle ihre Hits. Ich weiß, dass ich Spaß bei ihrem Gig haben werde. Aber für Leute unseres Alters waren U2 einfach nicht mehr so cool. Für uns waren Oasis und Blur die Helden und U2 etwas für die Älteren.

S: Sie waren schon ziemlich groß, als wir in das Alter kamen.

P: Sie waren damals schon eine fette Stadion-Band. Wir sind jetzt zwar schon seit einem Jahr auf Tour, aber im Vergleich zu U2 wirken wir heute Abend sicher wie eine Amateur-Band. Als wir noch Kinder waren, haben die schon in Stadien gespielt. Und das war vor 20 Jahren. Wenn dir das nicht irgendwann zu langweilig wird, dann wirst du ganz sicher sehr gut darin.

Ihr wisst, dass im Olympiastadion auch das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 stattfindet?

S: Ja, das findet dort exakt heute in einem Jahr statt.

Bei euch schreibt der Drummer die Songs. Das ist nicht gerade üblich, wie ist es dazu gekommen?

P: Ich denke, er ist ein großer Phil Collins-Fan.

S: Er schreibt bits and pieces, hat Ideen und spielt die dann auf Klavier und Gitarre. Er singt ja auch auf der Bühne. Es ist nicht so wie bei Razorlight oder Oasis, wo einer rein kommt, den Song singt und spielt, und die anderen setzten dann einfach ein. Nick spielt uns etwas vor, setzt sich dann an die Drums und überlässt uns den Song.

P: Dadurch bekommen wir alle an unserem jeweiligen Instrument die selbe Chance, die Hauptrolle in einem der Songs zu spielen. So bekommt jedes Instrument mal den Hook. Deshalb klingt es bei uns relativ facettenreich. Das ist dann einfach etwas interessanter als bei einer rein Gitarren-dominierten Band.

Ihr kamt grade auf Bands wie Oasis zu sprechen - wie fühlt es sich an, wenn die anfangen, über euch zu reden ...

P: Es ist cool. (Peanut versucht ein Gähnen zu unterdrücken - ohne Erfolg.)

Auch wenn Oasis sagen, ihr wärt Mist ...

P (sofort wieder hellwach): Das ist ein Missverständnis. Wir haben Oasis getroffen und das geklärt. Es ist jetzt Ok.

Habt ihr manchmal das Gefühl, die Presse würde sich auch Geschichten über euch ausdenken?

P: Die Presse sucht immer nach dem aufregenden Teil einer Geschichte. Das ist ihr Job

S: Wir mögen es natürlich nicht, wenn uns jemand komplett falsch zitiert. Liam Gallagher sagte, wir wären eine schlechte Version von Blur. Aber auch er versucht nur, Headlines zu bekommen, denn uns hat er gesagt, dass er uns mag.

P: Das ist einfach Liam Gallagher. Er tut das und er ist großartig darin!

S: Ich denke wir fünf sind ziemlich normal, und wenn wir Interviews geben, reden wir deshalb auch über Sachen, die ganz normal sind. Einer aus unserem Team arbeitet auch für Oasis und er beton immer wieder: Wenn Oasis nicht immer wieder für solche Headlines sorgen würden, wären sie lang nicht so berühmt, wie sie es sind. Die Leute wollen doch genau deshalb Interviews mit ihnen führen. Denn sie werden immer etwas sagen, das zu einer Headline taugt. Sie denken warscheinlich nicht mal darüber nach, das kommt einfach aus ihnen raus. Manches von dem Gesagten ist unglaublich blöd, anderes dagegen verblüffend prägnant. Aber ich denke, das kommt einfach so aus ihnen raus.

Aber all das ändert nichts daran, dass Oasis und Blur Bands waren, zu denen wir immer aufgeschaut haben. Jetzt spielen wir fast schon in der selben Liga. Na ja, das ist übertrieben. Aber wir spielen die selben Venues wie sie, wir treffen sie und hängen mit ihnen rum. Das ist wirklich gut!

Viele Journalisten schreiben über euch, ihr würdet sehr nach Blur klingen. Verletzt euch das eher, oder findet ihr das gut?

P: Ich denke Blur wären ziemlich stolz, hätten sie unsere Songs geschrieben. Ich mag Blur wirklich gerne, aber wenn ich mir die Rhythmen und den Drive unserer Songs anhöre, sind sie wesentlich mehr Rock'n'Roll als ihre Stücke. Nicht dass du das falsch verstehst: Ich liebe ihre Alben. Ich kann verstehen, wenn Leute Ricky mit Damon Albarn vergleichen. Aber plötzlich soll unsere komplette Band wie Blur sein!? Das ist fauler Journalismus, da schaut jemand nur nach einer Headline. Uns mit Blur zu vergleichen und dann rauszustellen, wir wären die "schlechten Blur" ...

Ja, natürlich sind das Einflüsse, aber Blur sind auch schon von Bands beeinflusst, die auch wir als Vorbilder sehen. So ist das. Das ist einfach britisches Songwriting. Nimm Beatles- oder Kinks-Songs, wie sie klingen und die Art wie sie Geschichten erzählen. Die Leute mögen das, da ist doch nichts Schlechtes dran.

S: Die Leute mögen es einfach, Dinge in Schubladen zu stecken. Das hat auch seine guten Seiten, denn man muss die Bands ja irgendwie beschreiben. Die Vergleiche machen es griffiger, wie eine Band klingt. Natürlich haben wir ein paar Songs, die man so ähnlich auch auf einem Blur-Album hätte finden können. Aber ein Großteil der Stücke klingt nicht so, als würde er mal auf einer Blur-Platte erscheinen. Als wir mit der Promo angefangen haben gab es auch viele Leute, die uns mit Franz Ferdinand verglichen haben.

P: Nur weil wir alle britische Bands sind.

S: Wir klingen ja gar nicht nach denen. Wenn Leute es sich so einfach machen, nur unsere Parallelen zu anderen Bands herauszustellen, dann denke ich mir: Die haben sich das Album ja gar nicht angehört.

Wenn man auf eure Texte hört, bemerkt man, dass ihr vor allem über sehr alltägliche Dinge singt. Interessieren euch die normalen Dinge einfach mehr?

P: Nein, es sind eben normale Sachen, die wir erleben. Du schreibst halt eher Songs über Dinge, die dir schon passiert sind. So entstehen authentischere, sympathischere Stücke. Wenn wir jetzt anfangen würden Songs über Rock'n'Roll, Frauen und Alkohol zu schreiben ... so ein Leben leben wir nicht. Darüber zu singen - auch wenn es eine Rock'n'Roll-Tradition ist - wäre falsch. Du möchtest ja auch nicht, dass die Leute gleich merken, dass alle Songs, die du geschrieben hast nur ausgedacht sind. Es ist schöner, über etwas zu singen, dass du selber mit- oder erzählt bekommen hast.

Existieren die ganzen Mädchen also wirklich, über die ihr geschrieben habt?

P: Die meisten schon. Man ändert natürlich dies und das, damit sich die Lyrics dann auch reimen, aber normalerweise schon. "I Predict A Riot" könnte eine Zeile sein, die wir in einem Gespräch aufgeschnappt haben.

S: Die Geschichten müssen uns ja nicht alle genau so passiert sein, aber es sind interessante Geschichten. Auch Sachen, die wir aus dem Fernsehen aufgeschnappt haben.

P: "Time Honored Tradition" handelt von Nahrung, von gesundem Essen. Wie man sich auf Tour weiter gesund ernährt. Ganz normale, alltägliche Dinge eben.

Habt ihr denn von den Leuten, über die ihr gesungen habt, schon irgendwelche Reaktionen bekommen?

P: Ich denke einige der Mädchen ahnen, dass die Songs von ihnen handeln.

Es ist aber noch keine auf die Bühne gekommen und hat Ricky dafür eine geknallt oder so?

P: So was Schlimmes ist noch nicht passiert.

Ich muss leider noch mal auf dieses Franz Ferdinand-Ding zurück kommen. Die sagten nämlich in ihren ersten Interviews, ihr Ansporn Songs zu schreiben wäre, dass sie die Mädchen zum Tanzen bringen wollen. Nun, als ich eure Songs das erste Mal hörte dachte ich: 'Die handeln nach dem selben Prinzip. Das sind richtige Mädchen-Tanz-Lieder.' War das auch eine eurer Absichten?

P: Ja, eine von vielen.

S: Weißt du, als wir ein paar Songs fertig hatten, sind wir auf Tour gegangen und haben versucht, einen Plattenvertrag zu bekommen. Wenn man Songs schreibt und die einem Raum voll Menschen vorstellt, die die Stücke alle noch nicht gehört haben, dann mögen die Leute einfach schnellere Songs, Als es dann zum Album kam, haben wir auch ein paar langsame Stücke geschrieben. Aber in den kleinen Clubs - in denen es unser Ziel war, uns live neue Fans zu erspielen - da entstanden einfach immer mehr tanzbare Songs. Wir haben uns nicht zu Hause in Leeds hingesetzt und gesagt: "Lass uns einen tanzbaren Tune schreiben". Das passierte einfach schrittweise wegen der Gigs.

In meinen Ohren klingen alle eure Stücke fröhlich, selbst wenn sie langsam sind. Hängt das mit euren Charakteren zusammen?

P: Ja! Die Songs sind optimistisch, auch wenn das Tempo manchmal runter fährt. Radiohead schreiben langsame Songs, die traurig klingen und auch so gemeint sind. Sie schreiben diese Stücke um eine Message rüber zu bringen. Aber wir wollen Musik machen, bei der sich die Leute gut fühlen.

S: Sobald wir anfangen, unsere Instrumente zu spielen wollen wir einfach gut drauf sein. Es ist für uns eine angenehme, vergnügliche Erfahrung, Musik zu machen. Das merkt man dann anscheinend auch im Songwriting. Wir haben alle diese glücklichen Songs geschrieben, als wir ziemlich arm waren. Wir hatten alle Jobs, die wir nicht mochten. Wir haben mit sehr viel Nachdruck danach gestrebt, dass unsere Band gesignt wird. Dass jemand unser Album aufnimmt und dass es ordentlich rausgebracht wird. Man könnte denken, dass wir traurige Musik hätten schreiben müssen, denn das war nicht gerade die glücklichste Zeit in unserem Leben. Was dabei raus kam, ist aber sehr positiv und optimistisch. Wir werden sehen, was das nächste Mal passiert!

Ihr habt also noch nicht angefangen, neue Songs zu schreiben?

S: Wir haben ein paar Sachen geschrieben, wissen aber noch nicht, ob das was taugt.

P: Es handelt sich dabei um ein paar generelle Ideen.

S: Wir haben ja auch noch ein bisschen Zeit. Das nächste Album werden wir wohl ab Februar 2006 aufnehmen. Wir haben also noch keinen neuen Song, der definitiv auf dem Album landen wird.

Um aufs Livespielen zurück zu kommen: Ihr habt beim Live 8 in Philadelphia gespielt, und beim Glastonbury sind unglaublich viele Leute zu eurem doch noch recht frühen Slot gekommen. Was macht eure Live-Shows zu so etwas Besonderem, dass so viele Menschen das sehen möchten?

P: Die Leute schauen sich unsere Live-Shows an, weil sie einfach Spaß machen. Und das spricht sich rum. Leute mögen so was, aber viele Bands verändern sich nach einer Weile, so nach dem Motto: "Wir sind eine Rock'n'Roll-Band, die einiges mitgemacht hat, und wir schauen die ganze Zeit auf unsere Schuhe, starren ins Publikum ...". Weißt du, wir spielen nur Musik, die wir mögen, und es ist keine Schande, auf der Bühne Spaß zu haben. Das überträgt sich sehr gut aufs Publikum, das dann auch Spaß hat. Und diese Leute kommen wieder. Sie sagen sich: Das war doch diese gute Band, die ich auf dem Festival gesehen habe.

S: Wir haben ja auch live angefangen, uns eine Fan-Base erspielt und sind dann erst gesignt worden. Die meisten Fans haben wir über Live-Gigs erreicht. Es könnte auch sein, dass sich unsere Platte deshalb in anderen europäischen Ländern nicht so gut verkauft, wie in England. Denn da haben wir nicht so oft live gespielt, die Leute hatten nicht die Chance, uns auf der Bühne zu erleben. In England waren wir anderthalb Jahre als Support anderer Bands unterwegs. Das war brillant, aber wenn wir jetzt unsere eigenen Shows spielen, stehen in den ersten Reihen mit großer Sicherheit riesen Fans. Sie lieben unsere Show, egal was passiert.

Bevor ihr zu den Kaiser Chiefs wurdet, wart ihr Prava ...

S: Wir erwähnen das eigentlich nicht mehr.

Naja, ich habe das irgendwo gelesen, ihr müsst es also erwähnt haben.

S: Niemand hat sich für uns interessiert, als wir noch Prava waren. Und jetzt möchte plötzlich jeder mit uns darüber reden!?

Na, man möchte halt wissen, wo ihr her kommt, wie ihr euch entwickelt habt! Hat sich eure Musik seither stark verändert?

P: Ja! Erst als wir zu den Kaiser Chiefs wurden, wussten wir: Das ist die Richtung, in die wir wirklich gehen wollen. Davor war unser Stil ein wenig härter. Wir hatten da noch zwei Gitarren und es war alles mehr Rock. Radioheads erstes Album zum Beispiel war auch nicht so gut. In dem Klima, das heute in der Musikindustrie herrscht, wären sie danach gedropt worden. Sie hätten keine Chance für eine zweite Platte bekommen - so hätten sie nie diese fantastische Platte "The Bends" aufgenommen. Aber jetzt sind sie eine der größten Bands überhaupt. Und als Prava haben wir sozusagen unser erstes Album rausgebracht. Auf dem sind ein paar gute Sachen, wir waren ja auch die selben Musiker und die selben Leute. Etwas von den Kaiser Chiefs steckte da also auch schon drin. Wir haben mit der Band einfach gelernt. Das hat uns zu besseren Songwritern, aber auch zu einer besseren Live-Band gemacht. Irgendwelche Kommentare?

P: Nope!

S: Ok, keine Kommentare. Das mit Prava ging über drei Jahre. Da schreibt man schon viele Songs, aber wir wusten einfach nie so genau, wer wir eigentlich sein wollten. Mit den Kaiser Chiefs hatten wir dann eine Vorstellung, wie wir klingen sollten. Es war ein Neustart. Wir haben keinen der alten Songs mitgenommen, sondern einfach viele neue geschrieben.

Hört sich an, als ob ihr erleichtert wart, dass dieses Kapitel vorbei war.

S: Es ist eher so, dass man einen anderen Blick auf die Dinge hat, wenn man zurück schaut. Da sagt man sich dann ehrlicher: Dieses oder jenes war einfach nicht so gut. Während wir das gemacht haben, fanden wir uns allerdings ... brillant. Simon kichert.

Hat sich mit der Musik auch der Rest verändert? Euer Style, euer Verhalten auf der Bühne oder so?

P: Ja, ich denke, unser Verhalten auf der Bühne hat sich geändert, da wir wesentlich selbstsicherer geworden sind. Als wir "Oh My God" und "Saturday Night" geschrieben hatten - das waren die ersten Kaiser Chiefs-Songs - da hat es bei uns Klick gemacht. Das fühlte sich einfach so viel besser an und wir fühlten uns mit diesen Songs wesentlich sicherer auf der Bühne. Wir wurden live besser, die Leute hatten mehr Spaß bei unseren Gigs und das übertrug sich wiederum auf uns.

S: Wir hatten nun eine Richtung, in die wir uns bewegen wollten. Das gab es bei Prava nicht. Wir wollten alles und das zur gleichen Zeit machen. Eine unserer Singles hatte ein ziemlich hartes Stück und eine Dub-Track als B-Seite. Natürlich sagten wir bei den Kaiser Chiefs nicht: Das muss ab jetzt alles so und so klingen. Das kam mit der Zeit, während wir die Songs spielten. Besonders als wir "Oh My God" schrieben, wussten wir: Das ist der Sound, den wir machen wollen. Das sollte die Basis für unseren zukünftigen Sound werden.

Eine gute Basis! Danke für das Interview!

Das Interview führte Vicky Butscher

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