30. Juli 2012

"Meine Texte sind mein Leben"

Interview geführt von

Englands TV-Kultikone Jools Holland reißt so schnell nichts mehr vom Hocker. Bereits seit 1992 präsentiert der Moderator etablierte Showgrößen und hoffnungsvolle Newcomer in seiner hippen BBC-Show. Doch selbst ein Crème de la Crème-Verwöhnter wie er kommt zuweilen aus dem Staunen nicht mehr heraus: "Dieses Mädchen ist der Wahnsinn!", so der Musikguru im Herbst 2011.Die Rede war von Lianne La Havas, einer jungen Londonerin, die an einem verregneten Oktoberabend mit zarter Stimme und innovativem Gitarrespiel für aufwühlende Momente in den BBC-Studios sorgte. Dabei verzückte sie nicht nur Jools Holland und ein Millionenpubikum vor den TV-Geräten, sondern auch Bon Ivers Justin Vernon. Der war an jenem Abend ebenfalls Gast und zeigte sich nach den drei Miniauftritten von La Havas so beeindruckt, dass er sie wenige Stunden später höchstpersönlich auf seine Nordamerika-Tour einlud.

Von da an war die zierliche Tochter einer Jamaikanerin und eines Griechen in aller Munde. Es folgte die Nominierung für die renommierte BBC-Soundlist sowie eine täglich wachsende Anhängerschaft, die sich nichts sehnlicher wünschte, als so schnell wie möglich mit dem Debütalbum der Soulsängerin versorgt zu werden. Dieses ließ allerdings noch auf sich warten, und so musste die Gefolgschaft letztlich bis Juli 2012 ausharren, ehe "Is Your Love Big Enough?" in die Läden kam. Kurz vor dem Release trafen wir uns mit Lianne La Havas in Berlin und sprachen mit ihr über bedächtige Vorgehensweisen, Selbstverliebtheit und Mädchenträume.

Hi, was mir oft auffällt, ist, dass viele so genannte Newcomer eigentlich gar keine wirklichen Newcomer mehr sind. Auch du machst schon länger Musik und hast bereits einige EPs veröffentlicht, bevor demnächst dein Debütalbum auf den Markt kommt. Wundert es dich auch, dass die angeschlagene Musikindustrie sich bei hoffnungsvollen Neueinsteigern die Zeit nimmt, erst etwas aufzubauen, anstatt mit einem Knalleffekt aufs schnelle Geld zu schielen?

Lianne: Ich glaube, dass es grundsätzlich der richtige und bessere Weg ist einen Künstler behutsam aufzubauen und ihm die nötige Zeit einzuräumen, damit er sich positionieren und finden kann. Das ist natürlich in einer Zeit, in der es immer mehr um den Profit geht, nicht selbstverständlich. Umso mehr sollte man den Hut vor den Labels ziehen, die das Risiko nicht scheuen und eher versuchen langfristig zu denken und zu handeln.

Ich weiß jetzt nicht genau, wie es bei anderen Künstlern ist, aber mir war es auch persönlich sehr wichtig, das Ganze erst einmal langsam anzugehen. Ich habe in den letzten acht Monaten zwei EPs veröffentlicht, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, mich kennenzulernen. Das war mir sehr wichtig. Vor allem ging es aber auch um Selbstfindung. Ich wusste zwar schon ziemlich genau, was ich musikalisch wollte, aber ich wollte auch nichts übers Knie brechen. Ich wollte noch Dinge ausprobieren und mir die Möglichkeit zugestehen, noch einiges zu lernen, ehe ich mit einem kompletten Album nach vorne presche.

Zum Glück habe ich einen sehr fähigen A&R-Manager, der mir während dieser Zeit viel beigebracht hat und den langsamen Weg ebenfalls für besser hielt. Mit einem Debütalbum setzt man schließlich seine erste Duftmarke. Da sollte schon alles gut passen, wenn man nicht gleich wieder in der Versenkung verschwinden will. Das dauert halt. Bis vor einigen Monaten hatte ich noch nicht mal einen Titel für das Album. Und bis vor einigen Wochen nicht mal ein Cover (lacht).

"Ich mag es eher direkt und auf den Punkt"

Schlussendlich prangt in großen Lettern die Frage "Is Your Love Big Enough?" auf dem Cover. Von wem erwartest du darauf eine Antwort?

Lianne: (lacht) Es geht dabei weniger um eine bestimmte Person. Es gab eine Zeit, in der ich mich unwohl fühlte und auch lange nichts Brauchbares mehr geschrieben hatte. Ich machte mich dann auf nach New York und fand dort wieder zu mir selbst. Ich schaffte es, mir wieder genug Platz in meinem Herzen zu verschaffen, um mich selbst zu lieben. All die Liebesdramen, von denen die meisten anderen Songs auf dem Album handeln, haben ziemlich viel Kraft und Energie gekostet.

Ich hatte irgendwann aufgehört, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Das habe ich in New York zum Glück wieder hinbekommen. Denn du musst dich erst selbst akzeptieren und lieben, wenn du andere Menschen lieben willst. Das mag alles sehr klischeehaft klingen, aber so ist es nun mal. Die Frage stellt sich an alle, die sich dessen nicht bewusst sind und genau wie ich, erst mal anfangen müssen, den eigenen Charakter und die eigene Persönlichkeit ins Herz zu schließen.

Du sprachst von vergangenen Liebesdramen. Viele deiner Kollegen und Kolleginnen verpacken ähnlich Themen mit viel Poesie und Freiraum. Du hingegen sprichst die Dinge ziemlich klar aus. Warum?

Lianne: Nun, in der Regel schreibe ich ausnahmslos über eigene Erfahrungen. Ich setze mich lieber mit Dingen auseinander, die ich am eigenen Leib erfahren habe, statt mich in eine andere Person zu versetzen und mir eventuell aufkommende Fragen, Gefühle und Möglichkeiten vor Augen zu führen. Meine Texte sind mein Leben. So wie ich schreibe, so rede ich auch. Ich mag es eher direkt und auf den Punkt, sodass der Hörer einen schnellen Zugang zur Thematik bekommt. Außerdem lernen einen die Leute so besser kennen. Ich brauch keine Geheimnistuerei und keine verschönernden Schnörkel.

Du wirkst sehr selbstbewusst in deinem Auftreten. Das ist schon etwas verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es Zeiten gab, in denen du regelrecht Angst hattest, vor ein Mikrofon zu treten.

Lianne: Oh ja, die gab es. Aber das ist zum Glück auch schon sehr lange her. Ich habe schon immer gern gesungen. Ich bin in einer sehr musikbegeisterten Familie groß geworden und wurde als Kind ständig mit haufenweise Reggae, Soul, Jazz und Pop konfrontiert.

Irgendwie war es für mich aber ungemein schwer, mein Innerstes nach außen zu kehren. Denn genau das passiert, wenn man anfängt zu singen. Man entblößt sich und macht sich seelisch nackig (lacht). Das war schon ziemlich krankhaft bei mir. Einerseits wollte ich singen, aber andererseits wollte ich nicht, dass mir irgendwer dabei zuhört. Das änderte sich erst, als ich als Teenager einem Chor beitrat. Dort lernte ich mit der Öffentlichkeit umzugehen.

Und dennoch: Von selbst hättest du den Weg auf die Bühne nicht gefunden. Es bedurfte Hilfe von außen, richtig?

Lianne: Ja, du scheinst gut informiert zu sein (lacht). Erst als mich einige Freunde, die bereits im Business tätig waren, als Backgroundsängerin auf die Bühne zerrten, lernte ich mich richtig fallen zu lassen und mich vollends der Musik hinzugeben. Ich wollte eigentlich Lehrerin werden und studierte dafür Kunst an der Uni. Aber letztlich machte mir die Bühne einen Strich durch die Rechnung (lacht).

"Ich habe noch viele Träume"

Mittlerweile gibt es nicht nur tausende von Fans, sondern auch massenhaft Etablierte, die es mehr als schade gefunden hätten, wenn du dich für die Schule entschieden hättest. Ich denke da insbesondere an Jools Holland und Bon Iver.

Lianne: Das ist schon ziemlich verrückt. Diesen Abend in Jools Show werde ich wohl nie vergessen. Ich meine, Jools Holland ist eine Legende. Seine Show ist eine Institution. Ich hätte nie im Traum daran gedacht, einmal zu Gast in seiner Show zu sein; und dann auch noch performen zu dürfen (lacht). Das ist für mich auch heute noch unbegreiflich. Dieser ganze Abend, das ganze Drumherum, Jools und all die Gäste: Alles war so unglaublich perfekt und schön, dass es mir schwer fällt, die richtigen Worte zu finden. Es war ein Traum.

Und dann klingelt kurze Zeit später auch noch das Telefon und Justin Vernon spricht am anderen Ende.

Lianne: (lacht) Das war das Sahnehäubchen. Er war an diesem Abend auch zu Gast. Er lud mich dann auf seine Nordamerika-Tour ein, was ebenfalls unglaublich war.

Und dann fandst du deinen Namen auch noch auf der BBC-Soundlist wieder. Verliert man da nicht irgendwann die Bodenhaftung?

Lianne: Ich war definitiv kurz davor (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch. Ich finde jeden Tag Dinge an mir, die es zu verbessern gilt. Auch wenn ich mit dem Album sehr zufrieden bin, gibt es dennoch Einiges, was man in Zukunft noch perfektionieren könnte. Dieser Ehrgeiz und dieser Wille an einer ständigen Entwicklung beteiligt zu sein, treibt mich an und hält mich davon ab, in irgendwelche Sphären zu entschwinden, die nichts mehr mit der Normalität zu tun haben. Außerdem bin ich von Natur aus sehr bodenständig und empfinde nichts als selbstverständlich. Es gibt einfach so vieles, dass ich erleben möchte. Ich habe noch viele Träume (lacht).

Zum Beispiel?

Lianne: Ich würde gerne bei den Grammys auftreten. Am liebsten, nachdem ich bereits zwei am selben Abend gewonnen habe (lacht). Ich würde gerne den ultimativen Song schreiben. Ich will reisen, Leute kennenlernen und die Welt erkunden. Ich könnte mir auch gut vorstellen, irgendwann auch mal etwas im Bereich Film zu machen oder eine eigene Fashionline auf den Markt zu bringen. Ich meine, ich bin ein Mädchen mit Träumen (lacht).Ich würde auch gerne Musik produzieren. Es gibt viel zu wenig Produzentinnen da draußen (lacht). Es wäre mir eine Freude und eine Ehre zugleich, jemandem in zehn Jahren vielleicht dieselbe Starthilfe geben zu können, die mir zuteil wurde. Es wäre wunderbar, wenn ich etwas zurückgeben könnte.

Du berührst die Menschen nicht nur mit deiner Stimme, sondern auch mit der Art und Weise wie du Gitarre spielst. Wann wurde dir bewusst, dass die Gitarre mehr sein könnte, als nur ein Begleitinstrument?

Lianne: Ich spiele ja noch nicht so lange Gitarre. Meine ersten Akkorde habe ich mit 18 gelernt. Vorher habe ich mich fast ausschließlich mit dem Piano auseinandergesetzt. Ich hatte aber nie einen richtigen Bezug zum Klavier. Irgendwie fehlte immer die Verbindung, verstehst du? Also war ich mehr als froh, als mir mein Dad vor einigen Jahren die ersten Akkorde auf der Gitarre beibrachte. Ich erinnere mich noch ziemlich gut daran. Er zeigte mir eine Akkordabfolge, die ich lernen sollte. Und nach zwei Wochen hatte ich sie halbwegs drauf. An diesem Tag, als ich das erste Mal die komplette Abfolge durchspielte, war es um mich geschehen.

Ich hatte irgendwie das Gefühl ein Instrument gefunden zu haben, welches zu mir passt. Dieses Gefühl hatte ich beim Klavier nie. Es entstand eine gewisse Magie zwischen mir und der Gitarre. Das hört sich vielleicht komisch an, aber es war wirklich so. Die ganze Art und Weise, wie ich Songs schrieb, veränderte sich plötzlich. Das Klavier war immer eine Begleitung und eine Hilfe für mich. Die Gitarre ist irgendwie mehr. Ich setze sie fast schon mit meiner Stimme gleich.

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