Details

Mit:
Datum: 2. Juni 2006
Location: Amphitheater
Grothusstraße 201
45883 Gelsenkirchen
Website: Offizielle Homepage des Veranstaltungsorts
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Wenn man Reinhold Messner mit dem Yeti kreuzt ...

Review von Michael Edele

Für den Metaller fängt die Festival-Saison gepflegt mit dem Rock Hard Festival an. Ein bunt gemischtes Programm aus neuen und alten Bands, eine tolle Kulisse und vor allem drei stressfreie Tage warten auf die Besucher. Frohen Mutes machen sich also auch ein paar laut.de-Mitarbeiter auf, um dem Reigen wieder mal beizuwohnen.

Freitag:

Zwar reisen Kollege Fischer und meine Wenigkeit schon am Freitag Abend in Gelesenkirchen an, aufgrund diverser Staus und eines vorangegangen Arbeitstages steht nach Belegung unserer Räumlichkeiten aber erst einmal Abendessen an. Die Nationalmannschaft kickt ja auch noch, also Glotze an, Pizza in den Ofen und Bier an den Hals. Nach der ersten Halbzeit gehen wir dann.

Ok, Pizza fertig, erstes 6-Pack auch, ein Bier nehmen wir noch. Zweite Halbzeit vorbei, zweites 6-Pack ebenso, langsam sollten wir los. Wie, Italien spielt auch noch? Hm, was haben wir noch im Kühlschrank? Private Zimmervermittlung kann schon gemütlich sein, draußen isses kalt, Fischer hat im Dunkeln eh die Hosen voll. Mercenary und Morgana Lefay spielen wohl auch ohne uns ....

Samstag:
Was so 'ne Dusche alles bewirken kann, Fischer sieht beinahe wie 'n Mensch aus. Obwohl wir zeitig vor Ort sind, reicht es nicht mehr zum Opener Mystic Prophecy in den Fotograben. Das könnte damit zu tun haben, dass wir schon nach wenigen Metern auf dem Festivalgelände mit den Worten begrüßt werden: "Wie, die lassen euch hier immer noch rein?" Das sorgt bei uns nicht nur für fragende Blicke, sondern führt auch zu angestrengtem Nachdenken, was letztes Jahr denn so alles passiert sein könnte. Die Jungs um Sänger Dimitri Liapakis legen aber einen tollen Einstand hin und sorgen unter den Anwesenden für gute Stimmung und einige Bewegung.
Als wir wegen Legion Of The Damned vor dem Fotograben stehen und man uns auch dort mit einem fröhlichen: "Ach Gott, die Verrückten schon wieder" begrüßt, kommen wir trotz der eher recht frischen Temperaturen doch so langsam ins Schwitzen. Was zur Hölle war hier letztes Jahr los? Egal, Legion Of The Damned geben von Anfang an Gas und lassen die mehr als nur ansehnlichen Matten direkt kreisen. Die ehemals unter dem Occult-Banner bekannte Band hat Anfang des Jahres ein bärenstarkes Album vorgelegt, das es nun fast komplett auf die Ohren gibt. Thrash vom Feinsten, und da der Sound auch mitspielt, gibt es nichts zu meckern.

Vorletztes Jahr mussten schon Naglfar feststellen, dass man mit Black Metal bei Sonnenschein nicht wirklich viele Punkte macht, und dieses Jahr war es an Primordial, in diesem Bereich Lehrgeld zu zahlen. Zwar kann man den Sound der Iren nicht unbedingt als Black Metal bezeichnen, jedoch dient es der Atmosphäre bestimmt mehr, wenn man sich der Band in einem Club bei entsprechender Lightshow hingibt. Vor allem Sänger Alain Nemcheanga überzeugte mit seiner weiß-geschminkten Murmel nicht so wirklich. Da auch das Material der Band nur bedingt zu Bewegungsausbrüchen hinreißt, ist es während der Show meist relativ ruhig im Publikum

Das soll sich aber schlagartig ändern, als die Essener von Caliban die Bretter entern. Wie letztes Jahr schon Heaven Shall Burn sind sie die einzige Metalcore-Band auf dem Billing, überzeugten aber dennoch auf ganzer Linie. Der Sound ist brutal und fett, und auch wenn sich manch einer über das Outfit von Schreihals Andy Dörner eher amüsieren mag, so muss man doch zugestehen, dass die Jungs von internationalem Format sind. Selbst Kollegin Beck - die sich in ihrer Review ja noch über viel zu viel Cleangesang beschwert hatte - wäre hier bestimmt begeistert gewesen. Gitarrist Denis macht seine Sache bei den klaren Gesangsstrophen übrigens ausgesprochen gut und trägt seinen Teil zum positiven Gesamteindruck bei.

Im Anschluss ist wieder mal Zeit für große Posen, denn Brainstorm und ihr Fronter Andy B. Franck wetzen über die Bretter. Da auch das Wetter hält und zwischendrin sogar hin und wieder mal die Sonne durchblitzt, sind die Schwaben von vorne herein auf der Gewinnerseite. Songs mit jeder Menge Power und einem agilen, stimmgewaltigen Sänger sind nun mal der Garant für einen großartigen Auftritt, und so kann schließlich auch nichts mehr schief gehen. Da lässt sich auch eine junge Dame nicht lange bitten und nimmt den ihr dargebotenen Heiratsantrag ihres Freundes - der während dem Song "Shadowland" auf die Bühne kommt - natürlich mit einem 'Ja' entgegen.
Dass Nevermore leider ohne ihre zweiten Gitarristen Steve Smythe anreisen würden, war schon im Vorfeld klar. Der Mann muss inzwischen zur Dialyse, da seine Nieren kurz vor dem Versagen stehen. Das schreckt die Langhaarigen um Sänger Warrel Dane aber gar nicht, auch als Quartett legen sie einen Hammer-Auftritt hin. Zwar ist der Sound bei der Band alles andere als optimal, doch da muss schon mehr passieren, um einen Nevermore-Gig nur durchschnittlich zu machen. Seitdem die Amis alle mit dem Saufen aufgehört haben, sind auch ihre Festival Auftritte professionell wie nie zuvor. Warrel singt wie ein junger Gott, und was Jeff Loomis an der Gitarre ablässt, ist eh nicht von dieser Welt. Jim Sheppard und vor allem Drummer Van Williams sorgen für den richtigen Druck nach vorne und machen den Auftritt zu einem Highlight des Samstags.

Sodom haben kurz darauf erst mal Heimrecht und können sich also voll und ganz auf ein loyales Publikum verlassen. Machen sie natürlich nicht, sondern geben von vorne bis hinten Gas und knallen neben ein paar Song vom neuen Album, auch jede Menge Klassiker ins Volk. Vor der Bühne ist so richtig die Hölle los. Tom, Bernemann und Bobby lassen sich von den Fans feiern und fühlen sich sichtlich wohl. Nachdem sie einiges an Pyros in die Luft gejagt haben, kommt aber die eigentlich Überraschung des Auftritts. Tom macht sich vom Acker, für ihn schlappen aber Götz Kühnemund (im Anzug), Holger Stratmann und Frank Albrecht vom Rock Hard auf die Bühne, und da Bobby und Bernemann auf der Bühne bleiben, dämmert den ersten so langsam was da kommt: Randalica haben sich tatsächlich reformiert, um einen kurzen Gig abzureißen. Musikalisch und textlich immer noch notwendig wie ein eingewachsener Zehennagel, lässt die Stimmung bei den Spaßvögeln natürlich nicht nach, und alle sind zufrieden.

Zwar jagt ein heftiger Regenguss die meisten Zuschauer während der Umbaupause in die Flucht, doch rechtzeitig zum Auftritt von Bolt Thrower ist die Luft wieder trocken. Die englischen Death Metal-Legionäre machen von Anfang an klar, dass sie mit Karl Willets am Micro eine absolute Macht sind und auch ohne eine undurchdringliche Nebelwand auf der Bühne überzeugen. Zwar lief die Nebelmaschine auf Hochtouren, dennoch lässt sich erkennen, dass die Jungs und das Mädel am Bass guter Laune sind. Auch das Publikum lässt sich von den musikalischen Panzern plattwalzen. Allerdings nutzen die Engländer ihre Spielzeit nur leidlich aus und gehen schon nach eine Stunde von der Bühne, um sich für eine Zugabe noch einmal rufen zu lassen.

Damit sind sie schließlich sogar über der Zeit, was sich aber durchaus als Kalkulation erweist, denn die schon im Pressezelt zirkulierenden Gerüchte erweisen sich leider als wahr. Kaum sind die Engländer von der Bühne, stellen sich Rock Hard-Chefredakteur Götz Kühnemund und Celtic Frost-Basser Martin Eric Ain den Massen, um die Botschaft zu überbringen, dass die Schweizer nicht auftreten werden. Sänger Tom G. Fischer ist mit einer Nierenkolik schon auf dem Weg ins Krankenhaus, die erst kurz vor dem Gig auftrat. Näheres dazu in der News. Jedenfalls zeigt sich das Publikum von der besten Seite und wünscht eine schnelle Genesung. Nachdem raus ist, dass Sodom, Nevermore und Soilwork ein paar Extra-Songs spielen würden, hat auch keiner Grund zur Klage. Bei letzteren ist zwar alkoholbedingt der eine oder andere nicht mehr so ganz standfest, aber das geht schon in Ordnung.

Sonntag:

Scheiße, heute heißt es noch früher aus den Federn, weil die Mädels von Crucified Barbara schon um viertel nach elf auf der Bühne stehen. Das will man sich ja nicht entgehen lassen, immerhin rocken die Schwedinnen kräftig und sehen auch noch ganz ordentlich aus. Davon lassen sich auch noch eine ganze Anzahl von anderen Besuchern anlocken, denn so voll war das Rock Hard Festival an einem Sonntagmorgen noch nie! Die vier Girls verlassen sich aber keinesfalls auf ihre Aussehen, sondern rocken live noch mal deutlich mehr als auf Platte und schließen mit einem Cover von Motörheads "Killed By Death" mehr als ordentlich ab.
An die gute Stimmung knüpfen die Dänen von Volbeat nahtlos an. Gestern noch in Dänemark als Headliner bei einem Festival auf der Bühne, machen die Elvis-Fans zu früher Stunde eine ebenso gute Figur und rocken los. Sänger Michael Poulsen (der zwischendurch immer wieder zum Inhalator greift) klingt schwer nach Keith Caputo, hat aber noch einen Schuss mehr vom King in seiner Stimme. Auch hier gibt es eine sehr geile Coverversion und zwar den Oldie "I Only Wanna Be With You" zu hören. Das sorgt für Stimmung und ersetzt den Kaffee.

Den haben aber einige bei den anschließenden Gojira dringend nötig. Zu Walgesängen betreten die Franzosen die Bühne und bieten 45 Minuten lang Kontrastprogramm. Die Band verlangt dem Publikum einiges an Konzentration ab, denn die Wechsel zwischen heftigem Gemetzel, komplexen Parts und sphärischen Sounds sind nicht so leicht zu verdauen. Manch einer im Publikum sieht sich davon überfordert, was sich in der eher zögerlichen Bewegung vor der Bühne ausdrückt. Trotzdem eine der interessantesten Bands des Billings.

Danach ist allerdings heftiges Abgehen mit dem Ripper angesagt. Der Band war sämtliches Equipment auf dem Weg nach Gelsenkirchen abhanden gekommen, und so holzen sie komplett auf geborgten Instrumenten. Das juckt den Profi natürlich wenig, und so ist gleich mal Vollgas angesagt. Dass auch mal ein Song von Priest ins Programm rutscht, dürfte nicht wundern. Das ändert nichts daran, dass sich Tim Owens eine sehr geile Combo zusammen gestellt hat, die sogar schon mal nen Marshall-Turm zum Einsturz bringt. Beyond Fear wirkt tatsächlich auch auf der Bühne wie eine echte Band und nicht wie ein Söldnerheer. Man merkte jedem der Jungs den Spaß an. Sehr gute Backing-Vocals von Drummer Eric Elkins übrigens.

So gesprächig und gut gelaunt wie heute hat man Evergrey-Sänger Tom Englund auf der Bühne selten erlebt. Aber warum auch nicht, schließlich haben die Jungs auch die Menge von Anfang an im Griff und fesseln von der ersten bis zur letzten Minute. Da ändern auch Probleme mit dem Drumset nichts, so was überbrückt man eben mit einer Keyboard/Gesangs-Nummer. Absolut erstklassig, was die Schweden hier bieten, auch wenn der Preis für die geschmackloseste Schuhmode einstimmig an die Band geht. (In Sachen Klamotten darf den die Drummerin von Crucified Barbara mit nach Hause nehmen.)

Was kommt raus, wenn man Reinhold Messner mit dem Yeti kreuzt? Finntroll, richtig. Die rumpeln danach zum ersten Mal mit ihrem neuen Frontförster Matthias Lillmanns los, der doch meistens etwas verloren zwischen all der Verwandtschaft von Cousin It steht. Das ändert nichts an der aufkommenden Partystimmung, es wird geschunkelt, gemosht und natürlich getrunken, was die Leber hergibt. Bei der Security im Graben ist Schwerstarbeit angesagt, denn die Crowdsurfer kommen im Sekundentakt angerauscht. Humppa-Metal funktioniert einfach zu jeder Tageszeit. Dass ein in Bärchen- oder Hasenkostüm gewandeter Bruder Cle die Band ansagte, ist da nur noch reine Formsache.

Die schon gute Stimmung halten Soilwork kurze Zeit später mühelos. Stellenweise hat man den Eindruck, als ob sich mehr Leute in der Luft, als noch auf dem Boden befinden, denn vor der Bühne ist die Hölle los. Auf der Bühne erst recht, denn die Mannen um Fronter Speed brennen ein wahres Inferno an Melodie und Härte ab. Sogar Basser Ola ist wieder fit und turnt komplett durchgeknallt über die Bühne. Auch am Bühnenrand stehen jede Menge Musiker von anderen Bands und schauen sich die Show der Schweden an. Daran gibt es von vorne bis hinten nichts auszusetzen und auch wenn Speeds Stimme bei den klaren Vocals zumindest vor der Bühne ein wenig untergeht, ist der Gig echt Hammer.

Mit Fates Warning betreten um acht Uhr meine persönlichen Götter die Bühne und legen einen unvergleichlichen Gig hin. Sänger Ray Elder hat zwar massiv Haare gelassen, legt gesanglich aber ein Glanzstück nach dem anderen vor. Selten live so geilen, zweistimmigen Gesang gehört, und auch Gitarrist Frank Aresti, Drummer Nick D'Virgilio (Spock's Beard) und Basser Joey Vera sind natürlich über jeden Zweifel erhaben. Einfach unglaublich, wie entspannt jeder der Musiker solche Wahnsinnsmelodien und Breaks aus dem Ärmel schüttelt. Bandkopf Jim Matheos wirkt wie immer etwas entrückt und hält sich meist im Hintergrund, zieht von dort aus aber unvergleichlich genial die musikalischen Fäden. Dass die Mucke trotzdem nie zu kopflastig wird, ist schon ganz großes Kino.

Partystimmung par excellence ist schließlich wieder bei Edguy angesagt. Auf CD mag die Band ja nach wie vor polarisieren, auf der Bühne des Gelsenkircheners Amphitheaters sorgt sie für eine geschlossene, ausgelassene Stimmung und zwar von der ersten Sekunde an. Fun und gute Laune sind das A und O bei der Band, und vor allem Sänger Tobi greift auf den Text im Programmheft des Festivals zurück, um sich für die Bezeichnung 'Front-Eunuch' zu bedanken. Auf einem hohen Podest ist das Drumset positioniert, auf das der kleine Sänger über die beleuchteten Stufen gerne klettert, um von dort oben in der Grätsche wieder runter zu springen. Das Rund vor der Bühne ist gerammelt voll und auch auf den oberen Plätzen wird es so langsam eng, als die Jungs aus Fulda ihren Power Metal unters partywütige Volk bringen. Auf der Bühne ist Dauergrinsen angesagt, und manch einer im Publikum wird schmerzhaft das Gesicht verzogen haben, wenn Tobi den eigenen Huf beinahe bis hinter den Kopf schwingt. David Lee Roth und das urologische Team der Uni-Klinik Mainz lassen grüßen.

Nach einer kleineren Verzögerung (in der Götz beinahe über eine Rampe gerannt wäre, die gar nicht mehr da steht) ist es Zeit für den kleinen Hardrock-Opa mit der großen Stimme. Ronnie James Dio steht vor dem obligatorischen Holy Diver Backdrop auf der Bühne und lässt seine Stimme erschallen, an der die Zeit scheinbar spurlos vorüber gezogen ist. Insgesamt sind wahrscheinlich gerade 200 Jahre Hardrock auf der Bühne, doch die alten Säcke zeigen den Jungen ganz klar, dass man noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Auch wenn man objektiv betrachtet sagen muss, dass der alte Fussel in seinem Kostümchen ein wenig zum Schmunzeln aussieht, so macht ihm stimmlich doch kaum einer was vor. Soloeinlagen wie sie im Laufe des Gigs von Drummer Simon Wright, Gitarrist Craig Goldy und Keyboarder Scott Warren abgezogen werden, sind natürlich Geschmackssache. Aber vielleicht braucht Dio die Zeit auch, um mal kurz neue Energie zu tanken. Jedenfalls dürfte sich auch der eine oder andere Jungspund im Publikum so einen Opa gewünscht haben. Jetzt fehlt nur mal wieder ein anständiges Album, mit dem er an die alten Erfolge anknüpft.

Während sich das laut.de-Team auf den Heimweg macht, rennt plötzlich noch ein Kerl an uns vorbei und hechtet aus vollem Lauf in die 1,80 m hohe Hecke, in die schon seit drei Tagen mit Vorliebe reingestrullert wurde. Ob das zum Holy Diver 2006 recht, wage ich mal zu bezweifeln. Wenigstens gehen wir dieses Mal mit einem reinen Gewissen nach Hause. Unflätige Begrüßungen werden nächstes Jahr einfach direkt mit einer rechten Geraden abgeschmettert!

Bilder zu den jeweiligen Bands findet ihr auf den Artist-Portalen

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Artistinfo

LAUT.DE-PORTRÄT Nevermore

Seattle, bis heute Synonym für Grunge-Combos Marke Alice In Chains, Pearl Jam und bestenfalls noch Queensryche, schickt in den 80ern eine Metal-Band …