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PLatz 9: "One More Light"

So weh es mir tut, dieses Album so weit unten in der Liste zu platzieren, so wenig lässt sich leider auch retrospektiv daran rütteln, dass Linkin Park mit "One More Light" ziemlich ins Klo gegriffen haben. Die Band war 2017 an einem Punkt ihrer Karriere angelangt, an dem selbst dem allerletzten das Licht aufgegangen sein sollte, dass es einfach keine Blaupause mehr für ein typisches Linkin Park-Album gab. Nachdem sie mit "The Hunting Party" wieder an die Härte ihrer Anfangsjahre anknüpften, ruderten sie mit "One More Light" in Höchstgeschwindigkeit in softere Gefilde zurück. Schon in den Jahren zuvor bildeten sie alles andere als einen Fremdkörper in den Charts, aber ein so offenes Zugeständnis an den Pop legten sie bis dato nicht ab.

Alleine für dieses radikale Commitment, ihre Fans sehenden Auges vor den Kopf zu stoßen, gebührt Linkin Park Respekt. Auf die Frage, was Bennington zu den Leuten sagen wolle, die der Band vorwerfen, sich an die Industrie verkauft zu haben, antwortet er in einem Interview mit Kerrang: "If you're saying we're doing what we're doing for a commercial or monetary reason, trying to make success out of some formula … then stab yourself in the face." Dieses Album war eine Herzensangelegenheit, das ist rückblickend schwer zu überhören.

Doch auch wenn viele ihrer Platten in den letzten Jahren eine Neuevaluierung durchliefen, sowohl seitens der Fans als auch der Kritiker*innen, so lassen sich die gravierenden Mankos dieser LP nach wie vor einfach nicht ignorieren. So potent der emotionale Kern von "One More Light" sein mag, so tief liegt er unter musikalischem Plastikmüll vergraben. Wie schon "Recharged", klingt dieses Album im schlechtesten Sinne wie ein Produkt seiner Zeit, nur heißen die Referenzen hier nicht Skrillex oder Datsik, sondern Maroon 5 und Imagine Dragons.

Die Ukulele auf "Sharp Edges", die Chainsmoker-esken EDM-Breakdowns auf "Sorry For Now" und "Nobody Can Save Me", die "Ooh Oohs" auf "Halfway Right": Die Zusammenarbeit mit Produzenzen wie Jesse Shatkin und Andrew Jackson, die bisher bestenfalls zweite Geige bei Katy Perry und Sia spielen durften, schlägt sich in einem instrumentalen Totalausfall nach dem nächsten nieder, die auch Chesters und Mikes Perfomance am Mikro überstrahlen. Beide biedern sich bisweilen so sehr diesem plastischen Sound zwischen Vocodern, Stadion-Rock und Fließband an, dass man sie auf Songs wie "Talking To Myself" oder "Good Goodbye" kaum wiedererkennt.

Inmitten seiner auditiven Polymer-Ketten birgt das Album jedoch ein waschechtes Juwel. Selbst ohne den Kontext von Chesters Ableben stecken in "One More Light" einige der emotionalsten und verletzlichsten lyrischen Momente in Linkin Parks gesamter Diskografie. Nirgends lässt sich das so schwer ertragen wie auf dem Titeltrack, den die Band ursprünglich für eine an Krebs verstorbene Freundin schrieb, später aber auch Chris Cornell widmete. Inzwischen dient der Song ebenso sehr als Tribut an ihren eigenen Frontmann. Hier treffen nicht nur die Worte, die Bennington singt, mitten ins Mark, auch die akustische Begleitung der Band, die wie eine schwache Flamme im Hintergrund flackert, evoziert Bilder von Isolation und Einsamkeit. Am Ende möchte man vorsichtig die Hand um den Song legen, um ihn vor dem Erlöschen zu bewahren: "Who cares if one more light goes out? I do."

Highlights: "One More Light", "Heavy"
Lowlights: "Sorry For Now", "Talking To Myself"

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